Gäbe es das Internet nicht, könnten Sie diesen Text nicht lesen. Sie hätten keine Apps auf Ihrem Handy, keine Browser auf Ihrem Rechner, Sie hätten keinen Router, kein Modem und ZEIT ONLINE würde auch nicht existieren.
Dass es anders gekommen ist, hängt damit zusammen, dass der Student Charles S. Kline heute vor 50 Jahren auf eine Taste gedrückt hat. Am 29. Oktober 1969 gelang es ihm, eine Nachricht von einem Rechner der University of California in Los Angeles an einen rund 500 Kilometer entfernten Rechner am Stanford Research Institut zu übertragen. "Login" hieß das Wort, dass von Computer zu Computer geschickt wurde, ein Ereignis, das die Geburtsstunde unserer heutigen Onlinewelt markiert. Damals lief das über das Arpanet, vereinfacht ausgedrückt war das ein Vorläufer des Internets. Schon vor Klines Errungenschaft konnten Computer miteinander kommunizieren, allerdings nur Rechner mit dem gleichen Betriebssystem. Neu war, dass plötzlich alle Rechner verbunden werden konnten, auch wenn sie weit voneinander entfernt standen.
Wie so oft in der Geschichte der Menschheit musste viel zusammenkommen, damit Arpanet und später das Internet entstehen konnten. Es mussten Konzepte entwickelt, Kommunikationsprotokolle geschrieben, Geld beschafft und bewilligt werden. Hätte irgendetwas davon nicht geklappt, wäre die erste Nachricht womöglich nie verschickt worden. Und natürlich war Kline lediglich der Erste, dem die Verbindung gelang – auch in anderen Institutionen überlegten Menschen, wie Rechner miteinander kommunizieren könnten. Hätte es sie nicht gegeben, wäre das Internet nicht entstanden. Jedenfalls nicht so. Unser Leben sähe heute mutmaßlich ziemlich anders aus: unser Alltag, unsere Jobs, unsere Gesellschaft.
Täglich versenden Nutzerinnen und Nutzer Milliarden WhatsApp-Nachrichten, sie schicken E-Mails über den Globus, chatten über Messenger wie Signal und Threema, sind durch soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter und vielleicht sogar noch über StudiVZ verbunden. Sie googeln ihre Krankheitssymptome, suchen auf Wikipedia nach dem Namen des aktuellen argentinischen Präsidenten oder scrollen durch ihren Newsfeed. Sie schauen in Streamingdiensten wie Netflix oder Hulu, hören Musik über Spotify oder Deezer und lesen auf ihren Kindle oder Tolino.
Talk to my Brockhaus
Natürlich wissen wir nicht genau, wie die Welt heute ohne das Netz aussehen würde und welche Entwicklungen unser Leben stattdessen vorangebracht hätten. Vielleicht wäre unserer Alltag ziemlich ähnlich dem früherer Jahrzehnte: Studierende würden viel Zeit in Bibliotheken verbringen, Bildungsbürgerinnen in der 22. Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie blättern und Zeitungen auf Papier abonnieren. Medizinisch Interessierte würden den Pschyrembel auswendig lernen und Orientierungslose stets eine Straßenkarte im Rucksack herumschleppen. Wir würden wohl noch immer Kassetten hören, linear fernsehen oder Bücher lesen.
Zugegeben, ein unwahrscheinliches Szenario. Denn: Selbst wenn das Internet nicht erfunden worden wäre, hieße das ja noch lange nicht, dass sich Technologie in anderen Bereichen nicht anders hätte weiterentwickeln können. Vielleicht wäre der USB-Stick heute unser wichtigstes Gut, weil
wir darauf Daten komprimiert von einem zum anderen Gerät tragen könnten – oder es gäbe eine ganz andere Übertragungsform, auf die wir, weil wir ja das Internet haben, noch gar nicht gekommen sind.
Musik könnten wir auch ohne Netz über unseren MP3-Player hören. Vielleicht
hätten wir auch in einer solchen Offlinewelt Tablets, nur ließe sich darauf dann eben kein Netflix
schauen, sondern nur draufgeladene Filme. Unser schnellstes
Kommunikationsmittel wäre dann halt das Mobiltelefon, mit dem wir Menschen jederzeit
und überall erreichen können. Für mobiles
Telefonieren braucht man nämlich kein Internet, sondern nur Radiofrequenzen.
