Morgens länger schlafen, weil der Weg zum Schreibtisch nur wenige Sekunden dauert – statt sich eine halbe Stunde in die überfüllte Bahn zu quetschen. Kein Kollege, der telefonierend die Konzentration stört. Selbst bestimmen können, wie warm oder kalt, laut oder leise es am Arbeitsplatz ist. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wünscht sich jeder Dritte in Deutschland, zumindest gelegentlich von zu Hause aus zu arbeiten – aber nur jeder Achte bekommt diesen Wunsch auch erfüllt.
Ziemlich viele Menschen dürften es also begrüßen, dass die SPD heute ein Strategiepapier beschlossen hat, in dem sie einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice und mobiles Arbeiten fordert. Ein solches Recht ist längst überfällig. Denn schon heute brauchen viele nur einen Computer und Internetzugang, um ihren Job zu erledigen. Und je weiter die Digitalisierung fortschreitet, desto mehr werden es sein. Momentan bekommen 45 Prozent aller Angestellten mit Bürojob in Deutschland einen Laptop von ihrem Arbeitgeber gestellt – mit dem Arbeiten außerhalb des Büros zumindest in der Theorie möglich wäre.
Doch Deutschland ist auch im Jahr 2019 ein Land der Präsenzkultur. Viel weniger Menschen hierzulande nutzen das Homeoffice als im EU-Schnitt. Deutschland liege deutlich hinter Frankreich, dem Vereinigten Königreich oder den skandinavischen Ländern, heißt es in der DIW-Studie. In den meisten Fällen scheitere der Wunsch nach Heimarbeit an den Arbeitgebern. Denn solange keine Regelungen zur Heimarbeit im Arbeitsvertrag stehen, entscheidet momentan die oder der Vorgesetzte, ob die Angestellten zu Hause arbeiten dürfen – unabhängig davon, ob die Anwesenheit im Büro nötig ist.
Mehr Überstunden im Homeoffice
Ein Rechtsanspruch würde Arbeitnehmern helfen, ihren Wunsch nach Homeoffice durchzusetzen. Sie könnten sich Fahrkosten und die Pendelzeit sparen – und damit die Straßen und die Umwelt entlasten. Sie könnten die Anforderungen des Berufslebens besser mit Kita-Öffnungszeiten und der Pflege von Familienangehörigen vereinbaren. Doch Homeoffice bedeutet nicht automatisch weniger Stress und mehr Freizeit. Wer sich von Zuhause einloggt, arbeitet häufig sogar länger als die Kollegen im Büro: 2,5 Stunden mehr pro Woche, haben Forscher von der Universität Basel herausgefunden. Heimarbeiter fühlten sich zwar freier, weil Vorgesetzte ihnen nicht auf die Finger schauten – aber auch mehr unter Druck, zu beweisen, dass sie zu Hause nicht faulenzen. Das kann zur Selbstausbeutung führen. Außerdem bleiben Menschen, die zu Hause arbeiten, auch nach Feierabend öfter in Gedanken bei der Arbeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht abschalten können, liegt laut einer Auswertung der Hans-Böckler-Stiftung bei 45 Prozent – mehr als doppelt so hoch wie bei den Büroarbeiterinnen.
Die Pläne der SPD sehen zwar vor, "Beschäftigte vor einer überbordenden Inanspruchnahme und der Anforderung einer ständigen Erreichbarkeit" abzuschirmen. Man werde "das Recht auf Nichterreichbarkeit schützen und Arbeitszeitmodelle unterstützen, die die Gesundheit von Beschäftigten stärken", steht in dem Strategiepapier. Das sind wichtige Vorhaben. Doch hätten sie wirklich Auswirkungen auf den Arbeitsalltag? Schon heute ist ein Arbeitnehmer nicht verpflichtet, außerhalb der vereinbarten Arbeitszeit für seine Vorgesetzte erreichbar zu sein. Trotzdem beantworten drei von vier Berufstätigen in Deutschland nach Feierabend und am Wochenende Dienstmails und Anrufe.
