Mein Journalismus ist in die Jahre gekommen. Er strahlt nicht mehr wie früher, er hat Kratzer, hie und da ist ein Stück abgebrochen.
Zuerst nahm ihm das Netz sein Monopol: Jeder Blogger konnte plötzlich für eine große Rezipientenschaft Beiträge produzieren, die klassischen journalistischen Erzeugnissen in nichts nachstanden – wenn er sich nur genug bemühte. Nicht mehr der Zugang zu den Distributionskanälen definierte den Journalismus; den Journalisten definierte nicht mehr der Zahlungseingang eines Verlags oder einer Rundfunkanstalt auf seinem Konto.
Journalismus, so seither meine Arbeitshypothese, ist durch seine Haltung definiert. Journalisten sind jene, die sich alle erdenkliche Mühe geben, hinter die Dinge zu blicken, über die sie öffentlich berichten – und Rezipienten an diesem Erkenntnisprozess teilhaben lassen, so gut es nur geht.
Journalisten streben, behaupte ich, wie Wissenschaftler nach Erkenntnis, ja nach Wahrheit – im Bewusstsein, dass so viel romantischer Positivismus belächelt werden muss. Journalisten wissen, dass das nächste Gespräch, das nächste Dokument die Arbeitshypothese ihrer Recherche entkräften könnte. Journalisten arbeiten, frei nach Popper, mit Freude an der Falsifizierbarkeit ihrer Erkenntnisse und finden eine angemessene Darstellung für das, was sie zu wissen glauben und auch für das, was sie nicht wissen.
Es ist für mich deshalb schwer vorstellbar, dass Journalisten Akteure eines Themas sind, dem sie sich professionell widmen. Sie können am Abend nicht Wahlkampf für eine Partei machen, deren Innenleben sie tagsüber im Fernsehen kommentieren. Sie können nicht aktives Mitglied eines Verbandes sein, über dessen Aktionsgebiet sie berichten – und sei es noch so verdienstvoll. Sie können keine Aktien empfehlen, die sie selbst besitzen. Sie können nicht Freunde oder Geldgeber zum Gegenstand ihrer Berichterstattung machen.
Wir sollten unser Scheitern dokumentieren
Selbst wenn alle diese Zusammenhänge stets völlig transparent wären, so müssten solche Journalisten sich doch fragen, wie ihr Aktivismus ihr Streben nach Erkenntnis beeinflusst. Die weitere Frage nach ihrer öffentlichen Glaubwürdigkeit sei einmal vernachlässigt. Dass ein völlig neutraler Journalismus nicht denkbar und kein Journalist ohne Beeinflussung ist, dass wir täglich gegen das Neutralitätsprinzip verstoßen, sollte uns nicht davon abhalten, nach einem solchen Ideal zu streben – und unser Scheitern so gut wie möglich zu dokumentieren. Wir können sogar gekennzeichnete Kommentare verfassen und darin Stellung beziehen.
Natürlich hat auch dieses romantisches Journalismus-Ideal längst Kratzer. Die größte Schramme hat ihm ein Journalist zugefügt, der nach meiner Definition womöglich keiner ist. Glenn Greenwald, einem Juristen und Blogger, verdanken wir wesentliche Einblicke in das atemberaubende Überwachungssystem der NSA. Greenwald war aber schon lange und ist bis heute vor allem: ein Aktivist, der eine klare Haltung einnimmt und für seine Sache in den Kampf zieht. Meine Kollegen Kai Biermann und Patrick Beuth haben dies anlässlich einer Rede Greenwalds thematisiert – und damit eine Debatte ausgelöst.
Die Frage, ob Glenn Greenwald, den die meisten Journalisten für seine Arbeit bewundern und beneiden, selbst ein Journalist ist, mag hauptsächlich Journalisten interessieren und manche Aktivisten. Ich halte sie dennoch nicht für müßig: Sie berührt den Kern dessen, was unsere Arbeit ist und was nicht – und was wir unseren Lesern täglich bieten wollen. Siehe oben.
Der große Glenn Greenwald und viele andere, die Großes für unsere Demokratie leisten, können sicher gut damit leben, für einige Journalisten nicht als Journalisten zu gelten. Die Demokratie lebt aber noch besser mit Journalisten, die weiter ihren romantischen Idealen nachhängen.
Kommentare
Auf den Punkt gebracht
Zit: "Sie können am Abend nicht Wahlkampf für eine Partei machen, deren Innenleben sie tagsüber im Fernsehen kommentieren. Sie können nicht aktives Mitglied eines Verbandes sein, über dessen Aktionsgebiet sie berichten – und sei es noch so verdienstvoll. Sie können keine Aktien empfehlen, die sie selbst besitzen. Sie können nicht Freunde oder Geldgeber zum Gegenstand ihrer Berichterstattung machen."
