Unsere Autorin weiß jede Minute ihres Alltags effizient zu nutzen. Einfach mal nichts tun, das hat sie verlernt. So kommt man aus der optimierten Freizeit raus.
Als Jugendliche verbrachte ich ganze Tage damit, die Harry-Potter-Hörspiele zu hören. Zugfahrten waren geschenkte Zeit, in der ich mich in die neue Ausgabe der Neon vertiefen konnte. Als Bis(s) zur Mittagsstunde rauskam, las ich das Buch an einem Wochenende durch. Ich strickte mehr Socken, Mützen und Schals, als ich anziehen konnte. Telefonierte nachmittags stundenlang mit einer Freundin, die ich morgens schon in der Schule gesehen hatte. Manchmal war mir sogar langweilig.
Doch als Studentin lernte ich, produktiv zu sein. To-do-Listen anzufertigen, in den Semesterferien Praktika zu machen, freie Nachmittage dafür zu nutzen, endlich mal die WG-Küche aufzuräumen. Irgendwo zwischen Klausurenstress und Selbstoptimierung habe ich das Entspannen verlernt.
Heute formuliere ich E-Mails auf dem Fahrrad, höre Inforadio, während ich putze, denke unter der Dusche über gelungene Texteinstiege nach. Die Produktivität hat sich in meinen Alltag gefressen. Der Preis für meine Effizienz ist das Gefühl, meine Zeit mit sinnvollen Tätigkeiten füllen zu müssen. Pausen machen mich nervös, sie vermitteln mir das Gefühl, Zeit zu verschwenden. Damit bin ich nicht allein. Laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2016 können 42 Prozent der Berufstätigen ohne Kinder in ihrer Freizeit nicht abschalten. Dabei sehne ich mich so sehr danach – einfach mal wieder nichts zu tun. Ich möchte wieder lernen, Zeit selbstvergessen zu verplempern.
"Es ist fast schon zum Statussymbol geworden, produktiv zu sein."
Dafür muss ich erst einmal verstehen, warum ich aus dem Hamsterrad der Effizienz nicht mehr herauskomme. Stefanie Gerold forscht an der TU Berlin unter anderem zu Arbeitszeit. Am Telefon sagt sie, die Beschleunigung sei mittlerweile tief in unserer Gesellschaft und unseren Leben verankert. Wir tun immer mehr, weil wir Angst haben, etwas zu verpassen. "Es ist fast schon zum Statussymbol geworden, produktiv zu sein", sagt die Ökonomin und Politikwissenschaftlerin. "Ob die Tätigkeit sinnvoll ist oder nicht, ist dabei oft zweitrangig."
Ich frage Gerold, ob sie mir einen konkreten Tipp geben kann, wie ich mein Leben etwas entschleunige. Wie ich wegkomme von dem Gefühl, ständig der nächsten Aufgabe hinterherzujagen.
Sie sagt, ich solle Aufgaben streichen. "Manchmal versucht man nur noch, die vielen Bälle in der Luft zu halten, anstatt zu überlegen, ob man einen Ball rausnimmt." Das kann ich bestätigen: Je mehr ich schaffen will, desto mehr bin ich versucht, Dinge gleichzeitig zu tun und ständig meine To-do-Liste abzuarbeiten. Und desto weniger habe ich das Gefühl, einfach mal nichts tun zu können.
Ich denke also darüber nach, welche kleinen Dinge mich an einem normalen Tag beschäftigen. Seit einem Jahr führe ich ein Haushaltsbuch und trage jede Ausgabe in eine App ein. Ich beschließe, damit aufzuhören. Das erspart mir, nach jedem Einkauf mein Handy zu zücken oder mir zu merken, wofür ich wie viel ausgegeben habe. Am Tag darauf bekomme ich eine Mail meines Arbeitgebers mit dem Aufruf, Vorschläge für Artikel zum Thema Postwachstum einzureichen. Es kribbelt mir in den Fingern, denn das Thema interessiert mich. Doch die Deadline fällt in meinen Urlaub, ich müsste ihn dafür unterbrechen. Die Mail bleibt unbeantwortet. Eine Aufgabe weniger. Es fühlt sich gut an.