Im Homeoffice, wo die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit noch mehr verschwimmen, ist es besonders schwierig, den Laptop zuzuklappen oder das Handy abzuschalten. Viele mobile Kollegen wollen ihrem Arbeitgeber wohl digitale Präsenz signalisieren – wenn sie schon nicht im Büro sind. Einen weiteren Nachteil des Homeoffice kann man gesetzlich kaum regeln: Wer zu Hause arbeitet, ist für den Arbeitgeber weniger sichtbar und wird laut einer Studie der Stanford University seltener befördert. Heimarbeiter gelten vielen Arbeitgebern wohl noch immer als weniger leistungsbereit.
Viele, die Karriere machen wollen, werden sich nicht trauen, auf Homeoffice zu bestehen, auch wenn sie die Möglichkeit und das Recht dazu hätten. Der Vorstoß der SPD ist trotzdem wichtig. Denn er spricht an, was inzwischen selbstverständlich sein sollte: Die Art, wie wir arbeiten, verändert sich. Leistung bedeutet nicht mehr, möglichst lang im Office zu hocken. Und ob wir sie im Büro erbringen oder auf der heimischen Couch, sollte egal sein.
Kommentare
Da fehlt dann nur noch der Rechtsanspruch auf schnelles Internet, was nützt dem Bewohner waldiger Seitentäler die Heimarbeit wenn er sich übers piepsende 90er Jahre Modem einwählen muss, gerade für etwas abgelegenere Gegenden würde es ja großen Sinn machen den Pendlerweg zu vermeiden.
Wer für eine Arbeitsstelle umziehen kann, der kann das wohl auch für schnelles Internet.
Rechtsanspruch ist mmn. viel zu weit gegriffen. In der Tat, ist es für sehr viele Tätigkeiten essentiell, sich in Persona mit den Kollegen/Vorgesetzten zu unterhalten. Was aber nicht bedeutet, dass es nicht auch sehr viele Positionen gibt, bei denen am Homeoffice nichts auszusetzen ist.
Schön finde ich das der Artikel auch die Problematik mit den verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit thematisiert, weiter so, so geht ausgewogene Berichterstattung!
" In der Tat, ist es für sehr viele Tätigkeiten essentiell, sich in Persona mit den Kollegen/Vorgesetzten zu unterhalten."
Einerseits ja... andererseits ist es ja auch in größeren Offices üblich, sich zur schnellen Klärung von offenen Fragen telefonisch (oder per Mail) zu unterhalten.
Und das kann man ja vom Home Office aus genauso.
Außerdem ist es nicht für jedermann. Ich hätte z. B. gern eine klare Trennung zwischen dem Beruf und Privatleben. Zu Hause möchte mich nur entspannen, und nicht mir noch Sorgen über irgendeine nicht erledigte Arbeit machen.
"Zu Hause möchte mich nur entspannen, und nicht mir noch Sorgen über irgendeine nicht erledigte Arbeit machen."
Einerseits ja. Andererseits geht einem das ja auch ohne Home Office immer wieder mal im Kopf herum, manchmal träumt man davon nachts...
Ich hatte ein Erweckungserlebnis, als ich zuhause am ungeklärten Problem des Renderings von arabischen Buchstaben und besonders Ligaturen grübelte, und mir unter der Dusche eine robuste Lösung einfiel.
War aber gar nicht Home Office. Ich bin dann zur Arbeit gefahren und habe es implementiert. Ging.
Inzwischen, so ab Windows 7, ist das schon eingebaut, aber damals war es halt ein Problem...
Vorallem wie möchte man einen Rechtsanspruch nur für bestimmte Berufsgruppen durchsetzen? Wenn dann muß der für alle gelten.
geht auch via factime. Sogar mit Angucken (vorausgesetzt, man hat gescheites Handynetz). Was wegfällt ist das ungeplante Gequassel zwischen Tür und Angel. Das hat den Vorteil, dass man sehr konzentriert arbeiten kann und den Nachteil, dass das, was eben nicht via Dienstweg kommuniziert wird, nichtmehr mitbekommt.
