Die Deutschen halten ihre Netzwelt für halbwegs heil: Das ist eine ganz schlechte Nachricht, zumindest für Menschen in latenter Alarmstimmung. Im internationalen Vergleich sorgen sich relativ wenige deutsche Onlinenutzer zum Beispiel, dass sie im Netz auf frei erfundene Nachrichten stoßen könnten. Das ist eines der Ergebnisse der diesjährigen Ausgabe des Digital News Report des Reuters Institute der Universität Oxford. Demnach machen sich lediglich 37 Prozent der deutschen User wegen womöglich im Internet lancierter Falschmeldungen ernsthafte Gedanken, während die Vergleichszahlen beispielsweise bei Amerikanern (64 Prozent) und Brasilianern (85 Prozent) deutlich höher liegen.
Entweder sind die Deutschen sorgloser, als man annehmen würde, oder vertrauensseliger – oder eine Mehrheit von ihnen schätzt das hierzulande vergleichsweise überschaubare Problem von Fake-News schlicht realistisch ein. Beeinflussungskampagnen mit Falschnachrichten, wie sie nach dem US-Wahlkampf 2016 auch für den Bundestagswahlkampf im vergangenen Jahr befürchtet worden waren, haben offenbar nicht in größerem Ausmaß stattgefunden und keine wesentliche Wirkung erzielt.
"Es existiert ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen der alarmistischen Art, wie Medien über Fake-News berichten oder Politiker darüber sprechen – und der Realität", sagt Nic Newman, Hauptautor der am Donnerstag vorgestellten Reuters-Studie, gegenüber ZEIT OLINE. "Tatsächlich begegnen Menschen gerade in Deutschland vergleichsweise selten völlig frei erfundenen Nachrichten", so Newman. "Sie machen sich eher Sorgen darüber, dass die Berichterstattung in traditionellen Medien tendenziös oder fehlerhaft sein könnte."
Weniger Nachrichten von Facebook
Die Autoren der
Reuters-Studie, die eine der umfangreichsten zur weltweiten Nutzung
digitaler Medien ist, führen die ausgeprägte Furcht vor Fake-News
in den USA und Brasilien darauf zurück, dass dort zwei Faktoren
zusammenfallen: Die politische Debatte sei äußerst polarisiert und
zugleich die Nutzung von sozialen Netzwerken sehr hoch – und dort,
auf Social Media, begegnet man nun mal am ehesten Falschmeldungen.
Deutsche hingegen sind vergleichsweise wenig in sozialen Netzwerken unterwegs, und nur wenige suchen dort nach Nachrichten: Lediglich 24 Prozent der in Deutschland für die Studie Befragten gaben an, sich auf Facebook auch über das aktuelle Tagesgeschehen zu informieren. In den USA waren es 39 Prozent, in Europa wurden in Griechenland und Ungarn mit je 60 Prozent die höchsten Werte für News-Konsum über Facebook gemessen, weltweit mit 64 Prozent in Malaysia. Japaner suchen auf Facebook am wenigsten nach Nachrichten, dort sind es nur neun Prozent der Onlinenutzer. Für die diesjährige Ausgabe des Digital News Report wurden rund 74.000 Menschen in 37 Ländern online befragt, 2.038 davon in Deutschland; hier gab es zusätzlich Fokusgruppenbefragungen.
"In den meisten Ländern hat die Bedeutung von Facebook als Nachrichtenquelle in den vergangenen anderthalb Jahren deutlich abgenommen", sagt Newman. So gaben bei der Reuters-Studie vor zwei Jahren noch 42 Prozent der Befragten an, diese weltweit mitgliederstärkste Social-Media-Plattform dafür zu benutzen, sich zu informieren, 2018 sind es nur noch 36 Prozent. Die Verweildauer der User auf Facebook aber hat sich seit 2015 nur unmerklich verändert, zugleich beobachtet Newman eine deutliche zurückgehende Bereitschaft von Menschen, auf Facebook über Politik zu diskutieren. "Einer der Gründe für diese Verschiebung scheint zu sein, dass Facebook als Netzwerk fast schon zu groß geworden ist: Menschen scheuen sich angesichts ihrer vielen Facebook-Freunde, dort noch über ernsthafte Dinge zu debattieren", sagt Newman. Solche Diskussionen verlagerten sich etwa in Messengerdienste wie WhatsApp, wo sich Leute mit ihren engeren Freunden auch in Gruppen etwa über Politik unterhielten.