An diesen ganz anderen Formen
der Offlinealltagsgestaltung hängt natürlich auch, wie unsere Welt heute aussieht.
Denn wie schnell wir uns an viele Menschen mitteilen können, beeinflusst
ganz selbstverständlich, wie sich Sympathien und Erregungswellen aufbauen, wie
schnell jemand berühmt wird oder eine Geschichte in sich zusammenfällt.
Proteste wie die
in Hongkong würden ohne Internet möglicherweise nicht die weltweite Solidarität
erfahren, die sie heute erhalten – nicht so schnell, so nachhaltig, so stark
beeinflusst durch die Kommunikation von Aktivisten selbst. Die Klimaaktivistin Greta
Thunberg würde vielleicht noch immer allein vor dem
schwedischen Reichstag streiken. Und Harvey Weinstein seine Macht missbrauchen. Der Journalist Claas Relotius wäre
seiner Lügen vielleicht nie überführt worden – einfach, weil sie noch
schwieriger nachzurecherchieren gewesen wären. Donald Trump wäre möglicherweise nie US-Präsident geworden, weil er seine Kontrahentin Hillary Clinton nicht so
ungefiltert hätte angreifen können. Und auch Barack Obama hätte, ohne so viele Menschen über soziale Medien
zu mobilisieren, sein Amt als US-Präsident vielleicht nie angetreten. Genauso wie um die Netzkulturgröße Grumpy Cat in einer
Welt ohne Internet wahrscheinlich nur ihre Besitzer getrauert hätten.
All das sind nur mögliche Szenarien. Es gab auch ohne das Internet
Solidaritätswellen, Studierendenbewegungen, Populisten und Kulturphänomene. Nur
können sie weiter verbreitet werden, als es früher möglich gewesen
wäre. Weil es jetzt Internet gibt.
Kommentare
"...wenn das alles nie passiert wäre?"
Dann wäre es später "passiert".
Das Internet als Kommunikationskanal steht erdt am Anfang. Es ist wie ein autistisches Gehirn - ungeheuer leistungsfähig, alle Informationen irgendwo zugänglich - und doch mit den einfachsten Alltagsaufgaben schon überfordert. Vernünftige Filter die die für jede Hirnzelle sinnvollen Daten von den nutzlosen trennen : Fehlanzeige.
Ich hoffe ich darf noch miterleben, wie sich das ändert und die Idiocracy sich zu einer kollektiven Intelligenz wandelt, die für jede und jeden etwas zu bieten hat.
Mit Facebook, Google, Amazon, Twitter, Reddit, Instagram und wie die kaputten Informationsmärkte alle genannt werden, wird das aber wohl erstmal auf absehbare Zeit nichts werden. Mal sehen, vielleicht haben Stanfordstudenten in Zukunft ja bessere Ideen.
"Mit Facebook, Google, Amazon, Twitter, Reddit, Instagram und wie die kaputten Informationsmärkte alle genannt werden, wird das aber wohl erstmal auf absehbare Zeit nichts werden."
Die Menschen sind in Bezug auf das Internet und die damit verbundenen Möglichkeiten noch in der Findungsphase. Es wird ausprobiert was geht und das meiste ist Spielerei. Der Informations- und Kommunikationsaspekt wird bleiben, wenn wir internettechnisch erwachsener geworden sind, hoffentlich mit mehr Gehalt und Sinn.
Die Idee eines Gerätes, das Dokumente jedweder Art speichert und untereinander vernetzt (Hypertext) gab es schon 1945.
Lesetipp: Vannevar Bush - As we may think
https://www.w3.org/History/1…
Sorry, aber der Artikel ist einfach lieblos schlecht geschrieben.
Die Idee - was wäre wenn - ist noch ganz nett, die Umsetzung dann ein Kauderwelsch alá "hätte nicht, wäre nicht" ... ja aber die digitale Entwicklung hätte es ja doch gegeben ... also gut ... ja MP3-Player statt Walkman ... aber nein ohne Internet ... wäre ... blah ...
Das taugt nix.