Ich verbringe den Urlaub dann schließlich doch mit Arbeit. Aber mit körperlicher. Eine Woche lang helfe ich auf einem Segelschiff, das in Kiel in der Werft liegt. Ich klopfe Rost, streiche, lerne, wie man Webeleinen macht, auf denen man wie auf den Sprossen einer Leiter den Mast hochklettert. Obwohl ich arbeite, hat mein Kopf frei. Ich denke nicht über To-dos nach, schaue selten auf mein Smartphone, lese kaum Nachrichten und habe auch nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Warum gelingt es mir, abzuschalten, obwohl ich arbeite? Wie schaffe ich es, etwas von dieser Gelassenheit und Zeitvergessenheit mit in meinen Alltag zu nehmen?
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Drei Methoden, die helfen sollen- 1
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Kommentare
First World Problems...
Oder auch: Dinge, die mir nie passieren könnten
"Doch als Studentin lernte ich, produktiv zu sein."
Ich musste laut lachen...
Kommt auf die Belastung im Studium an. VWL und dann noch die Monate an der Deutschen Journalistenschule. Da kann es mit der Freizeit schon mal eng werden. So ging es mir auch in der Examensvorbereitung. Der Tag war immer durchgetaktet. Zeit die man vertrödeln konnte, gab es einfach nicht.
Um mal ein dummes Klischee zu bedienen: Bei Sozialarbeit sähe das ggf. wieder anders aus.
Wenn ich sehe, was für harte Arbeit Sozialarbeiter machen müssen in unserer Gesellschaft, könnten Sie sich mit ihrer arroganten Haltung schon etwas zurück halten. Das Studium ist nicht mit Mikrobiologie in Harvard zu vergleichen, aber bitte, so schwer wird Ihr Examen auch nicht gewesen sein. Es gibt auch jemand, der auf Sie herab schaut, seien Sie sich sicher.
Ich bin sicher, Sie haben keinen blassen Schimmer wie beanspruchend heutzutage ein Studium oft ist.
Dummheit lacht ...
Ich habe selbst studiert .
Mag sein, vor 35 Jahren.
Es ging doch nur um die Belastung im Studium und das organisierte Arbeiten, das einem dadurch aufgezwungen wird. Über die Härte des Jobs hat hier niemand geredet.
Sie haben keine Ahnung was der Begriff "First World Problems" überhaupt meint, oder.
Falsche Vorurteile. Als jetziger Arbeitnehmer und Absolvent einer Universität kann ich nur sagen, dass ich (und die Mehrheit meiner ehemaligen Kommilitonen) als Arbeitnehmer nun wesentlich mehr Freizeit habe. Vielleicht war das mal irgendwann anders, aber das muss lange her sein.
So alt bin ich noch nichtmal Sie Bessserwisser.
... und schon so borniert.
Etwas, das mir nie passieren könnte ...
Entfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion/lb
Diejenigen, die davon überzeugt sind, dass es ihnen nie passieren kann, sind die am meisten gefährdeten. Das Problem ist doch, dass man es nicht merkt, wenn man in solch einem Wahn schwimmt. Das ist wie mit dem unentwegten Autofahrern. Ich kenne einen Kollegen, der jeden Tag 8 km mit dem Auto zur Arbeit gefahren ist und dafür, dank Stau, immer 40 Minuten gebraucht hat und total entnervt am Arbeitsplatz angekommen ist. Irgendwann hat er dann ein Fahrverbot erhalten, weil er blau am Steuer erwischt wurde und er musste mit dem Fahrrad fahren. Er hat 20 Minuten gebraucht und war perplex und glücklich, wie toll das doch im Vergleich zum Stress im Auto wäre. Er wurde gezwungen, seinen Trott zu ändern und das hat ihm geholfen. Wir sind alle Gewohnheitstiere und merken deshalb nicht, wenn wir uns mit unserem Rhythmus unser Leben ruinieren. Vielmehr rennen wir immer schneller im Glauben dadurch etwas zu erreichen. Aber in Wirklichkeit erreicht man gar nichts, wenn man in die falsche Richtung rennt und je schneller man rennt, desto früher landet man in der Katastrophe.
