Alternative Beziehungsmodelle haben mich schon immer interessiert. Meinen Partner weniger. Wir sind seit acht Jahren so gut wie monogam zusammen und seit einem Jahr verheiratet. Gespräche über mögliche Formen einer offenen Beziehung haben wir immer wieder geführt. Wir sind beide der Meinung, dass ein Mensch weder alle Erwartungen seines Partners erfüllen kann noch muss. Und wir glauben beide nicht an die eine große Liebe, sondern daran, dass man selbst viele verschiedene Persönlichkeiten ist und durch einen Partner nur eine davon bedient wird. Unsere Liebe beruht auf Kommunikation. Wir reden viel, ehrlich und tiefgreifend über die Dinge, die uns bewegen. Bei uns ist "über alles reden" keine Floskel. Es gibt nichts, was er nicht von mir weiß.
Ich war stets die treibende Kraft für sexuelle Kontakte außerhalb unserer Beziehung, und es gab Momente, in denen mir die Freiheit, das zu tun, was ich wollte, wichtiger war als die Beziehung. Ein Jahr vor unserer Hochzeit vereinbarten wir, dass der jeweils andere mit einer anderen Person schlafen dürfe, wenn es sich um ein einmaliges Erlebnis handelt, z. B. nachts nach einer Party. Wenn es also einfach passieren würde.
Wir sind in unserem Freundeskreis die einzigen, die über so etwas ernsthaft sprechen, geschweige denn bereit sind, es ernsthaft auszuprobieren. Nur wirklich enge Freunde wissen über unseren Deal Bescheid, weil wir Angst haben, nicht so angenommen zu werden, wie wir sind: Ich als treibende Kraft zu Abenteuern außerhalb der Beziehung, er als liebender Partner, der mir diese Ausbrüche durchgehen lässt.
Beim ersten Mann war es dann auch wirklich nur eine Nacht. Ich kannte ihn schon seit Jahren und es ging nur um Sex. Beim zweiten Mann begann es als Flirt mit freundschaftlichem Interesse. Wir trafen uns, gingen ins Museum, tranken Tee, quatschten und lachten. Solange nichts Sexuelles lief, konnte das noch als konventionelles freundschaftliches Verhalten durchgehen.
Aber die Spannung wuchs und beim vierten Treffen landeten wir im Bett. Ich war inzwischen verheiratet und der Mann war sich dessen von Anfang an bewusst. Doch plötzlich befand ich mich – und mit mir mein Mann – in einer Lage, die keiner von uns vorhergesehen hatte. Aus dem Sex war mehr geworden. Ich mochte ihn als Mensch und wollte ihn wiedersehen.
Ich traf ihn noch zwei Mal, beide Male hatten wir auch Sex, dann wurde ein ausführliches Gespräch mit meinem Partner notwendig. Wir hatten uns voneinander entfernt. Er hatte Angst, verlassen zu werden, und wir wussten beide nicht, wie wir mit der Situation umgehen sollten. Wir konnten auch niemanden um Rat fragen, weil keiner unserer Freunde oder Bekannten Erfahrung mit so etwas hatte.
Uns wurde klar, dass bei einer offenen Beziehung Fragen auftauchen, die wir vorher nicht bedacht hatten: Wie viel Zeit räume ich diesem neuen Mann ein? Darf ich ein ganzes Wochenende mit ihm verbringen? Darf ich in den Urlaub mit ihm fahren?
Ich war in einer Zwickmühle. Einerseits hatte ich das bekommen, was ich mir gewünscht hatte – die Freiheit, eine zweite Beziehung einzugehen, und die Liebe meines Partners. Andererseits musste ich erkennen, dass es Wünsche und Träume gibt, die mit der Realität nicht vereinbar sind. Mein Partner litt unter der Situation und ich litt unter seinem Leiden. Ich konnte keine erfüllende, liebevolle Beziehung mit ihm führen, und mich gleichzeitig emotional und körperlich auf einen Dritten einlassen. Ich würde es gerne können, aber ich kann es nicht. Es war hart für mich, das zu akzeptieren.
