Michael Wagner sagt kein einziges Mal, dass die gängigen Serious Games Mist seien. So deutlich zumindest spricht es der Spielexperte aus dem Department für Bildwissenschaften der Donau-Universität Krems nicht aus. Dennoch hat er keine guten Nachrichten für diejenigen, die glauben, mithilfe von Computerspielen ließe sich das Lernen revolutionieren. Denn jeder nimmt beim Lernen etwas völlig anderes mit, sagt Wagner in seiner Keynote auf der Computerspiel-Konferenz Clash of Realities. Wie in einer Schulstunde, an deren Ende jedes Kind etwas völlig anderes erfahren hat.
Serious Games, zu Deutsch Lernspiele, wollen Spaß machen, dabei aber in erster Linie Wissen vermitteln. Anhänger der Idee hoffen, dass das spielerische Lernen gar effizienter ist als der klassische Schulunterricht.
Wagner ist da skeptisch. Er ist Mathematiker und hat ein Faible für Erkenntnistheorie, insbesondere der radikale Konstruktivismus hat es ihm angetan. Eine Weltsicht, die annimmt, dass Wahrheit von dem abhängt, der sie beobachtet. Eine Wirklichkeit lässt sich demnach nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt beurteilen, sondern nur danach, inwiefern sie für den Einzelnen gerade nützlich ist. So kann es Sinn machen, eine Fußgängerampel für real zu halten, wenn man den Zusammenstoß mit einem Auto vermeiden möchte. Auf einer leeren Kreuzung jedoch kann es genauso sinnvoll sein, die Ampel zu ignorieren.
Für ein Computerspiel heißt das, dass beim Spielen durchaus neues Wissen entstehen kann. Das sei aber eine andere Art von Erkenntnisgewinn, als bei der Interaktion mit der "realen" Welt entstehe, sagt Wagner.
Denn beim Spiel bewege sich jeder Spieler in mehreren Identitäten. In seiner realen – aus der heraus er sich selbst beim Spielen beobachtet; in seiner Spielidentität und in einer dritten, die eigene Wünsche, Vorstellungen und Sichtweisen auf die virtuelle Identität projiziere – die "projecting identity", wie Wagner sie nennt. Sie ermögliche die Immersion, das vollständige Abtauchen in die Spielwelt. Damit ist laut Wagner vor allem ein wertfreier Transfer von Ideen gemeint, der die beiden Figuren zu einer Einheit zusammenschmiede.
Das Wissen, das im Spiel erlernt werde, werde mit der projizierenden Identität erlernt, glaubt Wagner. Und weil diese permanent eigene Vorstellungen und Erfahrungen auf die Spielfigur übertrage, lerne jeder eben etwas völlig anderes.
Kommentare
Und in der Schule ...
... lernen wir für die Klausur und auch nicht fürs Leben.
Ich denke, es ist nicht relevant, ob ein
Schüler z.B. die Namen der Europäischen Hauptstädte aus einem Atlas oder in einem Computerspiel lernt.
Ich freue mich auf die nächste Generation, die nicht mehr diesen problematisierenden Blick auf das Werkzeug Computer hat.
@kamy
Naja, ganz so ist es nicht. Fakt ist, dass die meisten World-of-Warcraft-Spieler zwar die Namen der fiktiven Länder und Kontinente kennen, ihre Ausrüstung detailliert kennen und wissen wie sie am besten im Spiel voran kommen, aber seien wir doch mal ehrlich, wie viele von denen sind den auch im richtigen Leben erfolgreich?
Fakt ist, dass Schüler, die in der Schule gute Noten schreiben, mehr für die Schule lernen, später bessere Karrierechancen haben.
Das es auch Spiele gibt, bei denen Allgemeinwissen vermittelt werden kann, steht doch völlig außer Frage, aber leider trifft das auf eher wenige Spiele zu.
Wissenschaft?
Der Gesamte Artikel in kurz: Herr Wagner glaubt.
Dabei ist die Fragestellung, ob Serious Games inhaltliches Wissen besser vermitteln als traditionelle Unterrichtsformen sehr gut empirisch prüfbar.