Zitat:
> Pausen machen mich nervös, sie vermitteln mir das Gefühl, Zeit zu verschwenden
Zu Recht. Das Universum existiert seit 13 Mrd Jahren. Wir leben nur ca 70 bis 90 Jahre.
Da sollte man seine Lebenszeit schon sinnvoll nutzen.
Werde daher jetzt gleich auf den Weihnachtsmarkt gehen und mich dort mit Glühwein volllaufen lassen.
VG
"..und mich dort mit Glühwein volllaufen lassen."
An Ihrem Beitrag merkt man, dass Sie das gestern wohl auch schon gemacht haben.
Leider gibt es an den Toren der Fabriken und Büros keine Transformationsschleusen zur Umwandlung der auf Effizienz getrimmten Arbeitshaltung zur Mußeorientierung, vom verinnerlichten Selbstzwang, alles unter Anspannung und Zeithetze zu setzen, zur Gelassenheit, zum Sein-Lassen, zur heiligen Ruhe. Die auf industrielle Hektik zugerichteten Menschen bleiben die gleichen auch jenseits der Tore ihrer Arbeitsstätten. Entsprechend sieht unser Reich der Freizeit dann auch aus: es ist die Fortsetzung des Produktionswahns an allen Orten. Die Arbeitsmenschen treibt auch in der Freizeit eine stete Unruhe an, etwas zu versäumen, die knappe Zeit nicht
richtig auszunutzen. Um Freizeit effizienter zu nutzen, wird sie darum mit materiellem Zubehör, Gerätschaften aller Art, monumentalen Freizeitcentern und schnellen Fortbewegungsmaschinen zur FlDer voll entfaltete Lohnarbeiter ist ein sozial und psychisch verstümmeltes Wesen.
Mit der Lohnarbeit und Konsum wird ja versucht, tendenziell alle Bedürfnisse durch den Kauf von Waren zu befriedigen. Das kann nicht gelingen, denn neben den materiellen gibt es die nicht minder wichtigen immateriellen Bedürfnisse wie Selbstwertfindung, Anerkennung, Zuneigung und Liebe. Der Industriemensch versucht, systemgerecht auch diese Bedürfnisse durch den Einsatz von materiellen Mitteln zu stillen. Das hat wenig Erfolg und verführt zu ständig höherem Mitteleinsatz.
Das liegt wohl eher an einem persönlich. Ich hatte z.B. nie Probleme damit, umzuschalten.
Ich habe eine tolle Frau und zwei tolle kleine Kinder. Sobald mein Tagwerk erledigt ist und ich von meinem durchaus anspruchsvollen Job nach Hause komme, fühle ich mich wohl und zufrieden, das Abschalten kommt dann ganz von allein, da brauche ich keinen Ratgeber-Impuls. Zugegeben: Manchmal nehme ich auch Auszeiten nur für mich: Sport, wahre Freunde treffen, Lesen usw. Alles ok soweit, obwohl der Anteil fremdbestimmter Zeit durch Familie/Beruf schon immens hoch ist. Die Autorin, so liest sich das zumindest für mich, ist leider Teil dieser medial aufgebauschten Filterblase: Hip, urban, alles geht, digital, total linksliberal und weltoffen, nachhaltig und trotzdem konsumorientiert und oberflächlich. Die Dame tut mir leid: Will irgendwie alles...und erreicht letzten Endes wenig.
Und bei all Ihrer Herablassung lesen Sie dennoch die Zeit, lesen Artikel, die unter anderem auch von dieser Frau geschrieben werden. Und vielleicht lesen Sie die Artikel sogar gerne, wenn auch nicht diesen hier? Die Autorin scheint hart zu arbeiten, unter anderem um Leser wie Sie ein gutes Niveau bieten zu können.