Wenn es um Nähen geht, kennt Ina Fischer so ziemlich alle gängigen Vorurteile: altmodisch, uncool, nur was für gelangweilte Mamis in Elternzeit. Man kann das aber auch völlig anders sehen, findet sie. Nähen ist Ablenkung vom straff organisierten Alltag, Nähen ist Entspannung, Nähen ist konkret. "Am Ende hält man etwas in den Händen", sagt Fischer. Und vor allem: Nähen ist längst nicht nur ein analoges Phänomen, sondern auch im Internet sehr erfolgreich.
Ina Fischer, gelernte Schneiderin, diplomierte Bekleidungstechnikerin, studierte Medieninformatikerin, ist die Gründerin des Berliner Unternehmens Pattydoo. Vor acht Jahren saß sie in ihrer Babypause vor der Nähmaschine, tauchte ein in die Welt der Nähblogs und Nähtutorials – und merkte: Wow, da geht was!
Heute sitzt die 39-Jährige zusammen mit ihrem Mann Christian Jähnel in ihrem Konferenzraum zwischen Stoffregalen und Kleiderständern in Berlin-Charlottenburg. Pattydoo, das Fischer und Jähnel 2013 gegründet haben, hat mittlerweile zehn Angestellte und erwirtschaftet einen siebenstelligen Jahresumsatz. Das ist umso erstaunlicher, weil kein Investor je eingestiegen ist, es gibt nicht mal laufende Kredite. Pattydoo ist aus eigener Kraft gelungen, woran viele Berliner Start-ups trotz Anschubfinanzierung scheitern. "Wir haben bisher jährlich alles verdoppeln können – Traffic, Kundinnen, Umsatz", sagt Jähnel. Die Wachstumsaussichten seien hervorragend.
167.000 YouTube-Abonnenten
Was Pattydoo macht, klingt zunächst banal. Ina Fischer stellt kostenlos Videos bei YouTube ein, in denen sie langsam und Schritt für Schritt erklärt, wie ein bestimmtes Kleidungsstück aus Einzelteilen zusammengenäht wird. Das dazugehörige Schnittmuster für den Hoodie, das Sommerkleid oder die Umhängetasche verkauft Pattydoo als PDF, für 2,99 Euro. Die wohldosierte Mischung aus free und paid content funktioniert bestens. Inas YouTube-Channel ist mit 167.000 Abonnenten und Abonnentinnen der größte deutschlandweit zum Thema Nähen. Der Facebook-Gruppe von Pattydoo gehören knapp 100.000 Mitglieder an; die Berliner Firma hat es im letzten Jahr laut der Marketingplattform OMR in die Top 30 der größten Facebook-Gruppen Deutschlands geschafft.
Pattydoo ist nicht alleine. Im Internet ist rund um das Thema Nähen und Handarbeit eine Branche entstanden, die von vielen immer noch belächelt und unterschätzt wird. Auch Pattydoo, das seinen Firmensitz in einem unprätentiösen Altbau nahe des Berliner Messegeländes hat, strahlt kein Berlin-Mitte-Flair aus. Amerikanische Geldgeber, die an vielen Orten der Hauptstadt medienwirksam ihr Vermögen investieren, sucht man in dieser Ecke ebenso vergeblich wie hippe Inkubatoren. Firmengründer Christian Jähnel nimmt es gelassen: "Wir sind vielleicht einfach nicht so laut wie andere."
Dafür funktioniert das Geschäftsmodell – nicht zuletzt dank der unterschätzten, weiblichen Zielgruppe. Laut einer repräsentativen Studie der GfK Nürnberg betreiben 63 Prozent der Frauen in Deutschland zumindest gelegentlich Handarbeit. Es sind Frauen aller Altersgruppen, vom Teenager bis zur Seniorin. "Stille Massen", nennt Jähnel sie respektvoll. Und die Massen geben für ihr Hobby viel Geld aus. Auf 1,23 Milliarden Euro beziffert der Branchenverband Initiative Handarbeit e. V. den Gesamtmarkt für Handarbeitsbedarf in Deutschland im Jahr 2017. Nähen ist dabei das mit Abstand umsatzstärkste Segment: 450 Millionen Euro wurden im letzten Jahr mit dem Verkauf von Stoffen verdient, 175 Millionen mit Nähmaschinen. Auch Garne, Knöpfe und andere Kurzwaren verkaufen sich bestens: 183 Millionen Euro Umsatz in 2017. In manchen Handarbeitsbereichen steigen die Umsätze seit Jahren, in anderen stagnieren sie auf hohem Niveau – aber insgesamt geht es der Branche seit fünf, sechs Jahren ziemlich gut.
"Das hat eindeutig mit dem Internet zu tun", sagt Ina Fischer. Oft greifen die Portale, Blogs und Materialanbieter geschickt ineinander, sind über Links und Kooperationen vernetzt. Wenn Pattydoo ein neues Video samt Schnittmuster veröffentlicht – alle zwei Wochen ist es so weit – und Fischer einen bestimmten Stoff oder ein besonderes Garn empfiehlt, "dann ist das Material manchmal binnen Stunden ausverkauft". Das hat auch mit der Dynamik zu tun, die in den Foren entsteht. In der Facebook-Gruppe von Pattydoo laufen regelrechte Wettbewerbe, wer das neueste Schnittmuster am schnellsten runtergeladen, ausgedruckt und fertiggenäht hat.
Kommentare
Glückwunsch zum Erfolg.
Flauschig!
Muss eigentlich jede neugegründete Firma "Start-Up" genannt werden?
Irgendwie geht mir diese infflationäre Verwendung von Computer/Online Begriffen etwas auf den Keks.
Wurde nicht bis vor kurzem selbst UBER immer gern noch als „Start-Up“ tituliert?? ^^
Mit geschlechterklischees wird dann im Artikel doch nicht aufgeräumt, wie es der anreißer ankündigt. Eher damit, welche Art von Frau strickt, näht usw.
"Wenn es um Nähen geht, kennt Ina Fischer so ziemlich alle gängigen Vorurteile: altmodisch, uncool, nur was für gelangweilte Mamis in Elternzeit. "
Kann es sein, das man sich so etwas ausdenkt um irgendwie selber wichtiger und innovativer zu erscheinen ?
Habe derartiges noch nie gehört und nähe seit vielen Jahren.
Ehrlich gesagt hatte ich selbst bis vor wenigen Jahren noch diese Meinung, fand Handarbeit altmodisch usw. Dann habe ich damit angefangen, weil ich nirgendwo vernünftige Mützen für meine Kinder gefunden haben, entweder kratzig oder aus Polyacryl oder einfach nur hässlich. Inzwischen stricke, häkel und nähe ich und empfinde es als sehr wohltuende Abwechselung zu meinem Job, bei dem ich viel am Schreibtisch und PC sitze.