"Ich hasse YouTube!" Das soll Nasim Aghdam gesagt haben, bevor sie
am vergangenen Dienstag in der kalifornischen Zentrale von YouTube drei
Menschen angeschossen und sich anschließend selbst getötet hatte. Die Aktivistin
befand sich seit Längerem im Streit mit YouTube und warf dem Unternehmen Zensur
vor. Auf ihrer Website, auf der sie unter anderem Verschwörungstheorien
wiedergab, schrieb sie: "YouTube hat meine Kanäle gefiltert, um zu
verhindern, dass sie angeschaut werden." Auch wenn ihre Gewalttat
in keinem Verhältnis dazu steht, treibt sie ein globales Problem auf die
Spitze: die Ohnmacht der Nutzer und Nutzerinnen gegenüber Onlineplattformen.
In den vergangenen Monaten wurde
viel über die Macht der sozialen Medien gesprochen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg spricht in diesen Tagen vor dem US-Kongress über den Datenmissbrauch
und die Einflussnahme auf Wahlen. In Deutschland hat die Einführung des
Netzwerkdurchsetzungsgesetzes zu Beginn des Jahres gezeigt, wie schwierig es
ist, die Inhalte in sozialen Netzwerken zu moderieren. In der Debatte wurde
klar, wie intransparent die Unternehmen sind, die auch hierzulande die
Infrastruktur für die digitale Öffentlichkeit stellen. Dabei war oft die Rede
von Facebook und Twitter, seltener von YouTube.
Doch gerade der Videodienst hat durch seine Reichweite und quasi Monopolstellung einen großen Einfluss: 1,5 Milliarden Nutzer loggen sich jeden Monat bei YouTube ein. Das ist jeder fünfte Mensch dieser Erde. Seit 2006 gehört der Videodienst zu Google. Ist es legitim, dass ein einziges privates Unternehmen eine solche Macht über den öffentlichen Diskurs hat? Diese Frage stellt sich Christian Katzenbach, Forscher am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin. "Soziale Medien wie YouTube sind extrem schnell zu zentralen Organisatoren öffentlicher Kommunikation geworden", sagt Katzenbach.
Wer fragt, bekommt selten Antworten
YouTube löscht täglich Tausende, womöglich Zehntausende Videos. Dabei passieren Fehler. Am 12. März sperrte YouTube ein Video des aktivistischen Kollektivs Peng!. In dem Video namens Deutschland geht klauen ruft das Kollektiv indirekt dazu auf, in großen deutschen Supermarktketten bestimmte Waren zu stehlen und das Geld per App an die Produzenten zu senden. Gil Schneider ist Teil von Peng!. Als sie sich am 12. März einloggte, saß sie vor einem schwarzen Bildschirm: "This video has been removed for violating YouTube's policy on spam, deceptive practices and scams." – gelöscht, weil es mutmaßlich gegen die Nutzungsbedingungen verstieß.
Unter dem Hinweis stand in kleinerer Schrift ein Link: "Mehr erfahren". Schneider ist ihm gefolgt. Sie wollte herausfinden, warum das Video gesperrt wurde. Sie hat gemailt, getwittert und mit Zuständigen von YouTube telefoniert. Wenige Tage später war das Video wieder online. Schneiders Fragen aber blieben unbeantwortet.
Immer wieder kommt es vor, dass YouTube Videos von politischen Organisationen löscht und nach erneuter Prüfung wieder online stellt. Hatespeech oder Satire? Fake News oder Kampagne? "Das ist schwer zu unterscheiden. YouTube muss heute dank des NetzDG binnen 24 Stunden klären, worüber Gerichte früher jahrelang berieten. Und das mithilfe von Maschinen oder schlecht geschulten Mitarbeitern", sagt Christian Katzenbach. Hinzu kommt: Während das NetzDG in Deutschland rechtswidrige Inhalte betrifft, löscht YouTube Videos auch, wenn sie gegen die eigenen Community-Richtlinien verstoßen. Damit hat Google letztlich die alleinige Entscheidungshoheit, welche Inhalte es der Öffentlichkeit zugänglich macht und welche es sperrt.
