Das Café St. Oberholz in Berlins Mitte ist vor allem deswegen bekannt geworden, weil es dort ein frei verfügbares WLAN gab. Die Vergangenheit ist kein Zufall, denn das gibt es in dieser Form jetzt nicht mehr. Das mag banal klingen und wie ein Fakt, der für einen größeren Personenkreis nicht unbedingt relevant ist. Allerdings ist das Café ein Beleg für eine Entwicklung, und diese Entwicklung ist durchaus relevant.
Die Bundesregierung hat sich nicht umsonst dem Ziel verschrieben, die sogenannte digitale Kluft zu überwinden. Sie sucht nach Wegen , um möglichst allen Menschen hierzulande einen möglichst leichten Zugang zum Netz zu gewähren. Nur so können sie die Chancen nutzen, die das Netz bietet, lautet die Idee dahinter.
Ein Weg dazu ist der Ausbau von Breitbandverbindungen – der nicht so richtig vorankommt. Ein anderer Weg sind frei verfügbare Funknetze. Die kommen ebenfalls nicht voran. Der Verein Freifunk beispielsweise verhandelt seit Monaten mit dem Berliner Senat , ohne dass es bislang zu einem Ergebnis kam . Mehr als eine Absichtserklärung des Senats gibt es bis heute nicht.
Gleichzeitig gibt es in Deutschland Bestrebungen, einen freien und ungehinderten Zugang zum Netz, dort wo er existiert, möglichst zu unterbinden. Gemeint ist die sogenannte Störerhaftung. Seit Mai 2010 ist es laut einem Urteil des Bundesgerichtshofes untersagt , sein WLAN unkontrolliert anderen zur Verfügung zu stellen. Der Besitzer eines WLAN-Routers haftet demnach, wenn andere damit etwas anstellen, also beispielsweise dann, wenn sie darüber illegale Kopien von Filmen oder Musik beziehen oder verbreiten.
Erstritten hat das Urteil Pelham Power Productions, ein Musiklabel aus Frankfurt. Ziel war es, diejenigen finden zu können, die beispielsweise illegal digitale Werke verbreiten. In einem für alle offenen und unkontrollierten Funknetz ist das tatsächlich nicht unbedingt möglich. Das nachvollziehbare wirtschaftliche Motiv hat jedoch gesellschaftliche Folgen, die sich langsam zeigen. Unter anderem am Beispiel St. Oberholz.
Jahrelang musste, wer dort surfen wollte, lediglich seinen Rechner anmachen und seiner Modemkarte das Passwort "overwood" verraten. Anschließend konnte er unbeschränkt und unbeobachtet ins Netz. Dem Besitzer, Ansgar Oberholz, ist inzwischen allerdings die Lust vergangen, diesen Service anzubieten. Er bekam mehrere Abmahnungen, weil Kunden in seinem Café Urheberrechte anderer verletzten.
So etwas bringt dem Inhaber des Routers nicht gleich eine hohe Schadenersatzforderung ein. Doch die daraus entstehenden Schriftwechsel kosten Geld. Die Anwälte schicken mit jeder Abmahnung eine Gebührenrechnung mit. Und die muss dank des BGH-Urteils der Betreiber des WLAN-Routers begleichen, auch wenn er nichts weiter sagen kann, als dass er nicht weiß, wer dort surfte.
Oberholz hatte davon genug. Also mietet er nun bei einem darauf spezialisierten Provider einen Netzzugang. Die Besucher seines Cafés müssen sich am Tresen einen Anmeldezettel aushändigen lassen und loggen sich dann auf der Seite des Providers ein.
Kommentare
Abmahnungen
Wie in dem Artikel mehrfach verdeutlicht wurde, sind die Abmahnungen das eigentliche Problem. Frau Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat angekündigt der Abmahnindustrie etwas entgegenzusetzen.
http://www.sueddeutsche.d...
Es bleibt abzuwarten, was daraus wird. Möglicherweise könnte dieses Gesetz dazu beitragen, dass frei zugängliche Funknetze wieder attraktiv werden.
Denkfehler...
