ZEIT CAMPUS: Paul Ronzheimer, für viele Menschen ist die »Bild«-Zeitung der Inbegriff des Bösen. Warum ist das so?
Paul Ronzheimer: Ich glaube nicht, dass das so ist. Das Image der Zeitung hat sich gewandelt. Und diejenigen, die »Bild« für »böse« halten, haben oftmals die Klischees von vor 30 Jahren im Kopf. Außerdem: Was ist überhaupt böse?
ZEIT CAMPUS: Nach einem tödlichen Unfall die Angehörigen so lange zu belästigen, bis sie Fotos vom Opfer raus geben. Das ist zum Beispiel böse.
Ronzheimer: Klar. Wenn jemand explizit sagt, ich will das nicht, dann muss der Reporter das akzeptieren. Und»Bild« muss besonders sensibel sein, weil wir so im Fokus stehen und man uns schnell Vorwürfe macht.
ZEIT CAMPUS: Das heißt, solche Recherchemethoden kommen nicht vor?
Ronzheimer: Ich habe noch nie so recherchiert. Sicher werden sich Menschen schon von »Bild« überrumpelt gefühlt haben. Es gibt immer einen harten Wettbewerb um die besten, emotionalsten Geschichten. Trotzdem habe ich bisher die Erfahrung gemacht, dass gerade bei »Bild« sehr gewissenhaft gearbeitet wird.
ZEIT CAMPUS: Sie haben in Athen Drachmen an die demonstrierenden Griechen verteilt. Das fanden viele auch ziemlich böse.
Ronzheimer: Ja, das war eine sehr umstrittene Geschichte. Ich bekam über Xing und Facebook später auch endlose Beschimpfungen, »Drecksack«, »Hurensohn«, ich wurde auch von Kollegen angefeindet. Kann ich nicht nachvollziehen.
ZEIT CAMPUS: Wirklich nicht? Man fragt sich ja schon ein wenig, ist das Journalismus oder Satire?
Ronzheimer: Ich habe viel darüber nachgedacht, und es war sicherlich Boulevard an der Grenze. Meine Idee war: Griechen auf der Straße zu fragen, was sie über eine Rückkehr zur Drachme denken. Dazu kam das Foto mit mir und den Scheinen in der Hand. Ja, das hat polarisiert. Die Entwicklung ein Jahr später gibt uns aber in der kritischen Haltung zu den Hilfsmaßnahmen recht.
ZEIT CAMPUS: Geht man deshalb zur »Bild«? Weil es einem Spaß macht, zu polarisieren, zu zündeln und andere aufzuregen?
Ronzheimer: Ich bin zu »Bild« gegangen, weil ich neugierig auf den Polit-Journalismus der Zeitung war. Was das Polarisieren angeht: Schon während meiner Zeit als Reporter bei der »Emder Zeitung« in Ostfriesland fand ich es gut, wenn die Leute über meine Texte gesprochen haben. Oft haben sie die Wahrheit nicht vertragen – und dann war ich auf dem Dorffest eben mal die Sau des Abends, über die sich viele aufgeregt haben.
ZEIT CAMPUS: Wenn Sie heute auf einer Party erzählen, dass Sie bei der »Bild« arbeiten – sind Sie dann immer noch die Sau des Abends?
Ronzheimer: Das ist wie bei der Zeitung selbst: Man polarisiert eben. Die meisten Leute sind vor allem neugierig. Aber es gibt auch ein paar, die sagen: »Was, du, Paul? Das hätte ich aber nicht gedacht.« Und dann kommen mir alle mit ihren Vorurteilen. Das kann manchmal wirklich nerven.
ZEIT CAMPUS: Lassen Sie sich trotzdem auf die Diskussion ein?
Ronzheimer: Mal so, mal so. Wenn ich gerade aus dem Büro komme, habe ich nicht immer Lust, auch noch den ganzen Abend lang über die Arbeit zu reden. Andererseits ist es wichtig, mit Vorurteilen aufzuräumen. Also rede ich meistens mit denjenigen und versuche zu erklären, warum die »Bild« gut ist.
ZEIT CAMPUS: Warum sollte die »Bild« denn gut sein?
Ronzheimer: Weil wir für die Serie zum Beitritt Griechenlands in die EU einen der wichtigsten Wirtschaftsjournalistenpreise gewonnen haben, weil zum Beispiel die Kundus-Affäre von der »Bild« aufgedeckt wurde, weil wir sehr viel Exklusives produzieren. Das sind Dinge, die wollen manche gar nicht hören, weil es an ihrem Bild von der »Bild« rüttelt.