Mein Partner und ich haben vereinbart, dass ich den anderen Mann erst mal nicht wiedersehen werde. Das fällt mir extrem schwer. Ich leide wie nach einer Trennung, denn er ist ständig in meinem Kopf. Ich habe durch diese Geschichte, die gerade erst ein paar Wochen her ist, viel über mich gelernt. Und über meine Beziehung. Vielleicht muss man in jeder Beziehung, wie in so vielen anderen Bereichen auch, erst ein paar Erfahrungen machen und Grenzen austesten, bevor man weiß, wie alles läuft.
Der Deal mit meinem Mann besteht übrigens weiter. Ob ich noch einmal mit einem anderen Mann etwas anfangen werde? Vielleicht. Aber bestimmt nicht in naher Zukunft.
Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie Mit viel Liebe. Wir freuen uns weiterhin auf Ihre Einsendung – bitte per Email an leseraufruf@zeit.de, Betreff "Mit viel Liebe".
Die Autorin schreibt unter Pseudonym. Ihr richtiger Name ist der Redaktion bekannt.
Kommentare
Von Anfang an ehrlich zu sich selber und dem anderen sein
EINERSEITS :
Ich bin der Meinung, dass es ehrliche offene Beziehungen und verlogene monogame Beziehungen gibt ( oder sage ich besser offiziell monogame Beziehungen ? )
ANDERERSEITS :
Ich bin der Meinung, dass eine offene Beziehung tatsächlich ehrlich von beiden gewollt sein muss.
Wenn einer nur eine offene Beziehung mitmacht, um den anderen nicht zu verlieren, dann ist das nicht eine gute Sache.
Dann passen die beiden nicht wirklich zu sammen.
Da ist es dann wichtig, von Anfang an ehrlich zu sich selbst und zu dem anderen zu sein :
Was möchte ich selber wirklich ?
Möchte ich das ( eine offene Beziehung ) wirklich selber oder mache ich das nur dem anderen zuliebe mit?
Ich denke, wenn ich das nicht wirklich selber will und es in Wahrheit nur dem anderen zuliebe mitmache, dann soll ich es bleiben lassen.
Dann soll ich mir lieber einen Partner suchen, der die gleichen Bedürfnisse nach Monogamie und Treue hat wie ich.
Post-Mortem-Analyse
Eigentlich ist doch ziemlich offensichtlich, was in dieser Beziehung danebengegangen ist:
• Regeln aus Erfahrungsmangel an der Realität vorbei aufgestellt
• eigene Wünsche und Bedürfnisse nicht/unzureichend ausgedrückt
• als es notwendig wurde, nicht darüber gesprochen/"nachverhandelt"
(da gibt es noch weitere Punkte, aber die wird nur jemand verstehen, der schon einvernehmliche nicht-Monogamie versucht hat…)
Die Autorin hat also eine Bauchlandung hingelegt, ein paar Schrammen davongetragen und über sich selbst gelernt, daß sie nicht an unverbindlichem Sex sondern an persönlicher Nähe interessiert ist. Das ist doch an sich ein Erfolg.
Ihr eigener Schluß daraus war, es erst einmal nicht wieder zu versuchen. Ob das letztendlich die beste Methode ist, ihren Bedürfnissen Rechnung zu tragen, sei dahingestellt (ich glaube ja eher, daß eine tiefere gemeinsame Analyse, was da warum passiert ist, ggf. mit einem neutralen oder wohlwollenden Dritten, mehr Verständnis erreichen würde), aber sie war wesentlich ehrlicher zu sich und ihrem Partner als die *untreue* Mehrheit (alleine das sollte ihrem Partner schon sagen, daß er – bei dem Risiko, das die Wahrheit mit sich bringt – sehr hoch auf ihrer Liste der wichtigen Dinge stehen muß).
