Diesen Text können Sie kommentieren. Sie können hier Ihre Gedanken zum Thema formulieren, den Autor kritisieren, zusätzliche Informationen liefern. Sie werden dies wahrscheinlich für selbstverständlich halten, selbst wenn Sie zu jenen Geburtsjahrgängen gehören, die sich noch daran erinnern, wie es vor 20 Jahren war, als es noch keine Kommentarbereiche gab im Netz und auch keine Publikumsmedien. Als Onlinepionier hätten Sie in den achtziger Jahren natürlich per Mailingliste kommuniziert und vielleicht in einer der Newsgroups des Netzwerkes Usenet debattiert. Sie hätten den Onlinedienst Compuserve genutzt, der ab 1979 private E-Mail-Adressen anbot und ab 1980 sogenannte Live-Chats und Special Interest Groups, in denen Sie über Spezialthemengebiete diskutiert hätten, in einer geschlossenen Parallelwelt, die sich in der Rückschau als "einziger Tummelplatz für Nerds" erwies. Der Versuch von acht US-amerikanischen Zeitungen, eine "elektronischen Zeitung" und damit ein breiteres Informationsangebot zu produzieren, scheiterte 1981 daran, dass Sie keine Geduld aufbrachten, zwei Stunden zu warten, bis die Datenübertragung abgeschlossen war. Den Durchbruch brachte 1991 das World Wide Web und die Entscheidung seines Erfinders Tim Berners-Lee, auf Patente zu verzichten und das Netz jedem frei zugänglich zu machen. Vielleicht gehörten Sie auch zu denen, die den Internet-Boom in Deutschland befeuerten, als Sie einen billigen PC bei Aldi erwarben, mit dem Sie ab 1992 online die Chicago Tribune lesen konnten, nach Eigenauskunft der erste Onlineauftritt eines amerikanischen Mediums. Ab 1994 folgte mit dem Spiegel das weltweit erste Magazin im Netz, 1996 mit dem ZDF eine der ersten Rundfunkanstalten. Alle Onlinemedien-Pioniere eint, dass sie von Anfang an über Publikumspartizipation nachdachten. Wie unterschiedlich die ersten Schritte hin zum Leserdialog ausfielen und wohin sie sich entwickelten, zeigen folgende fünf Beispiele.
Plötzlich waren alle erreichbar: "Spiegel Online"
1994 ging der Spiegel einen Tag vor dem Time Magazine als erstes Magazin der Welt online. Frank Patalong, ehemaliger Netzwelt-Ressortleiter von Spiegel Online: "Plötzlich waren alle erreichbar. Journalisten, die sich mit der neuen Technologie beschäftigten, waren regelrecht angefixt von den neuen Möglichkeiten, die sich dadurch eröffneten." Vor allem, weil Spiegel-Autoren damals noch anonym publizierten, im Netz jedoch mit Namen auftraten und der Forenkultur entsprechend geduzt wurden. Patalong erinnert sich an ein Experiment im Jahr 2000: Zwei Redakteure joggten durch New York, während er selbst in Hamburg mit Lesern chattete. Diese sagten ihm an, wo die Kollegen entlanglaufen sollten. Mithilfe eines Webcam-Verzeichnisses winkten die Redakteure den Lesern an bestimmten Stellen zu. Alle freuten sich, aber "nach 24 Stunden kam der Betriebsrat in mein Büro und sagte: 'Bitte geh jetzt nach Hause'". Spiegel Online habe sich mehr als eigenständiges Start-up denn als Spin-off des Spiegel verstanden. Deshalb auch der anfängliche Eifer, auf geregelte Arbeitszeiten zu verzichten und die Lust am Herumexperimentieren mit interaktiven Elementen, die abhängig von den technischen Möglichkeiten erweitert wurden. Anfangs fand die Kommunikation mit den Lesern auf externen Seiten statt, auf dem Netzwerk Usenet oder über einmal täglich aktualisierte Mailboxen. 1996 erhöhte das Magazin den "Surfspaß im Netz" durch ein Forum, 2002 wurden Kommentarbereiche unter Nachrichtenbeiträgen eingerichtet. Heute ist das Angebot zur Leserpartizipation Standard, aber in den Anfängen sorgte es für Furore: Über einen 1994 organisierten Live-Chat mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Sachsen, Kurt Biedenkopf (CDU), jedenfalls berichtete sogar das Wall Street Journal auf dem Titel.
