Die EU-Kommission hält seit mehr als einem Jahr eine Studie zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger unter Verschluss. Möglicherweise, weil sie inhaltlich nicht zur eigenen Linie passt. Denn die 29-seitige Analyse mit dem Titel Online News Aggregation and Neighbouring Rights for News Publishers erklärt die deutsche und die spanische Version jenes Leistungsschutzrechts, das die Kommission jetzt EU-weit einführen möchte, für wirkungslos und geradezu kontraproduktiv.
Zur Erinnerung: Das deutsche Leistungsschutzrecht
räumt
den Verlagen
das ausschließliche Recht ein, ihre
Inhalte
zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen. Das
gilt nur dann nicht, wenn es
um einzelne Wörter oder "kleinste Textausschnitte" geht.
Eigentlich
sollten die Verlage von sogenannten News-Aggregatoren –
hauptsächlich Google News – Lizenzgebühren für die Verlinkung
ihrer Inhalte inklusive Textanrissen (Snippets)
verlangen können, sofern diese nicht mehr als kleinste Textausschnitte durchgehen. Wo diese Grenze liegt, ist aber nie festgelegt worden. Google News zahlt bis heute keine Gebühren an die Verlage.
In
der Praxis kennt das deutsche
Gesetz
letztlich nur Verlierer
– was die für die EU-Kommission
angefertigte Studie bestätigt. Die Autoren von der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS beziehungsweise JRC für Joint
Research Centre), einer Großforschungseinrichtung der EU-Kommission, verweisen
darauf, dass "der ökonomische Wert" der neuen deutschen und spanischen Verlegerrechte "bisher bei null
verbleibt". Die
Verleger hätten
durch das Recht, von News-Aggregatoren Lizenzgebühren zu verlangen,
noch
kein
Geld verdient. Im
Gegenteil: Empirische
Daten aus
anderen
Studien würden
einen positiven Einfluss von News-Aggregatoren
auf
die Werbeeinnahmen der Presseverlage belegen,
weil
sie ihnen Traffic zuführen. Schränken sie die Verlinkung wegen der
fälligen Lizenzgebühren ein, gehen den Verlagen eher Einnahmen
verloren.
Auswertungen aus Spanien würden zudem belegen, dass der dortige Rückzug von Google News nach Einführung des Leistungsschutzrechts vor allem kleineren Medien geschadet hat. Sie verzeichnen demnach weniger Besuche auf ihren Websites, während große Verlage "keine signifikanten Veränderungen in ihren Gesamtbesuchszahlen feststellen". Die
Autoren empfehlen in ihren Schlussfolgerungen mehr Kooperation zwischen Verlagen und
Aggregatoren, nicht weniger.
Bitte um Nichtveröffentlichung
Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Kritiker des Leistungsschutzrechts argumentieren so seit Jahren. Den damaligen Digitalkommissar Günther Oettinger hat das aber nicht davon abgehalten, im September 2016 einen Entwurf für ein "verwandtes Schutzrecht für Verleger" vorzulegen, der in Teilen noch über das deutsche Leistungsschutzrecht hinausgeht und zum Beispiel die Schutzfrist von einem Jahr auf 20 Jahre erhöhen würde. Ein heute veröffentlichter Artikel dürfte unter diesen Umständen erst im Jahr 2038 von Anbietern ohne Lizenz im derzeit üblichen Sinne genutzt werden.
Die JRC-Studie passt nicht ins Konzept der EU-Kommission. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sie deshalb nie veröffentlicht wurde. Erste und kürzere Versionen der Studie existieren jedenfalls schon seit März 2016, wie aus einer E-Mail der Verfasser an verschiedene mit dem Thema befasste EU-Generaldirektionen (so etwas wie die Ministerien der Kommission) hervorgeht. Angehängt an die E-Mail vom Oktober 2016 war ein auf dieser Basis erweiterter Entwurf, mit der Bitte um Kommentare "möglichst bis Mitte November".
