Der "Safer Internet Day" ist ein von der EU ausgerufener Tag, der ein stärkeres Bewusstein für Sicherheitsthemen im Internet schaffen soll. Aus Anlass dieses Tages habe ich ein Interview mit den Verantwortlichen der Initiative "Insafe", geführt, die den Tag organisieren. Zumindest dachte ich das.
Doch ist mir ein bedauerlicher handwerklicher Fehler unterlaufen. In der fälschlichen Annahme, dass es sich bei dem Twitter-Account "SID_2010" um Mitarbeiter der Initiative handelt, habe ich via Twitter ein öffentliches Kurzinterview mit "SID_2010" geführt, ohne aber den Betreiber dieses Accounts vorher zweifelsfrei zu identifizieren. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, wurde dieser Twitter-Account nicht von "Insafe" betrieben, sondern von einem Trittbrettfahrer, der den Account inzwischen gelöscht hat.
Der Fehler bestand nicht darin, Twitter als Kommunikationsplattform für ein Kurzinterview zu nutzen. Er bestand darin, die Person hinter dem Account nicht zweifelsfrei identifiziert und dadurch de facto ein Interview mit anonymer Quelle veröffentlicht zu haben.
Bei ZEIT ONLINE gilt der Grundsatz, Interviews mit als anonym präsentierten Quellen nur unter drei strikten Bedingungen zu veröffentlichen:
1. Wenn der betreffende Interviewpartner bei einer namentlichen Nennung schwerwiegende wirtschaftliche oder berufliche Nachteile erleiden würde, oder gar eine Gefährdung für Freiheit, Gesundheit oder Leben des Interviewten besteht.
2. Wenn die Identität des Anonymus der Redaktion vor Aufzeichnung des Interviews zweifelsfrei bekannt ist.
3. Wenn das Thema ein erhebliches öffentliches Interesse berührt.
Ein Interview mit einer Social-Media-Quelle wie beispielsweise einem Twitter-Account ist nach diesen Regeln nur möglich, wenn der Betreiber des Accounts eindeutig verifiziert ist. Dies war nicht der Fall. Ich bedauere diesen Fehler. Wenigstens aber demonstriert er, dass diese Standards wichtiger sind denn je – für ein "Safer Internet" und für besseren Journalismus
Mit besten Grüßen, Kai Biermann, Ressortleiter Digital, ZEIT ONLINE
Zur Dokumentation anbei das unveränderte Tweeterview. Beim Interviewpartner handelt sich – wie bereits beschrieben – nicht um die Betreiber der Aktion "Safer Internet Day 2010", sondern um einen Fake-Account, der inzwischen von unbekannter Seite gelöscht wurde.
ZEIT ONLINE: Los? 1. Wer sind Sie?
Sid_2010: Wir sind eine EU-Initiative, die den digitalen Jugendschutz fördert.
ZEIT ONLINE: 2. Safer Internet Day – Ist das Internet unsicher? Wie hoch ist seine Kriminalitätsrate verglichen mit der "Bevölkerung"?
Sid_2010: Das Internet bringt neue Gefahren, die aber nicht überbetont werden sollten. Lassen Sie uns über die Möglichkeiten sprechen.
Genaue Zahlen zu Delikten und Kriminalitätsrate liegen uns im Moment nicht vor.
ZEIT ONLINE: 3. Ok, zuerst noch Gefahren: Digitaler Jugendschutz – lieber filtern oder lieber sperren oder Websites erst ab 20 Uhr schalten?
Sid_2010: Der Einsatz von providerseitigen Filtern und Sperrungen kann ein wirksames Instrument des Jugendschutzes sein.
Zudem sind Sendezeitbegrenzungen ab 20 Uhr in einem zeiteinheitlichen Europa sehr sinnvoll.
Kommentare
Was soll das denn?
Da packt ein anonymer SID_2010 all die fürchterlichen digitalen Folterinstrumente aus, und niemand regt sich darüber auf? Au weia.
"Deep Packet Inspection" ist die digitale Variante des Öffnens persönlicher Briefe durch den Staat (wie seinerzeit in der DDR). Alles, was wir digital tun, wird observiert. Ich glaube gern, dass das viel wirksamer ist als DNS-Sperren. Aber es verstößt eben auch massiv gegen das Grundgesetz. Es kommt schon einmal vor, dass unsere Verfassung nicht jede Technik zulässt, die denkbar wäre.
Sendezeiten: ein Anachronismus der TV-Anstalten zum Jugendschutz. Aber heute haben wir Festplattenrecorder, und im Internet kann man Streams aufzeichnen. Zudem ist Europa nicht so zeiteinheitlich, wie es gerne dargestellt wird. Und nicht zuletzt: nicht jeder hat Kinder. Überlassen wir daher diese Sendezeitdiskussion doch lieber den Eltern, die auf den heimischen PCs gerne Filtersoftware installieren dürfen. Eine Webseite aber, die erst ab 23:00 Uhr zugänglich ist, ist eine typische Idee von Internetausdruckern.
Das beste aber: Zensur sei nicht umgehbar. Nun, mit den Techniken, die in Iran und China zum Einsatz kommen, mag das Netz sehr eng zu ziehen sein. Aber in einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie wählen wir unsere Politiker selbst und damit auch den Umgang mit der Freiheit. Zudem: "Zensur findet nicht statt" - GG Artikel 5, Absatz 1 ist da sehr deutlich.