Dass Facebook mittlerweile weniger häufig als News-Lieferant genutzt wird, könnte auch mit den diversen Enthüllungen und Skandalen zu tun haben, die die Plattform seit dem US-Wahlkampf 2016 plagen. Vermutlich ist das aber nicht der wesentliche Grund, sondern die bewusste Veränderung, die Facebook zuletzt an den eigenen Algorithmen vorgenommen hat: Den Nutzern werden heute deutlich weniger Links von Nachrichtenseiten gezeigt als früher.
Kommentare
Ich bin Überrascht, dass Radiosender gar nicht erwähnt sind.
Naja bei uns ist das alles echt harmlos im Vergleich.
Solche Politischen Radiosender wie in den USA gibts quasi nicht bei uns.
Da sind echt üble Dinge dabei in den USA .
Bin ganz froh dass unsere Medienlandschaft so harmlos ist.
""Tatsächlich begegnen Menschen gerade in Deutschland vergleichsweise selten völlig frei erfundenen Nachrichten", so Newman. "Sie machen sich eher Sorgen darüber, dass die Berichterstattung in traditionellen Medien tendenziös oder fehlerhaft sein könnte." "
Das kann ich so unterschreiben. Diese Methode ist auch um einiges effektiver als direkte 'fake news'. Es ist ziemlich einfach so zu tun als könne man eine Statistik nicht richtig interpretieren.
Wenn ein Artikel auf wahren Daten basiert sind die Leser geneigt die vorgegebenen Folgerungen zu akzeptieren.
Dazu trägt bei, dass wenn es um die Interpretation von Daten geht, dass diese Ausgangsdaten verlinkt werden.
Wenn es sich nicht um einen Augenzeugenbericht oder einen Erstkommentar handelt, sondern um etwas von Dritten Übernommenes, dann sollte der interessierte Leser an die Original-Daten kommen.
Fremdsprachenkenntnisse dürfen vorausgesetzt werden.
Ebenso darf der Journalist bei gebildeten Lesern voraussetzen, dass diese sich bei einem interessanten Thema oder Sachverhalt nicht auf eine Quelle alleine verlassen. Sondern dass das Internet in vollem Umfang genutzt wird und viele Quellen herangezogen werden.
Wer sich allerdings auf Fox News oder Breitbart als alleinige Quellen verlässt, der ist verlassen.
"Vertrauen in einzelne Medien... in dieser Reihenfolge: DIE ZEIT, Süddeutsche Zeitung, FAZ und Spiegel. "
Da kann sich die Zeit jetzt auf die Schulter klopfen.
Allerdings dürfte zu dieser Einschätzung auch Zeit online und das hierzulande einzige und letzte Forum, in dem immer noch weitgehend Zensus-frei gepostet werden kann, beitragen.
In den Zeit-Foren kann auch dem Artikel widersprochen, der Artikel ergänzt, auf andere online-Medien verlinkt und diskutiert werden. Das trägt wesentlich zum Vertrauen bei, dass man hier an "Informationen" kommt. Wenn nicht im Artikel, dann vielleicht darunter....
Korrektur: Zensur
"Beeinflussungskampagnen mit Falschnachrichten, wie sie nach dem US-Wahlkampf 2016 auch für den Bundestagswahlkampf im vergangenen Jahr befürchtet worden waren, haben offenbar nicht in größerem Ausmaß stattgefunden und keine wesentliche Wirkung erzielt."
Selbstverständlich haben die stattgefunden und zwar in der gleichen Form wie seit Jahrzehnten. Die oligopolistischen Kanäle haben ihre Kandidatin durchgedrückt und eben nicht wer auch immer der aktuelle Feind der Fake-News-Spiegelfechterei gerade sein mag.
Quatsch.