Euphorie aus Übersee: "derStandard.at"
Gerlinde Hinterleitner, Gründerin und Verlagsleiterin von derStandard.at aus Österreich, erinnert sich an den Gründungsmoment im Jahr 1995: "Ich bin mit Kollegen abends ins Wirtshaus gegangen, wo uns der Kollege einer anderen Zeitung voller Euphorie erzählte, man könne ab sofort das Time Magazine im Internet lesen. Wir waren fasziniert und beschlossen noch in jener Nacht, den Standard ins Netz zu bringen." Der Dialog mit den Lesern war von vornherein geplant, aber technisch nicht umsetzbar wie gewünscht. Zunächst gab es ein Leseforum: Leser schickten ihre Kommentare zu Artikeln per E-Mail an die Redaktion, wo sie als Leser-E-Mail manuell auf der Webseite eingepflegt wurden. Was Hinterleitner 1999 zur Einführung der Kommentarfunktion inspirierte, erinnert sie nicht mehr, aber Vorbilder hätte es jedenfalls keine gegeben: "Wir bilden uns ein, die ersten mit Kommentarbereichen unter Artikeln gewesen zu sein." Heute bietet derStandard.at eines der vielfältigsten Onlineangebote für lesergenerierte Inhalte und zeigt dabei oft spielerische Neigungen, wie etwa das vielleicht gehaltvollste Off-Topic-Forum des deutschsprachigen Internets beweist.
Kein Kommentarbereich bis heute: ZDF
Die Domain zdf.de registrierte ZDF-Webmaster Harald Stief bereits 1992, als er im ZDF-Studio Washington arbeitete, aber online ging die Seite erst 1996 – immerhin noch ein Jahr vor der BBC und früher als viele andere Sender. 1998 wurde der Bereich Chats und Foren eingeführt. Hier wurde über das Fernsehprogramm, aber auch aktuelle politische Ereignisse "intensiv gestritten". Auf die Einführung eines Kommentarbereichs wurde verzichtet, denn die Erfahrungen hätten gezeigt, "dass man die Diskussion und deren Moderation lieber den netzgeübten Experten bei den Chats und Foren überlässt", erklärt Jürgen Kleinknecht, Leiter der Neuen Medien im ZDF. Man habe beobachtet, dass in den sozialen Medien der Ton besser sei, auch aufgrund der Klarnamen fände man dort meist qualifiziertere Beiträge. Deshalb habe ZDF heute die Diskussion über Nachrichten auf Facebook ausgelagert. Das ZDF mag nicht für eine experimentierfreudige Zielgruppe stehen, aber in der Geschichte finden sich durchaus innovative Ansätze. Schon 1999 wurde ein Videochat durchgeführt, der an das heutige Format von Google Hangouts erinnert: Der Sänger Abi Ofarim chattete dort mit dem Publikum – genauer: mit Zuschauern der Sendung ZDF-Wintergarten.
Kommentare
Insgesamt halte ich die Kommentarfunktion bei ZON für nutzerfreundlich und muss sie daher loben. Die Kriterien für Löschung sind gleichwohl politisch eindeutig zu verorten. Bei bestimmten Reizbegriffen verbittet sich die Moderation nicht nur jeden Anflug von Polemik, sondern auch Ironie oder einfach offene Kritik. Nun gut, es Ihr Organ und es verbleibt natürlich in Ihrer Verfügungsgewalt. Aber das journalistische Berufsethos in einer freiheitlichen Gesellschaft kann bisweilen eine harte Nuss sein.
Das kann ich bestätigen.
An dieser Stelle ein grosses Lob an die Macher von Zeit online.
Die Kommentarfunktion von zeit.de war für mich der Hauptgrund, von Spiegel online auf zeit.de als meine primäre Quelle für Nachrichten aus Deutschland zu wechseln.
Hier wird wenigstens die Leserschaft nicht zensiert, selbst wenn sie manchmal Meinungen haben mögen, die konträr zum Verfasser des jeweiligen Artikels sind.
