Einen Vorwurf räumt man nicht aus dem Weg, indem man ihn fortwährend wiederholt. Im Gegenteil, dadurch macht man ihn erst unausräumbar. Wenn sich also am Verhältnis zwischen Lesern und Medien – das ja aktuell allgemein als verbesserungswürdig gilt – etwas ändern soll, dann wäre es eine gute Idee, wenn beide Parteien als Erstes aufhörten, sich gegenseitig mit Vorwürfen zu begegnen. Was allein schon deshalb leicht zu bewerkstelligen sein dürfte, als das Kritikrepertoire auf beiden Seiten ziemlich überschaubar ausfällt: Die Leser halten die Medien für manipulativ und/oder gleichgeschaltet, und die Medien machen die Leser für den Niedergang der Kommentarkultur verantwortlich.
Nun räumt man einen Vorwurf natürlich auch nicht aus dem Weg, indem man ihn gar nicht mehr thematisiert. Sondern indem man die Wurzeln des Übels ermittelt und sie beseitigt. Aber was, wenn sich die Vorwürfe als haltlos herausstellen?
Es ist verständlich, wenn Leser angesichts der Komplexität aktueller Konflikte auf griffige Erklärungen hoffen. Es ist aber genauso verständlich, dass Redakteure diese nicht liefern – es sei denn, sie arbeiten für radikale oder verschwörungstheoretische Organe. Es ist verständlich, wenn Leser im Kommentarbereich Antworten auf ihre Fragen und Kritik einfordern und sich empören, wenn diese ausbleiben. Es ist aber genauso verständlich, wenn Redakteure auf persönliche Beleidigungen und pauschale Kritik nicht reagieren, weil sie die Achtung vor sich selbst und ihrer journalistischen Arbeit wahren wollen.
So verständlich der Unmut auf beiden Seiten aber auch sein mag, die daraus erwachsenen Vorwürfe sind haltlos: Noch nie hatten Journalisten wie Leser so leicht Zugriff auf eine Vielfalt von Quellen, noch nie war es so einfach, sich Informationen zu beschaffen und in eine Debatte einzubringen, noch nie gab es so viele unterschiedliche Plattformen und Werkzeuge, der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen und die der anderen zu vernehmen. Das erzeugt nicht mediale Gleichschaltung und Niedergang der Kommentarkultur, sondern im Gegenteil Medienvielfalt und eine lebendige Diskurslandschaft.
Nur: Je vehementer man einen Vorwurf äußert, desto schwieriger wird es, sich davon zu lösen. Das Resultat ist ein verengter, eingefahrener Blick auf beiden Seiten. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass der gesamte Journalistenstand und die gesamte Leserschaft im Verlauf der letzten Monate, in denen sich die gegenseitige Vorwurfhaltung einer unguten Klimax entgegengeschraubt hat, ihr Urteilsvermögen komplett verloren haben. Es gibt also Grund zur Hoffnung, dass die Haltlosigkeit der gemachten Vorwürfe beiden Seiten auffällt. Dass beide Seiten erkennen: Wir haben uns falsch eingeschätzt.
Letztlich wollen wir nämlich alle das Gleiche: eine kritische Auseinandersetzung mit den unsere Zeit bestimmenden Diskursen. Und dieses gemeinsamen Interesses müssen wir uns wieder gewahr werden. Wir brauchen eine positive Grundhaltung. Die ständige Negativfokussierung verstellt nicht nur den Blick auf die positiven Seiten des Medien-Leser-Verhältnisses. Sie gibt Lesern das Gefühl, nicht willkommen zu sein, und sie gibt Redakteuren das Gefühl, in schwarze Löcher zu schreiben. Sie verhindert gegenseitige Wertschätzung.
Wir erleben jeden Tag, wie engagiert und konstruktiv unsere Leser unsere Arbeit kommentieren, und wir versuchen jeden Tag, unseren Lesern den größtmöglichen Raum zur Entfaltung ihrer Teilhabe zu geben. Dass sich die darin enthaltene Wertschätzung nur indirekt äußert, macht sie nicht weniger wertvoll. Das dürfen beide Seiten nicht aus dem Blick verlieren.
Kommentare
Danke...
...fuer das Lob!
Solidarisch,
besorgter-mitbuerger
Im Artikel geht es darum, das die gegenseitige Achtung in den Debatten fehlt. Bitte bemühen Sie sich darum, respektvoll Kritik zu üben. Die Redaktion/fk.