Zit: "Der große Glenn Greenwald und viele andere, die Großes für unsere Demokratie leisten, können sicher gut damit leben, für einige Journalisten nicht als Journalisten zu gelten. Die Demokratie lebt aber noch besser mit Journalisten, die weiter ihren romantischen Idealen nachhängen."
Auf den Punkt gebracht.
@1 So einfach ist es nicht! Ein Journalist ist ein Mensch mit
Positionen und Meinungen und Vorlieben. Und irgendwann wird seine
Arbeit ein solches Feld berühren und er ist nicht mehr unvoreingenommen.
Dann ist nur noch die Frage, wie weit er seinen Neigungen nachgibt.
Hier gibt es kein Schwarz-Weiß, sondern auch Grau- und Farbtöne.
Verwunderung
Ich frage mich: Wie kann ein Journalist nicht mit Nachdruck und Engagement auch persönlicher Art für den Erhalt der Presse- und Meinungsfreiheit, für den Erhalt von insbesondere für Journalisten so wichtigen Privatsphäre, für eine freiheitlich-demokratische Ordnung eintreten?
Was Sie - beziehungsweise Ihre Kollegen - hier betreiben, ist irgendwo Spiegelfechterei. Wenn Sie das Ideal der möglichst neutralen Berichterstattung als höher bewerten, als das Ideal einer freien Presse und einer freien Gesellschaft, machen Sie es sich einfach nur bequem und nichts anderes.
Mit Verlaub: Hier geht es nicht um die Frage, ob ein Veggie-Day eine gute Sache ist. Nicht um die Frage, ob eine Mütterrente opportun ist, oder ob die Beitragssätze zur KV gesenkt werden sollten.
Nein, hier geht es um unsere gesellschaftliche Lebensgrundlage. IHRE Lebensgrundlage als Journalist. Wieso, zum Teufel, wollen Sie da "neutral" bleiben? Was gibt es an der ganzen Angelegenheit vom Grundsatz her überhaupt differenziert zu betrachten, dass Sie Angst haben, die kritische Distanz zu verlieren?
Übrigens: Wer hier "neutral" ist, ist es in Wahrheit nicht.
Im Prinzip ginge das
"Es ist für mich deshalb schwer vorstellbar, dass Journalisten Akteure eines Themas sind, dem sie sich professionell widmen."
Wenn es dem Journalisten gelingt eine professionelle und kritische Distanz zum Thema zu bewahren und nicht einseitig für "sein Thema" berichtet, sondern auch in der Lage ist Schwächen und Gegenpositionen in ausgewogener Weise zu thematisieren, spricht nicht viel dagegen.
Die Befürchtung scheint hier doch zu sein, dass sich der Journalist zum Lobbyisten macht. Muss er nicht, es gibt da keinen Automatismus.
Wenn eine Journalist der Lobbyarbeit widerstehen kann, dann erwachsen ihm aber mitunter Probleme von anderer Seite.
Denn dann werden ihm die Vertreter "seines Themas" unter Druck setzen unausgewogen oder unkritisch zu berichten oder ihn gar als "Verräter an der Sache" zu brandmarken, um ihn so in "seinem Thema" unglaubwürdig zu machen.
Reicht denn nicht ein Versuch
der Autoren selbst, in einem eilig nachgeschobenen Artikel zurückzurudern?
Jetzt muss auch noch ein weiterer Kollege für sie in die Bresche springen?
Das ist arm!
Es ist und bleibt eine einfache Sache:
Biermann und Beuth haben gehörig dabebengegriffen mit ihrem Artikel.
Da hilft es auch nichts, wenn jetzt ein weiterer Autor dieselben Nebelkerzen-Argumente mantraartig wiederholt.
Es ist einfach nur peinlich wenn ZO sich an der Diskreditierungskampagne der amerikanischen Medien beteiligt.
Bitte üben Sie Kritik mit Argumenten und achten Sie auf einen höflichen Tonfall. Danke, die Redaktion/fk.
Zurückrudern und Diskreditieren
@CarlosDanger: Sicher ist Ihnen nicht entgangen, dass unser Beitrag eine breite Debatte ausgelöst hat - diese haben die Kollegen dokumentiert.
Mir ist nicht klar, an welcher Stelle wir zurückgerudert wären. Übrigens auch nicht, an welcher Stelle wir Glenn Greenwald diskreditiert hätten.