Herr Pauls Welt ist düster. Sie liegt im Nebel, als sein Ork, Level 70, links mit Zauberhand, rechts mit Dolch, über die Festung Sonnwacht läuft. Der Ork wartet auf die nächste Mission. Wohin sie ihn tragen wird, weiß er noch nicht. Herr Paul steuert einfach los. Die Welt von The Elder Scrolls: Skyrim steht ihm offen.
Herrn Paul steht die Welt nicht offen. Er wohnt hinter Gitterfenstern, auf 15 Quadratmetern Fläche. In seinem Zimmer stehen ein Bett, ein Holztisch, ein Drehstuhl und ein Kleiderschrank, von dem aus ein junges Model im Bikini lasziv in den Raum blickt. Dunkle Manga-Poster und Plakate von Daniela Katzenberger hängen an den Wänden. Über dem Bett klebt eine Pinnwand mit Fotos aus einem anderen Leben. Gegenüber vom Bett stehen ein schwarzer Flachbildschirm und eine Xbox 360. Alle USB-Eingänge wurden verklebt, denn USB-Sticks sind hier nicht erlaubt. Herr Paul, Anfang 30, sitzt in Trakt B der Sicherungsverwahrung Straubing.
Eigentlich ist Herr Paul frei. Er hat seine Strafhaft abgesessen. Aber weil er weiterhin als gefährlich eingestuft wird, kam er nach der Haft in die Verwahrung. Einige Jahre ist das jetzt her. Die Gesellschaft muss noch immer vor ihm geschützt werden, sagt das bayerische Justizministerium. Er hat, wie die anderen 49 Verwahrten hier, eine schwere Gewalt- oder Sexualstraftat begangen.
Games sind in vielen Gefängnissen verboten
Herr Paul, der eigentlich anders heißt, spielt, weil er dabei die Zeit vergisst. Wenn er morgens die Wäsche gewaschen und gegessen hat, überbrückt er die Stunden bis zum Nachmittag mit Spielen. Um 15 Uhr muss er zur Arbeitstherapie – Vogelhäuschen bauen und andere Figuren anfertigen. Aus seinem Zimmer blickt er auf einen Hinterhof der JVA. Er hat sich über den Raum gefreut: Sonne, etwas Ausblick, guter Radioempfang. Das Leben ist hier sehr monoton, sagt er. Wenn er spielt, vergeht die Zeit wie im Flug. Deswegen spielt Herr Paul auch nicht mehr nachts. Er kommt dann aus dem Flow nicht heraus, sagt er, schläft tagsüber zu lange.
Vorher, draußen, hat Herr Paul nicht gespielt. Erst in der Verwahrung hat er angefangen. Während seiner Strafhaft durfte er nicht, denn in bayerischen Gefängnissen sind Videospiele verboten. Jedes Bundesland hat seine eigene Regelung: In Baden-Württemberg und Sachsen ist Spielen eingeschränkt erlaubt, in Hamburg und Rheinland-Pfalz grundsätzlich.
In Bayern ist das Spielen nur in der Sicherungsverwahrung erlaubt. Die Insassen dürfen eine PlayStation 2 oder Xbox 360 haben – nur Geräte, die auch offline funktionieren. Internet gibt es nicht.
Nur jugendfreie Games erlaubt
Jede Konsole,
jedes Spiel, das zu den Insassen gelangt, muss vorher beim Anstaltsinspektor
beantragt werden. Die Verwahrten dürfen nur Spiele spielen, die von der Unterhaltungssoftware
Selbstkontrolle (USK) nach dem Jugendschutzgesetz freigegeben ist. Dazu gehören auch Shooter – Halo zum Beispiel. Es liegt bei den meisten der rund 15 Gamer auf dem Zimmer. Beliebt unter den
Verwahrten sind außerdem Diablo, Tomb
Raider, Assassin’s Creed – und Skyrim.
"Die Gründe für das Spielen sind drinnen dieselben wie draußen", sagt Steffen Wenzel, der Vollzugsinspektor der Sicherungsverwahrung JVA Straubing. "Die wollen sich ablenken lassen, in eine neue Welt tauchen, auch mal Dampf ablassen."