ZEIT CAMPUS: Was hatten Sie für ein Bild von der »Bild«, bevor Sie auf die Journalistenschule des Axel-Springer-Verlags gegangen sind?
Ronzheimer: Ich habe als Kind zu meinem Vater im Urlaub immer gesagt: »Bild« – warum liest du das? Und als Jugendlicher habe ich viele kritische »Bild«-Bücher verschlungen. Dann wurde ich selbst Journalist. Schon als Lokalreporter hat mich »Bild« angefangen zu faszinieren. Es gibt eben kein anderes Blatt, das so vielfältig ist und so viele Emotionen auslösen kann.
Kommentare
Dunkle Seite ist immer relativ...
...ich habe zum Beispiel obwohl ich Nichtraucher bin und nie in meinem Leben eine Zigarette im Mund hatte, kein Problem mit der Tabaklobby.
Steht ja ganz groß darauf, daß Tabak schädlich ist, wer ihn dennoch will, dem sei er gegönnt.
Und Kinder lernen Tabak im Familienkreis kennen und ganz bestimmt nicht von einer Lobby.
Persönlich hätte ich - ironischer weise genauso wie der Tabaklobbyist - wesentlich mehr Probleme mit jemanden von der Rüstungslobby.
Wie gesagt, alles relativ...
Die Grenzen der Rationalität
"Steht ja ganz groß darauf, daß Tabak schädlich ist, wer ihn dennoch will, dem sei er gegönnt."
Ich finde ihr Vertrauen in die menschliche Selbstkontrolle und Rationalität beneidenswert. Als Psychologe kann ich es aber leider nicht teilen.
Jeder weiß, dass Sport gesund ist und Bewegungsmangel kurz und langfristig negative Konsequenzen hat. Deswegen macht jeder entweder Sport oder entscheidet sich rational und aus voller Überzeugung für Bandscheibenvorfälle und Herzinfarkte? Diäten, die wir beginnen ziehen wir immer durch; Arbeit wird nie verschoben; Wir bereuen nie eine Kaufentscheidung. Ist dass wirklich so?
Tabaklobbyisten und Boulevardjournalisten sind wunderschöne Beispiele für Berufe, die darauf basieren unsere Irrationalität auszunutzen. Die einen, dass wir Suchtmittel erst unterschätzen und dann aggressiv verteidigen, wenn die Sucht eingesetzt hat. Die anderen, dass wir Gründe für Fehlverhalten meist auf Eigenschaften von Menschen zurückführen, anstatt auf strukturelle Gründe (z.B. die "faulen" Hartz-IV-Beziehenden).
Spannend ist, dass Jene, die diese Berufe ausüben ebenfalls Opfer von Irrationalität werden. Denn um sich den Abgründen ihrer Tätigkeit nicht stellen zu müssen, rationalisieren sie sich den Beruf schön.
"Zigaretten sind Produkte für
Erwachsene, jeder Erwachsene kennt die gesundheitlichen Risiken mittlerweile und sollte selbst frei entscheiden können, ob er raucht oder nicht. Das ist meine ehrliche Überzeugung."
Das kann gar nicht ehrliche Überzeugung sein. Als Lobbyist der Tabakindustrie weiß Heddenhausen sehr genau, dass die Zielgruppe für die Tabakwerbung, die z.Zt. noch erlaubt ist, nicht Erwachsene sind -wofür auch, die rauchen ja sowieso schon und können nicht mehr aufhören- sondern Jungendliche und Kinder.
So schön ist das unreflektierte Leben...
Wie schön, dass der gute Herr H. sich so eine differenzierte Meinung zum Thema Moral bilden konnte.
Schon in dem Punkt belügt er entweder sich selbst, oder uns Leser, indem der Anbau von Tabak, verbunden mit Ausbeutung auch von Kindern und fatalen Folgen für deren Gesundheit, nicht in diese Frage einbezieht.
Ich tendiere zu der Annahme, das eher letzteres der Fall sein dürfte.
Ob er als deklarierter Gelegenheitsraucher zudem selbst in den Genuß suchtbekämpfender Maßnahmen gekommen ist?
Bei solch einem Job sollte man eigentlich gar nicht erst versuchen sie moralisch rechtzufertigen.
Pauschal? Ja. Das Leben heute glänzt leider selten durch Moralität.
Ich vermisse bei den Interviews
ein Zocker aus der Finanzwirtschaft...