Ein
Einkommen, ohne dafür zu arbeiten, für jeden Einzelnen und ohne dass Pflichten
daran geknüpft sind. Das ist der Gedanke des bedingungslosen Grundeinkommens.
Im November 2018 stieß die damalige SPD-Chefin Andrea Nahles die Debatte mit umfassenden
Reformforderungen von Hartz IV erneut an. Der Ökonom und Philosoph Philip Kovce
hat einen Sammelband herausgegeben, der sich mit der Geschichte der Idee
beschäftigt.
ZEIT ONLINE: Seit Jahren wird über das bedingungslose Grundeinkommen gestritten. Sie schreiben, die Idee würde provozieren. Warum?
Philip Kovce: Das bedingungslose Grundeinkommen provoziert, weil es bedingungslos ist. Es ist, anders als etwa Hartz IV, keine Sozialleistung, die an Bedürftigkeit und Wohlverhalten geknüpft ist. Vielmehr ist es ein Grundrecht, das die Freiheit des Einzelnen stärkt. Wer es einführen will, der muss nicht nur seine eigene Freiheit, sondern vor allem die Freiheit der anderen zu schätzen wissen.
ZEIT ONLINE: Genau das scheint uns schwerzufallen. Studien ergeben immer wieder, dass Menschen glauben, dass sie selbst mit Grundeinkommen weiterarbeiten würden, andere aber nicht.
Kovce: Ja, es ist paradox. Die Unterstellung lautet: Ich bin fleißig, du bist faul. Ich weiß, worauf es ankommt, die anderen nicht. Dieses gespaltene Menschenbild ist insofern absurd, als Demokratie und Marktwirtschaft längst auf anderen Fundamenten ruhen. Demokratie lebt vom Vertrauen in die Mündigkeit der anderen, Marktwirtschaft vom Vertrauen in die Fähigkeit der anderen. Das Grundeinkommen würde die Grundlage dieser Zusammenarbeit sichern.
"Je weniger ich mir um mein eigenes Einkommen Sorgen machen muss, desto besser kann ich aus freien Stücken für andere tätig sein."
ZEIT ONLINE: Aber widerspricht das Grundeinkommen nicht dem Grundsatz, dass jeder für sich selbst sorgen sollte, ehe er Leistungen anderer in Anspruch nimmt?
Kovce: Wir können in modernen arbeitsteiligen
Gesellschaften gar nicht anders, als andauernd Leistungen anderer zu
beanspruchen. Niemand arbeitet mehr für sich selbst, alle arbeiten dieser Tage für
andere. Dennoch tun wir oftmals so, als seien wir archaische Selbstversorger
auf der wilden Jagd nach Geldscheinen aus Esspapier.
ZEIT ONLINE: Und ein bedingungsloses Grundeinkommen würde das ändern?
Kovce: Es würde dem entgegenwirken, ja. Im Grunde genommen entkrampft das Grundeinkommen unser angespanntes Verhältnis zu Arbeit und Einkommen. Je weniger ich mir um mein eigenes Einkommen Sorgen machen muss, desto besser kann ich aus freien Stücken für andere tätig sein.
Kommentare
Ja, was denn nun, weil es immer thematisiert wird: würde das BGE funktionieren oder würde es es nicht?
Wenn ja: warum gibt es das BGE noch nicht bzw. warum gibt es es nicht?
Es müsste ja langsam Klarheit darüber herrschen.
Entfernt. Bitte bleiben Sie beim Thema. Danke, die Redaktion/ch
Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
Ja, das BGE würde funktionieren.
Es gibt mehr all genug zu den verschiedenen BGE Konzepten zu finden und zu lesen.
Aber sie sehen ja hier in den Kommentaren, dass die wildesten Vermutungen angestellt werden ("niemand arbeitet dann mehr") und oft der blanke Neid herrscht ("Geld ohne Arbeit geht gar nicht").
Vermutlich ist die deutsche Konservative Gesellschaft noch nicht so weit und so offen, mit dem Konzept objektiv umzugehen.
???
Warum war das nicht beim Thema?
Was ist falsch daran dass sich nur Staaten mit autonomen Geldquellen (z.B. Erdöl) ein BGE leisten können und es bei anderen nicht funktioniert?
Die Debatte um das BGE kreist häufig um verhaltenspsychologische Argumente ( Wer geht dann noch arbeiten? ). Mal ökonomisch einfach gedacht:
Wenn alle ein BGE bekommen, haben die Leute deutlich mehr Geld zur Verfügung. Sie konsumieren dann mehr und die Verbraucherpreise steigen ebenfalls deutlich. Daraus ergibt sich das Problem, dass sie Kaufkraft derjenigen, die nur auf Grundlage des BGE leben, innerhalb kurzer Zeit schmilzt. Die Leute werden also ärmer. Was will man dagegen tun? BGE anheben bringt nichts, denn es würde ja für alle steigen und der Kaufkraftverlust ginge weiter. Hilft man denjenigen mit Extraleistungen, deren Kaufkraft stark gesunken ist, wären wir nah an unserem heutigen System, wo die Bedürftigen unterstützt werden und die anderen nicht. Dann müsste man den Aufwand um die Einführung eines BGE aber auch nicht betreiben.
Oder habe ich einen Denkfehler?
@Sachsenkrieger
>> Wer geht dann noch arbeiten? <<
Interessanterweise gibt es ja bereits ein Einkommen ohne(!) Arbeit: Kapitaleinkommen.
Interessanterweise wird diese Frage bei dieser Form des leistungslosen Einkommens aber nie gestellt.
Bisher bei Diskussionen im Freundeskreis nie beantwortete Fragen:
Wie hoch soll das BGE monatlich sein?
Wer bezahlt es?
Welcher Personenkreis erhält es?
Wer macht dann noch die Drecksarbeit?
Wenn man irgendwas mit Medien macht, geht man wohl noch 4 bis 5 mal in der Woche für 4 bis 5 Stunden ins Büro, aber ob die Stadtreinigung noch reibungslos funktioniert? Der Niedriglohnsektor in Deutschland ist so groß, ob da noch Motivation erzeugt werden kann?
@OverTheHills
>> Der Niedriglohnsektor in Deutschland ist so groß, ob da noch Motivation erzeugt werden kann? <<
Dann müssen die Arbeitgeber die Arbeit attraktiver gestalten. Dann muss man gerade Arbeit, die unangenehm ist, besonders gut bezahlen. Prinzip von Angebot und Nachfrage, zudem schafft es einen Wettbewerb unter den Arbeitgebern. Das wird ja sonst auch immer als vorbildlich gepriesen.
es gäbe noch einen anderen ansatz, der in eine ähnlich, wenn auch nicht die gleiche richtung geht und auch nicht bedingungslos sein sollte.
wie im artikel zurecht angesprochen wird, kann man den umverteilenden wohlfahrtsstaat als ein gescheitertes relikt vergangener tage ansehen. die damit verbundene umfassende, zum teil analoge und wenig vernetzte bürokratie, sowie die mangelnde abstimmung verschiedener einrichtungen, ressorts, behörden etc. ist eine wunderbare digitalisierungsaufgabe.
wozu braucht es z.b. rd. 150 sozialpolitische leistungen für familien?
all dies kann man durch eine umfassende digitalisierung lösen, bürgernah und serviceorientiert und zu deutlich geringen kosten. der einzige nachteil sind vorgeschobene datenschutzängste, die als preis für mehr effizenz und bessere staatliche leistungen bei geringeren kosten sicherlich wenig relevant sind.