Das Spielverhalten der Männer kann hilfreich für die Therapie sein. Wenn die Verwahrten ausflippen, brüllen, vulgär werden, wenn Konsolen fliegen, dann sind das wichtige Hinweise für die Gutachter. Jedes Jahr prüfen Gutachter, ob die Sicherungsverwahrung der einzelnen Insassen um ein Jahr verlängert werden muss. Wenn schon ein Scheitern in der Spielewelt zu Hasstiraden führt, wie soll das in der echten Welt funktionieren?
Kommentare
"Außerdem ist jede Art von Spiel verboten, in denen das Töten des Gegners durch die Aufnahme von Beute honoriert wird."
Diablo, Skyrim,...
Irgendwas passt da nicht.
Bin ich auch sofort drüber gestolpert.
Passiert halt wenn jemand über Videospiele schreibt und nach einem 10 Sekunden briefing Bescheid weiß.
Ist heute die Games-Woche ausgebrochen? Finde ich gut. Oder ist es nur weil nächste Woche die E3 ist? Bitte mehr davon.
Ich verstehe nicht, wieso man Menschen in Sicherheitsverwahrung in diesem Maße einschränkt. Ihre Strafe haben sie doch abgesessen und sie werden "nur" noch nicht frei gelassen, um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen. Warum gewährt man ihnen nicht darüber hinaus alle Freiheiten, die eben möglich sind? Also warum dürfen sie keinen Internetzugang haben, nicht-jugendfreie Spiele spielen oder (Gott bewahre) Pornos schauen?
Und bevor jetzt jemand damit kommt, dass GTA jemanden aggressiv werden lässt: Sie haben sicherlich noch nie Fifa oder Mario Kart gegen einen Freund gespielt ;)
" Warum gewährt man ihnen nicht darüber hinaus alle Freiheiten, die eben möglich sind? Also warum dürfen sie keinen Internetzugang haben, nicht-jugendfreie Spiele spielen oder (Gott bewahre) Pornos schauen?"
Die Sicherungsverwahrten gelten als therapiebedürftig, als psychisch Kranke.
Internet, Pornos, nicht-jugendfreie Spiele könnten - in dieser Diktion - das Therapieziel - die "Heilung" gefährden:
"Jedes Jahr prüfen Gutachter, ob die Sicherungsverwahrung der einzelnen Insassen um ein Jahr verlängert werden muss. Wenn schon ein Scheitern in der Spielewelt zu Hasstiraden führt, wie soll das in der echten Welt funktionieren?"
Ob die Sicherungsverwahrten wohl wissen, dass ihr Verhalten beim Game spielen als Indikator für ihre Entlassungsfähigkeit herangezogen wird? Ein Verhalten, das in der Freiheit millionenfach bei Spielern vorkommt - Ausrasten - gerät den Sicherungsverwahrten zur ungünstigen Prognose und verhindert uU., dass sie wieder in Freiheit kommen ... .
Aus dem Bauch heraus würde ich einer Zensur Klage am EU Gerichtshof gute Chancen einräumen: Als Sicherheitsverwahrter sollte er alle Persönlichkeitsrechte erhalten die man ihm unter diesen Umständen einräumen kann. Knast mit ein paar kleinen Vergünstigungen ist nach meinem Verständnis keine Sicherheitsverwahrung.
Allerdings bin ich weder Jurist, noch sonderlich gut im drechseln...
Ich sehe das ähnlich wie Sie. Eine Person in Sicherungsverwahrung ist ja nicht eingesperrt, weil sie schuldhaft irgendwas getan hat (dafür gibt's ja Strafhaft) sondern, weil ein Gericht ein öffentliches (Sicherheits-)Interesse an der Sicherungsverwahrung sieht.
Diese Menschen bringen quasi (unfreiwillig) so ziemlich das größtmöglich Opfer für die Sicherheit im Land. Ihnen Zugang zu allen Vergnügungen zu gewähren, die keine Gefahr für Andere darstellen, sollte das Mindeste sein, was der Staat für diese Leute tut.