Immer, wenn sie kurz davor war, den Hörer aufzuknallen, dachte Nona Geiger an den Score – die Bewertung, die der Kunde ihr nach dem Telefonat gab. Sie arbeitete im Customer Support für ein großes Berliner Unternehmen. 40 Stunden die Woche saß sie vorm PC und telefonierte mit Fremden. Ihr Gehalt lag knapp über dem Mindestlohn. Die Anrufer waren oft schwierig, mindestens einmal am Tag beleidigte sie ein Kunde. Sie zwang sich trotzdem, freundlich zu bleiben. Denn vom Score hingen ihre Boni ab. "Bewertungen unter fünf zählten als negativ, sechs und sieben waren neutral und alles ab acht galt als positiv", sagt Geiger, 25. "Wenn auch nur ein Kunde mich mit einer sechs bewertet hat, war es unmöglich, einen Bonus zu bekommen. Auf den war ich aber angewiesen, um über die Runden zu kommen."
Auf
Kundenbeleidigungen hatte sie keiner vorbereitet. Bei einer Schulung, die sie
vorher zusammen mit einem Dutzend anderen Kollegen auf die Arbeit vorbereitet
hatte, ging es vor allem darum, wie sie Datenbanken nutzen könnten – um Vertragsdetails
und Kündigungsfristen für den jeweiligen Fall abzurufen. "Über schwierige
Anrufer wurde uns wurde gesagt: Das schafft ihr schon. Das kann ja jeder",
erzählt sie. Aber sie hätte sich einen Coach gewünscht, mit dem die Mitarbeiter
über die aufkommenden Emotionen reden könnten. Geiger beschreibt
sich selbst als hilfsbereite Person, die
immer ein offenes Ohr für andere hat. Doch im Callcenter kam sie an ihre
Grenzen. Wenn es ihr privat schlechter ging, belastete sie die erzwungene
Freundlichkeit im Beruf besonders stark, sagt sie. Immer öfter meldete sie sich bei der
Arbeit krank. Nach der Probezeit wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Nach
sechs Monaten im Callcenter bekam sie die Kündigung. Das war vor einem Monat.
Eine Stewardess muss zu unverschämten Gästen nett sein
Diese
Anstrengung, im Job Emotionen zeigen zu müssen, die man nicht fühlt, hat einen
Namen: Emotional Labour – zu
Deutsch: Emotionsarbeit oder Gefühlsarbeit. Als erste prägte die
US-amerikanische Soziologieprofessorin Arlie Hochschild diesen Begriff, um
Arbeit von Flugassistentinnen und Fahrscheinkontrolleuren zu beschreiben – das
war im Jahr 1983. Eine Stewardess ist dazu verpflichtet, auch unverschämte
Gäste anzulächeln. Kontrolleure müssen mit
Menschen, die sich kein Ticket
leisten können, streng sein – auch wenn sie eigentlich Mitleid haben. Hochschild sah in der Dissonanz zwischen gefühlten
und vorgeschriebenen Emotionen eine zusätzliche Belastung im Job. Und die
meisten empirischen Untersuchungen, die es mittlerweile dazu gibt, geben ihr recht.
Eine Auswertung der 95
Studien zu diesem Thema zeigt einen Zusammenhang zwischen Emotional Labour, Erschöpfung und
Unzufriedenheit im Job. Außerdem könne es passieren, dass Menschen, die beim
Arbeiten eine emotionale Maske aufsetzen müssten, psychosomatische Beschwerden
wie Schlafstörungen, Kopf- oder Brustschmerzen entwickelten. "Wenn
ich eine starke Diskrepanz zwischen meiner emotionalen Verfassung und den bei
der Arbeit geforderten Verhaltensweisen wahrnehme, strengt das zusätzlich an", sagt die Psychotherapeutin Nina Romanczuk-Seiferth. "Das widerspricht unserem Bedürfnis danach, uns autonom zu
fühlen."
Emotional Labour wird kostenlos geleistet
Kein
Mensch wird dafür bezahlt, auf der Arbeit er selbst zu sein. Vorgesetzte und
Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner, sie alle müssen ihre Emotionen
regulieren. Aber ausgerechnet Menschen, die am wenigsten verdienen, sind
besonders häufig zu dieser unsichtbaren, unbezahlten Extraschicht der Emotional
Labour verpflichtet: Kellnerinnen, die das Lächeln morgens gemeinsam mit dem
Lippenstift auftragen. Baristas, die trotz mieser Laune einen Smiley auf den
Kaffeepappbecher zeichnen. Sprechstundenhilfen, die auch mit genervten
Patientinnen im freundlichen Ton sprechen müssen. Ihr Job hängt davon ab, dass
Kunden sich wohlfühlen.
"Ich würde meine Berufsgruppe als halbe Psychologen bezeichnen."
