ZEIT ONLINE: Herr Hoeren, dürfen amerikanische Internetdienstleister einem unliebsamen Kunden wie Wikileaks einfach kündigen?
Thomas Hoeren: Es ist höchst strittig, ob diese Kündigungen gerechtfertigt sind. Nach US-Recht ist dieses Vorgehen mindestens dubios. Wie im deutschen Recht müssen mehrere Rechtsgüter abgewogen werden. Im amerikanischen Recht müssten etwa bei einer Kündigung nicht nur die eigenen Nutzungsbedingungen, sondern auch der erste Zusatzartikel zur Verfassung, der Presse- und Meinungsfreiheit garantiert, gewürdigt werden. Meines Erachtens sind die Gründe hierfür nicht im Recht zu finden. Die Anbieter stehen unter einem enormen politischen Druck.
ZEIT ONLINE: Ein Serververtrag ist eine Sache, eine Bankverbindung eine ganz andere – durfte Paypal das Konto der Whistleblower schließen?
Hoeren: Dass Paypal die Spendengelder von Wikileaks einfriert, ist schlicht illegal. Sie dürfen nämlich nur dann Gelder einfrieren, wenn der Kontoinhaber sich im Terrorismusumfeld bewegt. Das sehe ich hier gar nicht. Hier lohnt es sich auf jeden Fall für Wikileaks gegen Paypal zu klagen.
ZEIT ONLINE: Was nützt im Moment eine Klage, der Schaden ist ja schon entstanden...
Hoeren: Das Problem ist die normative Kraft des Faktischen im amerikanischen Recht. Es kann mir als Kunde zunächst egal sein, ob die Kündigung rechtswirksam ist, denn sie ist effektiv: Das Konto oder der Dienst sind nicht mehr zugänglich. An die Kontogelder kommt man nur noch über ein Gericht. Das heißt, man muss vor Ort erscheinen, Gerichts- und Anwaltsgebühren in Kauf nehmen. Der Anbieter hat damit erst einmal gewonnen.
ZEIT ONLINE: Die meisten Anbieter von Cloud-Diensten haben ihren Sitz in den USA. Kann man deutschen Unternehmen raten, solche Anbieter zu verwenden?
Hoeren: Es ist eigentlich nur davon abzuraten, sich auf amerikanische Cloud-Anbieter zu verlassen. Deutsche Lebens- und Krankenversicherer beispielsweise dürfen aufgrund der strafrechtlichen Vorgaben des Paragrafen 203 des Strafgesetzbuches solche Anbieter gar nicht nutzen.
ZEIT ONLINE: Privatpersonen unterliegen solchen Beschränkungen nicht, spricht für sie etwas dagegen, amerikanische Dienstleister zu nutzen?
Hoeren:Amazon als Serverbetreiber würde ich meiden. Überhaupt bestimmen viele US-Cloud-Anbieter in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen beziehungsweise in den Nutzungsbedingungen, dass alle Daten ihnen gehören. Das ist die typische Haltung. Google ist eine solche Klausel für Deutschland von den Gerichten verboten worden – zu Recht.
Kommentare
Ich kenne mich im Recht nicht so gut aus, daher eine Frage...
Wenn Wikileaks seinen Sitz und die Server in Deutschland hätte und dann solche Daten von dort aus zur Verfügung
stellt, gilt dann das Amerikanische Recht? Immerhin ist es ja laut dem Deutschen Gesetz nicht strafbar.
Natuerlich nicht
Wenn die Server hier stehen gilt deutsches Recht, gleiches gilt fuer den Sitz, wobei es rechtliche Unsicherheiten gibt, wenn beide nicht im gleichen Land befinden.
Was es allerdings gibt sind Auslieferungsvereinbarungen, wie z.B. zwischen Schweden und den USA. Da muss man immer genau ueberpruefen was Rechtslage ist. Wikileaks hat sich den Sitz in Island nicht ohne Grund ausgesucht. Als alternativer Ort wurde, meines Wissens, Togo vorgeschlagen, aber darauf wuerde ich mich nicht festnageln lassen.
Fest steht: Im Internetrecht steht allgemein wenig fest. Wikileaks ist angreifbar und das sieht man an dem Paypal/Mastercard/Visa/Amazon-Fall sehr deutlich.
Warum sollte Obama...
...auch für die Meinungsfreiheit eintreten in dieser Situation? Zum einem würde er damit noch mehr unter politischen Druck geraten, da die populistischen Rechten dies sofort wieder als "unamerikanisch" und "Unterstützung für Wikileaks" brandmarken würden, und zum anderen ist er bereits nach 2 Jahren schon leider völlig gehirnverwaschen von der Macht. Dem Machtzirkel im Weißen Haus kann sich niemand, der dort arbeitet entziehen, und schon gar nicht der Präsident. Schade eigentlich...
Das Recht der Macht
Ich würde mir wünschen, es würde mit derselben Konsequenz gegen die Organisierte Kriminalität oder Kinderschänder vorgegangen.
Ich sehe es auch als illegal und in jeder Hinsicht demokratisch illegitim an, wenn Wikileaks - ohne ein ordentliches juristisches Verfahren abzuwarten - die Geschäftsgrundlage entzogen werden soll. Man sieht, das Recht ist das Recht der Macht. Und diese interessiert sich letztlich nicht für das Recht. Man weiß aber nun besser, mit welches Geistes Kinder man bei Amazon, Ebay/Paypal, Mastercard zu tun hat.
Man kann nur hoffen, dass Julian Assange nicht "auf der Flucht erschossen wird" oder urplötzlich "Selbstmord" begeht.
zitat aus 4: "das Recht ist das Recht der Macht"
wenn das man so langsamn durchsickern würde bis in die letzten köpfe, dann wäre schon viel gewonnen!
erst kommt das erwachen, dann die reaktion - und die wird irgendwann so heftig werden, dass sie alle korrupten systeme hinweg fegt
lg