"Klicke auf Beschwerde einlegen"
In den wenigsten Fällen können die Betroffenen direkt mit Angestellten von Google sprechen. Sie müssen sich damit zufriedengeben, ihren Einspruch in eine Maske zu tippen. "Wenn wir nach Mitteilung feststellen, dass ein Video irrtümlich entfernt wurde, werden wir umgehend aktiv und machen das Video wieder verfügbar", sagt Ralf Bremer, Pressesprecher von Google Deutschland. Bleibt das Video nach Prüfung gesperrt, können die Urheber nichts tun. Pro Verwarnung dürfen sie nur einmal Beschwerde einlegen. Einen Anspruch auf Erklärung seitens Google gibt es nicht. Bei zweifelhaften Eingriffen in die Meinungsfreiheit können Nutzer lediglich vor Gericht klagen, was teuer und aufreibend ist.
Gil Schneider von Peng! hatte Glück, dass sich ein Mitarbeiter von Google auf einen Tweet hin bei ihr gemeldet hat. "Leider konnte er mir nicht sagen, welche ihrer Richtlinien unser Video verletzt hat", sagt Schneider. Auf den offiziellen Hilfeseiten von YouTube fand sie auch keine Antwort. Hier erfuhr sie lediglich, dass Videos unter den Verstoß "Spam, irreführende Praktiken und Betrug" fallen, wenn sie versuchen, andere Nutzer zu täuschen oder zu erpressen. In ihrem Video zeigt Peng! einen inszenierten Ladendiebstahl, was offenbar ausschlaggebend war. Täuschung oder Erpressung kommen in den anderthalb Minuten nicht vor.
Kommentare
"YouTube muss heute dank des NetzDG binnen 24 Stunden klären, worüber Gerichte früher jahrelang berieten. Und das mithilfe von Maschinen oder schlecht geschulten Mitarbeitern"
Wer hätte das nur kommen sehen können.
Und wäre es besser, Beleidigungen und Drohungen, 6-12 Monate (wahrscheinlich mehr) sehen zu müssen, weil das Gerichtsverfahrn noch dauert?
..... das ist mehr oder weniger Wort für Wort was prophezeit wurde als es um die ganze erzwungene Löschung und Co ging. Ernsthaft - exakt so etwas.
Ich frage mich ernsthaft wie man nun wirklich irgendwie Überraschung oder Empörung heucheln kann.....
... zumal mir nicht klar ist, wo denn jetzt der Unterschied zwischen Youtube, FB & Co. und, sagen wir mal, dem ZON Forum sein soll. Da wird auch gerne geloescht, oft sehr undurchsichtig, und ohne jegliches Recht auf Einspruch, und viele moderierte User sitzen ebenso "machtlos vorm Bildschirm."
Klar erreichen YT und FB wesentlich mehr User, aber qualitativ sehe ich da keinen Unterschied. Private Unternehmen koennen immer entscheiden, was sie auf ihren Seiten stehen lassen wollen und was nicht. Das hat auch mit Meinungsfreiheit nichts zu tun, wie im Artikel suggeriert wird. Daher stimme ich Ihnen im Vorwurf der Heuchelei voll zu. Den anderen vorwerfen, was man selbst nicht anders macht ist schon ein starkes Stueck. Da schwingt auch eine gute Portion blanker Neid mit. Aber in unserer postfaktischen Zeit halt ganz normaler journalistischer Alltag.
Die Geister die man rief ...
"Gil Schneider und ihren Kollegen und Kolleginnen ist bewusst, der Willkür eines privaten Unternehmens ausgesetzt zu sein. " Diese Geister sind wohl eher die Sozialen Medien, über deren Auswirkungen und Macht man keine Ahnung hat(te). Die gehen immer noch ein bißchen wieter, dringen immer tiefer in die Privatsphäre ein. Das pragmatische und sicherlich nicht perfekte NetzDG ist ein Schritt. Eine bessere Idee lässt sich politisch (nicht reell) bislang nicht durchsetzen.
Vor allem werden sie wohl ständig prüfen müssen, dass die Grenzen zwischen youtube und youporn beachtet werden. Halbdurchsichtiger BH ist tube, kein BH ist porn. Damit jede Zielgruppe das findet, wonach sie sucht...
Bis Googles Filter-KI diese Feinheiten gelernt hat, muss es viel Pornos gucken ^^
Aber im Ernst, diese Plattformen schaffen eine Scheinrealität wie im Film Matrix.
Wir sitzen vor dem Bildschirm und halten das was wir dort lesen und sehen für Realität.
Das dieses und jenes auf der Welt tatsächlich passiert ist, oder auch nicht.
Dabei ist's bloße Fiktion, Fake-News, etc.
Die Menschheit hat sich von Maschinen geistig versklaven lassen.
Es gibt keinen Ausweg mehr :-(