Wenn man Subjektivität, die in leider fast jedem journalistischem Text zu finden ist, nicht kritisieren darf, dann geht das für mich ganz klar Meinungsmache.
Wer sich mit der Gegenmeinung nicht auseinandersetzen kann oder will, der kann die objektiv beste Wahrheit nie finden. Hierfür muss nunmal abgewogen werden zwischen allen Pro und Contra Argumenten. Und dafür muss man diese erstmal finden.
Wenn Kommentare zu manchen Themen verboten werden, hat Journalismus leicht die Tendenz manipulativ zu werden, und das ist die schlechteste Form von Journamismus.
Dass die Leser nicht zensiert werden, kann ich so nicht bestätigen.
Ich finde die Kommentarfunktion ansich echt super und est ist der Hauptgrund warum ich zeit.de nutze.
Jedoch ist da ein riesiges Problem, welches sich schon heute, jedoch in der Zukunft noch stärker aus Kommentarbereichen ergeben könnte:
Ich ertappe mich selbst bei der unterbewussten Annahme, das ich Meinungen, die viele positive Leserbewertungen haben, tendenziell eher die Chance gebe, Glauben zu schenken, als solche ohne viele Leserbewertungen.
Das ist ansich nichts verkehrtes, die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, das ein hoch gewerteter Kommentar qualitativ wertvoller ist als ein niedriger, solange es echte Menschen sind die da am Werke sind.
Hier besteht aber ebenso die Gefahr, von Regierungen und Firmen mit Kapital manipuliert zu werden. Upvotes sind für skrupellose viel einfacher zu kaufen, und sobald diese eine kritische Masse erreicht haben, bekommen sie auch mehr Menschen zu lesen und teilen diese auch leichter.
Viele hier nennen die Kommentare zur Ukraine Krise als Beispiel.... das machen Firmen wie Cambridge Analytica und viele andere mitlerweile wirklich hoch professionell, und die Gefahr ist nicht zu unterschätzen. Ich befürchte, das hier oft auch keine einzelnen Nutzer sind sondern Professionelle am Werke sind, mit dem Motiv die öffentliche Meinung aus kommerziellen oder propagandistischen Zwecken zu manipulieren.
Mit verbesserter KI wird die Gefahr hierfür deutlich steigen.
Immerhin bestehen manche Chatbots schon heute den Touring Test....
Ich bin skeptisch in Bezug auf Ihre Annahme, dass die Likes gekauft sind.
1. Jeder Like muss von einem registrierten Benutzer kommen.
2. Diese Benutzer sollten ein plausibles Profil haben, also z.B. nicht nur einfach den "Empfehlen-Button" drücken, sondern z.B. vorher ein paar Seiten aufgerufen haben etc. sonst wäre ein solcher Eingriff leicht aus den Logfiles zu entdecken.
3. Ausserdem müssten die Klicks von mehreren verschiedenen IPs kommen, sonst wäre das auch leicht als unplausibel zu identifizieren.
Im Prinzip sind alle diese Dinge zu automatisieren und man könnte damit das "Upvoting" manipulieren. Allerdings muss man dazu schon ziemlichen Aufwand betreiben, um alle Aktionen der Pseudo-Nutzer auch realistisch aussehen zu lassen.
Der Effekt darf aber auch nicht zu extrem sein, damit es auch nicht komisch aussieht (10.000 Likes?).
Und die Manipulation betrifft dann nur diejenigen, die sich von den Likes beeinflussen lassen (wie "Sie" nach eigener Aussage, aber auch schon wieder reflektiert), während ich z.B. mich darum überhaupt nicht kümmere.
Nun ja, möglich, aber meines Erachtens den Aufwand nicht wert...
Übrigens: es heisst Turing-Test, nach dem Mathematiker und Computer-Pionier Alan Turing.
Es kann sich übrigens durchaus sehr lohnen diesbezüglich auch die wissenschaftliche Literatur und die Forschungsergebnisse bezüglich "Foren" im Bereich e-Learning zu studieren.
Die bereits umfangreichen Erkenntnisse werden leider nicht selten ignoriert - Foren sind bei genauer Betrachtung e-Learning-Plattformen.
Völlig ihrer Meinung!
Haben Sie zufällig ein paar gute Quellen, die Sie hier verlinken können?