Journalismuskritik
Mich würde interessieren, woran Sie die Qualität des Journalismus festmachen, und insbesondere dessen Fehlen; davon hängt z. B. auch ab, ob es sich bei der getätigten Aussage um eine nüchterne Feststellung handelt :)
Unabhängig davon, ob sie Recht haben: Derzeit steht lediglich eine Behauptung im Raum, die ohne entsprechende Verweise oder Belege der Diskussionskultur sicherlich nicht förderlich ist.
Die Medien unterschätzen ihre Leserschaft
"Es ist verständlich, wenn Leser angesichts der Komplexität aktueller Konflikte auf griffige Erklärungen hoffen. Es ist aber genauso verständlich, dass Redakteure diese nicht liefern – es sei denn, sie arbeiten für radikale oder verschwörungstheoretische Organe."
Leider ist das Gegenteil hiervon der Fall. Komplexe Themen werden häufig einseitig und tendenziös aufbereitet und gehen oft mit einer Parteinahme des Autors einher, anstatt die Hintergründe sowie die Sicht beider Konfliktparteien lediglich möglichst wertneutral wiederzugeben. Wer dem Leser durch Polemik die eigene Sicht der Dinge aufzuoktroyieren versucht, so als ob dieser politisch unmündig und nicht in der Lage sei sich sein eigenes Urteil zu bilden, unterschätzt seine Leserschaft. Die Leser fühlen sich dementsprechend nicht ernst genommen und verschaukelt. Und wenn dann auch noch in allen deutschen Leitmedien zu einem komplexen politischen Sachverhalt ein und dieselbe Haltung zum Ausdruck kommt, ist das für das Vertrauensverhältnis zwischen Lesern und Medien nicht wirklich förderlich.
Nicht jeder Konflikt ist nur Aussage gegen Aussage
Könnten Sie Beispiele nennen für Polemik und tendenziöse Aufbereitung?
Die Sicht beider Konfliktparteien "lediglich möglichst wertneutral wiederzugeben", ist nur angemessen, wenn beide Sichten mehr oder weniger plausibel sind. Hat aber eine Konfliktpartei fair betrachtet die eindeutig besseren Argumente, wird gerade wertneutrale Wiedergabe ein verzerrtes tendenziöses Bild erzeugen. Der Journalist würde den Eindruck erwecken, schlechte Argumente seien genauso viel wert wie gute.
Es ist nicht der Fall, dass automatisch jedes beliebige Argument so gut ist, wie jedes andere. Man darf wahrheitsgemäß gewichten.
(Da Sie vermutlich auf die Ukraine anspielen: Ja, meiner Meinung nach hat der Westen, bei all seinen Fehlern, in dieser Frage die besseren Argumente. Die einzigen zwei Argumente des Kreml scheinen zu sein "die Nato-Osterweiterung ging uns zu schnell, wir fühlen uns bedrängt", was ein gewisses Gewicht hat aber keine Annexion rechtfertigt, und "der Westen hat sich falsch verhalten mit dem Irakkrieg und sonstwas, also verhalten wir uns jetzt auch mal gewaltig falsch".)
hüstel, hüstel, ...
... da soll sich die Redaktion doch vor allem an die eigene Nase fassen!
Ich kann nur für mich alleine reden ... und da ist das Verhalten de Redaktion eher absurd.
Die Redaktion läßt auch an unsinnigen Stellen 'zensieren'.
Und frecherweise bekommt man keine Gelegenheit zum Überarbeiten.
Völlig daneben: man bekommt sogar den eingestellten Text nicht mehr zu sehen oder wenigstens per Mail zurückgeschickt.
Ich habe mich zuletzt zu viel geärgert und werde die ZEIT weniger reflektieren.
Hier Beispiele:
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Kommentare, die vom Thema wegführen. Die Redaktion/lh
Entfernt. Bitte beachten Sie, dass der Kommentarbereich zur Diskussion des konkreten Artikelthemas vorgesehen ist. Die Redaktion/lh
Bitte verzichten Sie auf Pauschalisierungen. Danke, die Redaktion/fk
Kommentar wiederhergestellt. Die Redaktion/dj
Bezugskommentar wiederhergestellt, bitte entschuldigen Sie das Missverständnis. Die Redaktion/dj