Ich lese immer wieder Kommentare und Artikel wie diesen. Letztlich soll Wurzel allen Übels also der abmahnende Rechtsanwalt sein. Was dabei aber gerne vergessen wird ist, dass Abmahnungen abseits dieser als Missbrauch erscheinenden Fälle durchaus ihren Sinn haben.
Insgesamt habe ich mich mit der Störerhaftung im Internetrecht in letzter Zeit recht intensiv auseinandergesetzt. Mit dem Ergebnis: was eigentlich hier in der Schieflage ist wird auch im Artikel gar nicht thematisiert. Das sind nämlich namentlich zunächst einmal das vollkommen veraltete Urheberrecht, das auf das Internet heutzutage nicht mehr recht anwendbar ist.
Das zweite wiederum ist jedoch - und DAS wird die Generation Facebook wohl kaum erfreuen - ist die Grundeinstellung der Leute alles zu dürfen, aber für nichts Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich jemandem meinen Internetanschluss zur Verfügung stelle, dann sollte ich mir als vernünftiger Mensch auch überlegen, ob das eine gute Idee ist. Würden Sie einem Fremden Ihr Auto leihen und sich hinterher wundern wenn die Blitzerfotos zunächst einmal Sie erreichen? Wenn Sie sich dann auch nicht die Adresse oder den Name des Rasers aufgeschrieben haben, werden Sie auf dieser Rechnung genau so sitzen bleiben, wie bei der W-LAN-Sache.
Der Zorn gegen anwaltliche Abmahnpraxis mag im Einzelfall berechtigt sein, doch ist diese nur Symptom und nicht Ursache. Denn auch der dreistesten Abmahnung liegt in der Regel ein echter Rechtsbruch (eines Dritten) zugrunde.
Die dümmste Variante
hatte ich im letzten Jahr bei einem "Mac".
Anmeldung nur mit der Handy-Nummer möglich, der Zugangscode kommt dann über SMS.
Ganz toll natürlich für Besucher aus dem Ausland, tolle Gastfreundschaft - da geht nämlich gar nichts.
Nur deutsche Nummern sind erlaubt.
Ausserdem ist der Zugang nur für eine Stunde freigeschaltet!
Internetwüste Deutschland aufgrund der Abmahnindustrie und schlafenden "Gesetzgebern" die nicht die geringste Ahnung von moderner Kommunikation haben.
Meinen Sie...
... den Rechner? Denn mit dem hat dieses Aktivierungsverfahren nichts zu tun.
Es gibt zeitlich begrenzte kostenlose Angebote diverser Orte, die auf verschiedenem Wege zu aktivieren sind. Bei manchen Diensten müssen Sie sich via Handy anmelden, bei anderen ein Registrierungsformular ausfüllen etc.
andere Länder andere Sitten...
Da ist Deutschland wieder einmal voll an der Spitze.
Wenn ich hier in Kanada durch die Stadt laufe hat jeder Supermarkt, Cafe und Restaurant ein offenes WLAN, und sei die Klitsche noch so klein. Da braucht man in der Stadt seinen Daten Tarif fast nicht mehr.
Finde ich sehr komfortabel und vermisse ich daheim schon jetzt.
Da ist was faul im Staate Dänemark!
Ich stimme Ihrer Kanada-Erfahrung zu: ich surfe in sehr vielen Ländern im offenen Wifi/WLAN (und ich rede hier nicht von "3.Welt"). Dass diese Gängelung speziell in Deutschland deutsche Politiker nicht wundert, wundert mich dann doch.
Man muss kein Freund der Piratenpartei sein, um zu prophezeien, dass vielen BürgerInnen so etwas aufstößt: Merken deutsche Politiker nicht, wie sehr sie in ihren Gesetzesentscheidungen von der Industrie schon "gekauft" sind? Das wäre ja früher mal ein Feld für die FDP gewesen, von wegen Freiheit und so ... ach ja, FDP, was ist das? ;-)
Dieses grundsätzlich Problem wird gelöst!
Wenn die Politik das nicht kann (die Geldgeber lassen das nicht zu), werden halt neue Parteien in die Parlamente einziehen.
So einfach ist das!
Jeder Abgemahnte ist ein hoch potentieller Wähler der Piraten, macht weiter so und die haben bei der NRW Wahl über 10%!