Doch erst Ende Mai 2017 kündigte die Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (DG CNECT oder auch DG CONNECT) gegenüber dem JRC an, "im Laufe der nächsten Woche" ihre Kommentare schicken zu wollen. Ob es in den Monaten zuvor einen telefonischen Austausch gegeben hat, ist unklar. Zufrieden war die DG CNECT mit der Studie aber eindeutig noch nicht. "Wie von unserer Hierarchie bestätigt", heißt es in der E-Mail weiter, "möchten wir Sie auch bitten, bis auf Weiteres von der Veröffentlichung abzusehen."
Das sei ein normaler Vorgang, teilte die EU-Kommission auf Anfrage von ZEIT ONLINE mit: "Laut den wie üblich konsultierten Diensten der Kommission muss die Studie noch überarbeitet werden, bevor eine Entscheidung über die Veröffentlichung getroffen wird."
"Die Ergebnisse sind peinlich für die Kommission"
Julia Reda hingegen, Europaabgeordnete der Piratenpartei, hält den Vorgang keineswegs für normal. Die Urheberrechtsexpertin
und Gegnerin des Leistungsschutzrechts für
Presseverleger hat von der Existenz der Studie überhaupt nur dank der EU-Version des Informationsfreiheitsgesetzes erfahren,
dem
Recht
aller
EU-Bürger auf Zugang zu EU-Dokumenten. Zu sehen bekommen hat sie die hier zitierten Unterlagen erst durch eine Kette entsprechender Anfragen bei der Kommission und dem JRC.
Reda glaubt, die EU-Kommission halte die Studie absichtlich unter Verschluss, weil die Ergebnisse "peinlich" für sie seien: "Demnach ist ein Leistungsschutzrecht auf dem Markt wertlos, weil Onlinezeitungen unterm Strich davon profitieren, dass Suchmaschinen und soziale Medien auf sie verlinken. Die Behauptung der Kommission, das Leistungsschutzrecht würde der Medienvielfalt dienen, ist dagegen widerlegt. Kein Wunder also, dass sie die Veröffentlichung am liebsten bis nach Abschluss der Verhandlungen über die Urheberrechtsreform hinauszögern wollte."
Kommentare
Die EU macht ihrem Ruf als reine Lobby-Interessen-Gemeinschaft wieder einmal alle Ehre. Derjenige mit dem grössten Budget (Springer und Co) hat dann die grösste Macht. Wa hat das mit Demokratie zu tun?
Ah ja. Was sagt uns das über Die BED, wo eben so ein Gesetz ziemlich eilig verabschiedet wurde und auch in der EU wieder von einem deutschen Politiker vorangetrieben wird?
Die EU-Kommission hat die Studie in Auftrag gegeben und daher das Urheberrecht an ihr.
Sie kann über die Veröffentlichung allein entscheiden.
Wäre die EU ein privatwirschaftliches unternehmen, wäre ich bei Ihnen. Ist sie aber nicht. Die Studie muss ja schließlich nicht nur beauftragt werden, sondern auch bezahlt.
Es gibt von der EU auch eine Studie zu "Software/Content-Piraterie", die sie zurückhält weil die Ergebnisse den Lobby-Verbänden nicht passt.
https://www.heise.de/news...
... und dann wundert man sich, dass diese EU immer weniger Bürgern noch passt...
Dieser Haufen in Brüssel tut wirklich alles, um auch noch den letzten EU-Befürworter zu vergraulen. Brexit und Katalonien sind nur der Anfang, die nächsten Kandidaten sind Polen, Ungarn. Der Rest ist sich eigentlich nur einig darin, dass man Geld von Deutschland haben will.
Als nächstes -hat man ja schon angekündigt- will man Hyperlinks verbieten. Das muss man sich mal geben. Die denken wirklich, ihr Content wäre irgendwie wertvoll. Dabei sind selbst bei der BILD die Views (außerhalb der "Leitbilder") so lächerlich niedrig, dass eine Vermarktung gar keinen Sinn machen KANN, oft nur wenige 100 views am Tag, da haben viele Blogs mehr.
Genau, weil die Nationalregierungen sind eigentlich "die Guten", die nur von der bösen EU immer dazu gezwungen werden, lobbygesteuerte Politik zu machen...