Und
viele von ihnen sind auch auf ein Trinkgeld angewiesen. "Es ist, als würde ich
jeden Morgen eine Art Maske auflegen, um der höfliche Chris zu sein", sagt der
Frisör Chris Hausdorf, 21. "Ich würde meine Berufsgruppe als halbe Psychologen
bezeichnen. Oft erzählen uns Menschen von ihrem Familienalltag – aber auch von
schweren Schicksalsschlägen." Ratschläge zu verteilen und Sorgen anzuhören,
gehört streng genommen nicht zu seiner Jobbeschreibung, und manchmal hat Chris
auch keine Lust darauf. Er tut es trotzdem: "Je freundlicher du bist, desto
besser ist dein Trinkgeld, und davon lebe ich leider." Manchmal gebe es
Kunden, die ihm deutlich machen, wer die Macht habe. "Letztens kam eine Kundin
20 Minuten zu spät zu ihrem Termin, für den ich 30 Minuten Zeit hatte. Ihre
ersten Worte waren nicht 'Entschuldigung', sondern 'Können wir jetzt loslegen?'"
Gern hätte er ihr die Meinung gesagt. Letztendlich hat er aber doch nur:
gelächelt.
Da auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders viele Frauen im Niedriglohnbereich arbeiten, sind es auch eher die Frauen, die nett sein müssen. Aber nicht nur Kellnerinnen werden eher anhand ihrer Freundlichkeit bewertet – sondern auch Professorinnen. Das zeigt eine Auswertung von Onlinebeurteilungen, die amerikanische Studenten über ihre Lehrkräfte geschrieben hatte. Wenn Studenten Männer beschrieben, sprachen sie eher über ihre Fähigkeiten und Intelligenz, bei Frauen ging es häufiger um ihre Persönlichkeit und Nettigkeit. "Nun lach doch mal", das bekommt kaum ein Mann zu hören – aber so viele Frauen, dass es inzwischen das Kunstprojekt stoptellingwomentosmile.com gibt – und Dutzende Artikel, die erklären, warum es ungerecht ist, von Frauen immer gute Laune zu erwarten.
Kommentare
Fürs Lächeln ist der deutsche Dienstleistungssektor ja nicht gerade bekannt. Da müssten andere Länder um einiges schneller ausbrennen.
Was für ein unsympathischer Kommentar. Künstliches durch Bonus oder Chefdruck erzeugtes Lächeln können die Herren und Damen bitte stecken lassen. Man kann auch ernst und respektvoll sein miteinander.
Respekt vor den Menschen, die diese Tätigkeiten ausüben. Eher Leistungsträger als überbezahlte Fußballer.
Leistungsträger ist der, der durch seine Arbeit der Firma den meisten Mehrwert bringt.
Da wird der überbezahlte Fußballer durch Tore (oder Verhinderung solcher), Trikotverkäufe, bessere Platzierungen und mehr Zuschauer mehr bringen als die einzelne leicht ersetzbare Callcenter Mitarbeiterin. Ja und sogar soviel mehr, dass sich sein Millionengehalt und seine Ablösesumme rechnet.
Jeder Mensch, der mit Kundenkontakt arbeitet, muss freundlich sein. Freundlichkeit ist die Basis der Kommunikation mit Kunden, denn nur so ist der Kunde bereit, sich auf ein Gespräch einzulassen. Schlecht gelaunt kann keiner etwas verkaufen. Das ist eine solche Banalität, dass es mir peinlich ist es hier aufschreiben zu müssen.
Krisenkommunikation (Callcenter machen genau das) kann man lernen. Wenn die Mitarbeiter nicht darin geschult werden, versagt die Geschäftsleitung.
Es ist eine Frechheit, daraus ein Männer-Frauen Thema zu machen. Männer mit Kundenkontakt unterliegen genau den gleichen Gesetzen wie Frauen.
Das sehe ich auch so. Zumal es ja durchaus einen Zusammenhang zwischen der Mehrzahl der Frauen in Berufen im Kundenkontackt und dem Bedürfnis gibt, etwas mit Menschen zu machen.
Am Fließband fällt logischerweise weniger emotionale Arbeit an als im Call-Center. Jedoch scheint mir, dass es statistisch vor allem Frauen es in Berufe zieht, wo viel geredet und mit anderen Menschen interagiert wird. Den ganzen Tag nicht mit Menschen zu arbeiten mag dem, der kommunizieren will, auch auf die Seele schlagen. Ein Preis den Männer lieber zahlen als Frauen. Umgekehrt muss man im Geschäft mit Menschen auch zu nervigen Menschen nett sein. Was Frauen bei der Berufswahl oft als vertretbar ansehen.
Die verschiedenen Neigungen von Männer und Frauen bei der Berufswahl als Sexismus zu brandmarken erscheint mir nicht sinnvoll.
"Wer bei der Arbeit freundlich sein muss, obwohl ihm nicht danach ist, brennt schneller aus. Vor allem von Frauen wird gute Laune erwartet: im Job und nach Feierabend."
Ich finde es schon bedenklich, wenn man jetzt anfängt, ein solches Problem zum Frauenproblem zu stilisieren. Als wenn der Mann am Desk 80 cm weiter im Call Center rechts nicht ausbrennen würde.
Mir zeigt dieser Artikel, wie weit weg die derzeitige Feminismus Debatte von Sinnhaftigkeit und dem eigentlichen Zweck weg ist und wie sehr man dieses Thema - wie so einige andere - aus einer Blase heraus vorantreibt.
Ich gebe Ihnen jetzt einfach mal einen Stern für Ihren Usernamen. Habe den Kaffee quer über die Tastatur gesprotzt vor lachen.