Herr Wagner gehört zu der Kaste an "Intellektuellen" die als Brücke zwischen Fragestellung und Ergebnis nicht Wissenschaft sondern sondern ihre eigene Meinung nutzen.
Nebenbei finde ich die Ausgangsposition wenig nützlich. Spiele müssen nicht effizienter sein als klassiche Lernmethoden. Die Idee ist ja, dass Spiele aus eigenem Antrieb ausgeführt werden, wo normales Lernen gar nicht stattfindet. Jedes Bisschen Gelerntes ist also ein Gewinn.
Dass viele Spiele Schrott sind und nur dazu dienen besorgten Eltern das Geld aus der Tasche zu ziehen versteht sich von selbst. Aber dass bedeutet nicht, dass Spiele generell unnütz sind.
Als Beispiel mag die PC-Spielereihe Civilization herhalten. Hier ist es Aufgabe des Spielers eine Zivilisation von der Steinzeit bis in die nahe Zukunft zu führen. Ich ganz persönlich habe eine erstaunliche Vielzahl an Zitaten, geschichtlichen Hintergründen und Zusammenhängen gelernt. Ob dass besser war, als Geschichtsunterricht ist unerheblich, da ich es ja als Freizeitbeschäftigung neben Schule und später Studium gespielt habe. Lernbonus ohne Anstrengung.
(Das persönliche Beispiel kann hier als Argument dienen, da ein einziger abweichender Fall ausreicht um eine absolute Aussage zu wiederlegen)
Civilization ...
... habe ich einmal gespielt. Dabei versuchte ich Deutschland zu gründen, und wurde, schon zehnjährig, ein Bisschen erstaunt, als ich plötzlich in einem Krieg mit den benachbarten Chinesen eingezogen wurde. Aber vielleicht hat sich das Spiel seitdem entwickelt ... :)
Wie der Autor sagt, kommt es auf der Person an. Wer nichts lernen will, wird auch nichts lernen. Deshalb ist es auch völlig egal ob er in der Schulbank oder vor dem Computer sitzt.
Wobei ich auch Skepsis gegenüber die informationstechnologische Optimisten fühle.
Fragwürdig
Das Spielbeispiel mit den Tiernamen und dem U-Boot zeigt, dass Wagner hier ein schlechtes Lernspiel ausgewertet hat. Ich habe schon sehr gute Erfahrungen mit Lernspielen gemacht. Warum man gleich davon ausgeht, damit den Lehrer ersetzen zu können, klingt für mich nicht nach wissenschaftlich, sondern einfältig. Lernspiele, wenn sie gut sind, können das Lernen von spezifischen Inhalten sehr gut fördern. Für jeden General sei Schach & Co. zu empfehlen ;-).
Vertane Chance
Ich schließe mich Kommentar #2 an. Der gute Herr glaubt. Das U-Bootbeispiel scheint mir beliebig. Ich weiß auch nicht, warum man das eine dem anderen gegenüberstellen muß. Das ist für mich oftmals recht unbeholfen, wenn man versucht Dinge aus der analogen Welt einfach 1:1 in die digitale zu übertragen und dann zu dem schluß zu kommen, dass die digitale Version nicht der analogen entspricht. Was soll das? Computer sind ein Werkzeug. Ein Werkzeug das Dinge ermöglicht die es so zuvor noch nicht gab. Also muß man auch völlig neue Methoden entwickeln um ihn *richtig* zu nutzen. Ein "entweder oder"-Vergleich verschenkt einfach diese Möglichkeiten fahrlässig.
Die in den Kommentaren genannten Beispiele halte ich nicht für sehr sinnvoll, bis auf SIM CITY, das angeblich auch mal von Stadtplanern benutzt wird - weiß ich aber auch nur durch Artikel.
Ich für mich weiß, dass ich durch Spiele wie EUROPA UNIVERSALIS und ähnliche Spiele mein Wissen um Zusammenhänge in der Geschichte und Abläufe in der Geschichte beträchtlich erweitern konnte. Es ist einfach etwas anderes, vom englischen Imperium nur zu lesen, wenn man es statt dessen "wirklich" ist. Diese Erfahrungen kann man nur machen, wenn man ein Spieler in diesem Spiel ist. Der Artikel hört allerdings weit vorher auf zu denken.