Die Mischung machts, würde ich sagen.
Für die Verkäuferin bei Aldi?
Rechtsanspruch auf ... bedeutet ja erfreulicherweise nicht Pflicht zu...
endlich nicht mehr auf dem Bau schuften, sondern schön gemütlich von zu Hause aus anpacken
"... am ungeklärten Problem des Renderings von arabischen Buchstaben und besonders Ligaturen grübelte, und mir unter der Dusche eine robuste Lösung einfiel ..."
:-)))
(ich unterstelle mal, das ist ein Witz)
Aber im Ernst:
Home Office wird zu sehr "Null ... Eins" interpretiert. Die Homeoffice-Arbeitenden, die ich kenne haben pro Woche mindestens einen Tag "Präsenzoffice".
Da macht man dann blablablabla ... Meeting, Meeting, Meeting .... und alles bleibt im Lot. Ich persönlich halte daher ein 4/1 (home/drin) für eine wirklich gut funktionierende Lösung.
Der Supermarkt-Kassierer macht dann auf dem heimeligen Sofa „piep-piep“ und durch den Hausflur schallt es „Faaahrkarten bitte!“ ...
Da nennen Sie ausgerechnet zwei Berufsfelder, die zukünftigen Generationen so surreal vorkommen werden wie uns der Job des Urinwäschers oder des Harzers. :)
Eingeschränkte Zustimmung. Urinwäsche wird wohl tatsächlich nicht mehr praktiziert. Hingegen ist das Geschäftsmodell der Reinigung nach wie vor aktuell. Und Har(t)zen hat von der SPD ein „t“ spendiert bekommen und ist zu einer Lebensphilosophie aufgestiegen. Nennt sich zukünftig wohl Bürgergeld ;-)
Natürlich!
Auch für Dachdecker, Maurer, Automechaniker.... usw.
Witzischhh. Haben wir gelacht.....
"Wenn dann muß der für alle gelten."
Der Nachbar meiner Mutter schafft im Tiefbau, Baggerfahrer. Der kann ja dann immer sein Grundstück umgraben oder die Straße vor seonem Haus aufreißen und wieder zuschütten ...
Sie haben es sehr gut erkannt. Man kann einen Rechtsanspruch nicht auf eine bestimmte Gruppe in der Bevölkerung beschränken.
Warum nicht? Beim Kitaplatz haben auch alle Eltern einen Rechtsanspruch egal wie die berufliche Situation ist.
Warum hier einen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Gruppe beschränken?
Man kann sowas auch einfach sein lassen.
Bei uns gibt es auch 2 Kolleginnen welche Homeoffice an 1-2 Tagen in der Woche machen.
Das dürfen sie aber nur solange sich kein anderer "Beschwert" oder ihm das nicht erlaubt wird.
"(ich unterstelle mal, das ist ein Witz)"
Nö, ganz ernst gemeint. Dokumentiert auf https://wiki.tcl-lang.org...
Bezieht sich der Rechtsanspruch auf Home office auch auf den Arbeiter? Darf der den SUV in seiner Garage fertig montieren? Ich wüsste gerne, welcher Prozentsatz aller Beschäftigten für dieses Privileg des unkontrollierten Arbeitens zwischen Bügelbrett und Unkrautjäten überhaupt in Frage kämen.
IT-Mitarbeiter halten sich für den Nabel der Welt, kann man auch hier auf ZON immer wieder beobachten. Und da die zusammen mit den Medienschaffenden die Politik zu rund 2/3 bestimmen...
Wertet Berufe mit körperlicher Arbeit und generell alles undigitale massiv ab, weil für die natürlich kein HomeOffice möglich ist. Nicht sehr sinnvoll, insbesondere ohne Ausgleich.
Weiss auch nicht wie das für viele Dienstleister wie Lehrer, Verkäufer, Frisöre, Busfahrer etc gehen soll.