Nur als Hinweis: Das schlimmste ist die Angst, daß der andere Partner toller, besser, schöner (…) sein könnte als man selbst. Sobald das Monster im Horrorfilm ganz zu sehen ist, büßt es diesen Schrecken ein. Das gilt auch hier.
Was mir an den Kommentaren auffällt...
... ist ein merkwürdig rudimentäres Bewusstsein davon, wie tief eine sexuelle Berührung zwei Menschen verbindet. "One night stand.." und vorbei? Oh no, John! Es bleibt eine Menge im Hinterkopf und wird gar nicht so selten auch bewusst - und dann ist Holland in Not. Wegwerfen geht nicht, weil man sich eigentlich dann gleich selbst mit wegwerfen möchte und hingehen geht auch nicht - da sind der/die PartnerIn und die Kinder...
Ich finde, erwachsen sein heisst: sich die Sache vorher oder jedenfalls nach der ersten schwierigen Erfahrung ganz genau zu überlegen - und dann Konsequenzen zu ziehen. Das hat weder etwas mit "altbacken-konservativ" noch mit Freiheitsberaubung zu tun, aber sehr wohl mit erwachsener und konsequenter Fürsorge für alle Beteiligten - und das sind eben oft nicht nur die drei Erwachsenen. Die Alternative heisst : "ungeklärt" und bedeutet bis auf ganz wenige Ausnahmen letztlich eine wesentlich größere Menge Leid als der Verzicht mit sich bringen würde...
Es gibt aber eine Menge Leute, die (in verschiedenster Hinsicht) nicht wirklich wissen wollen, was sie tun bzw. welche Konsequenzen ihr Tun (für alle Beteiligten) hat. Das bringt unsere Verdrängungskultur so mit sich und ist Fakt - also traurig genug. Wenn ich sowas bei mir entdecke - was durchaus vorkommt - versuche ich, mich selbst bewusst und willentlich umzusteuern und daraus zu lernen. Das gelingt trotz manchen Trainings nicht immer, aber selbst die Absicht ist schon spürbar hilfreich.
Schrecklich, so etwas zu lesen. Da leben zwei, die meinen eine Beziehung zu führen, komplett nebeneinander her. Alles, was sie voneinander erwarten ist, dass der eine bei dem anderen "Erwartungen erfüllt" oder "Persönlichkeiten bedient".
Bis zu dem Zeitpunkt der Erkenntnis, dass man nunmal nur 1 Leben leben kann (= Demut), hat hier keine Beziehung, sondern lediglich ein (gegenseitiges) Benutzen (= Hochmut) stattgefunden.
Es besteht die Chance, dass daraus eine Beziehung entsteht, wenn aus der jetzt getroffenen Vereinbarung die richtigen Schlüsse gezogen werden. Vielleicht kommt unter Beimischung von weiterer Demut auch ein bisschen Liebe auf.
Demut kann überall dort entstehen, wo Grenzen (an-)erkannt werden. Grenzen zu finden, das geht ganz schnell, wenn man versucht, eine reife, trägfähige Lebensphilosophie zu entwickeln. Eine Lebensphilosophie, die versucht, das Leben als ganzes zu fassen, ist reif und tragfähig.
Womöglich sind Vereinbarungen immer der Anfang von Liebes-Beziehungen. Und es ist kein Zufall, dass das Versprechen ... der Anfang der Ehe ist. Vielleicht ist das Versprechen, das die Kirche verlangt aber doch ein bisschen sehr groß. Zudem wird es zu einem Zeitpunkt abgenommen, an dem die meisten soo weit noch nicht schauen können, weil sie vom "Hochmut der Jugend" noch arg geblendet sind.
So könnte ich grad meinen, dass das Modell "offene Beziehung" prinzipiell zum Scheitern verurteilt ist, wenn Menschen sich geistig weiter entwickeln möchten. Jo.