Ich hoffe, liebe ZEIT-Redakteure, Ihr habt Euch da einen dummen Scherz erlaubt?
Scherz
Einen Scherz? Nein, warum. Ich finde, die Fragen sagen alles. Und die Antworten auch - sie zeigen die offizielle Sicht dieses europäischen Programms zum Schutz der Jugendlichen. Ist es nicht interessant, diese zu erfahren? Ich finde schon. Sie wollen mit diesen Methoden arbeiten.
Das Urteil über diese Methoden überlasse ich in diesem Fall gern Ihnen, den Lesern.
Beste Grüße
Kai Biermann
Twitter
Noch ein Nachtrag zu Twitter: Ja, auch ich fand diese Art des interviewens unpraktisch. Sie ist steif und sehr begrenzt und lässt nur mühsam Nachfragen zu, da diese sich dann schnell mit den Antworten überschneiden. Außerdem sind diese gern zu kurz und zu wenig erläuternd.
Aber einen Versuch war es wert. Vor allem, weil es eine sehr transparente Art des Interviews ist - jeder kann mitlesen und es gibt hinterher kein Gehampel und keine Versuche, einzelne Formulierungen wieder zu streichen.
lg
Twitterjournalismus 1
Soll das jetzt besonders hip sein, nur die Texte zu kurz sind, um gezielt zu Fragen und mit Argumenten zu Antworten? Das Interview taugt irgendwie lediglich als Negativbeispiel für Onlinejournalismus.
Um Webseiten effektiv zu sperren, würde es genügen, die entsprechende IP zu sperren. Da heute oft viele Domains die selbe IP haben, führt das natürlich zu noch größeren Beeinträchtigungen. Außerdem muss man diese Information dann an die ensprechenden Router oder Firewalls verteilen, wogegen sich vielleicht die Provider gestreubt haben. Deep Package Inspection würde man benötigen, um gezielter zu filtern (also nur manche Angebote auf einem Server bspw.) oder inhaltsbasiert zu filtern. Gerade letzteres ist natürlich Verfassungswidrig, dass es kracht, wie die Vorkommentatoren schon festgestellt haben.
Durch Anonymisierungsdienste und Verschlüsselung lässt sich so etwas natürlich auch umgehen. Ich halte es auch für ein Gerücht, dass das in China funktioniert. Dort wird eben auch immer mal wieder irgend etwas gesperrt, wenn es auffällt, aber die Chinesen finden sicher auch die Lücken. Abschreckender wirkt da eher, dass man evtl. in einem Foltergefängnis landet, wenn man sich erwischen lässt.
Twitterjournalismus 2
Um einfach nur surfende Kinder vor legalen, aber nicht jugendfreien Inhalten zu schützen, genügt es übrigens, eine automatisch auswertbare Kennzeichnung vorzuschreiben. Möglichst EU-Weit oder International. Es gibt keinen Grund für Anbieter sich dagegen zu sperren (z.B. durch verlagern des Angebotes in andere Staaten) , da ihnen kaum Kosten entstehen und das keine Kunden/Besucher abschreckt. Man muss sich nicht international darauf einigen, was für welche Alterstufe geeignet ist und welche Systeme man zur Altersprüfung verwenden möchte
Damit könnte jeder Nutzer bei sich ein Filterprogramm installieren bzw. Provider könnten entsprechende Filter anbieten. Das Filterprogramm könnte die erreichbaren Domains noch auf jene Länder einschränken, die dem entsprechenden Abkommen beigetreten sind. Die Lösung ist aber vermutlich zu einfach. Vorschläge für entsprechende Systeme gibt es schon lang.
Im übrigen nervt das Kommentarsystem mit seiner Zeichenbeschränkung und nichtssagenden Fehlermeldungen enorm.
Lustig
Das ist doch Satire, oder?
Es spricht, wie ja schon oftmals geschrieben, nichts gegen Filter/Zeitbegrenzung auf Eltern/Schul/Routerebene.
Es ist natürlich sinnvoll Jugendlichen und Erwachsenen einen gesunden Umgang mit Medien/anderen Leuten beizubringen, aber warum muss für diese normale didaktische Leistung immer die ganz große Kanone „staatliche Zensur-Infrakstuktur“ herausgeholt werden?
Mobbing, Verleumdung und Denunziation gibt es nicht erst seit dem Internet. Andere machen es immer noch mit dem Fax von der Tankstelle oder kritzeln Sprüche an die Schultafel. Die globale und zeitliche Dimension ändert an dem Gefühl der Gekränkten nur wenig, zumal man dies, wenn berechtigt, immer noch nachträglich in so ziemlich jedem bekannten Forum löscht werden kann.
Eltern und Pädagogen sind hier in der Pflicht Grundlagen zu schaffen, aber nicht im Rahmen von Zensur, sondern im Rahmen einer sinnvollen Erziehung – um eben auch mit unangenehmen Informationen und Zuweisungen kritisch und selbstschützend umgehen zu können.
Hier hat unsere Gesellschaft aber wirklich ein Problem. Gerade weil es immer mehr schlecht gebildete und "arme" Menschen gibt, die nicht in der Lage sind, die vielen positiven Möglichkeiten der Medien noch richtig zu nutzen. Dies ist aber kein durch Technik lösbares Problem.
Die neuen Medienpädagogen fürchten wohl einfach die Arbeit am reellen Menschen. Und schlecht bezahlt wird dafür auch noch. Kein Wunder, das man in diesen Kreisen auf sonderliche Ideen kommt.