Christliche Kreuze in Klassenzimmern sind nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag in Straßburg. Die Kreuze nähmen den Eltern zunehmend die Freiheit, ihre Kinder nach ihren philosophischen Überzeugungen zu erziehen.
Die Richter gaben damit einstimmig einer Italienerin Recht, die bis in höchste Instanzen mit dem Versuch gescheitert war, ihre Kinder in Räumen ohne religiöse Symbole unterrichten zu lassen. Das Urteil löste in Italien Entrüstung aus. Die Regierung in Rom kündigte Beschwerde gegen die Entscheidung an.
Das Gericht sprach der aus Finnland stammenden Klägerin Soile Lautsi 5000 Euro Entschädigung zu. Die streitbare Frau hatte im Schuljahr 2001/02 von der Schule ihrer damals 11 und 13 Jahre alten Kinder in Abano Terme verlangt, die Kreuze im Klassenraum zu entfernen. Sie berief sich dabei auf ein Urteil des italienischen Kassationsgerichts, dem zufolge Kreuze in Wahlbüros gegen die religiöse Neutralität des Staates verstoßen.
Die obersten Richter Italiens wiesen die Klage 2006 jedoch ab, weil das Kreuz ein Symbol der Geschichte und Identität des Landes sei. Der Staat argumentierte, das Kreuz sei als "Flagge" der einzigen in der Verfassung erwähnten Religion auch ein Symbol des Staates.
Der EGMR wies dies zurück. Die Schüler könnten das Kreuz leicht als religiöses Zeichen interpretieren. Die Freiheit, keiner Religion anzugehören, brauche besonderen Schutz. Es sei nicht zu erkennen, wie das Zeigen eines "Symbols, das vernünftigerweise mit dem Katholizismus verbunden werden kann", dem für eine demokratische Gesellschaft wesentlichen Bildungspluralismus dienen könne.
Das Urteil habe unmittelbar nur für Italien juristische Wirkung, sagte ein Gerichtssprecher in Straßburg auf Anfrage. Ein Urteil gelte immer nur für eine Person und ein Land. Allerdings sei die Feststellung der Prinzipien "auch für andere Staaten interessant". Wenn ein Bürger eines anderen Landes seine Rechte auf ähnliche Weise verletzt sehe, könne er ebenfalls den Rechtsweg beschreiten.
Der Fraktionsvize der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, Manfred Weber, kritisierte das Urteil. Weber sagte, wenn man in Europa so mit dem Christentum umgehe, so säge man an dem Ast, auf dem man selber sitze. Die Werteordnung der Europäischen Menschenrechtskonvention basiere auf dem christlichen Menschenbild. "Deshalb darf es ein Verteufeln christlicher Symbolik in öffentlichen Räumen nicht geben", mahnte der CSU-Politiker. Weber sieht notfalls auch den Gesetzgeber in der Pflicht. Gegebenenfalls müsse man "gesetzgeberisch nachjustieren", damit Gerichte künftig eine andere Basis für ein Urteil hätten, betonte er.
Politiker und Kirchenmänner in Italien kritisierten das Urteil scharf. Mit solchen Entscheidungen entferne sich Europa von den Vorstellungen seiner Gründerväter und nähere sich "unausweichlich dem politischen Scheitern", meinte Kulturminister Sandro Bondi. Arbeitsminister Maurizio Sacconi sprach von einem schweren Schlag gegen die europäische Lebensgemeinschaft, "die nicht bedeuten kann, die Wurzeln unserer Herkunft zu tilgen". Während der Vatikan selbst zunächst noch keine Position bezog, sagte Monsignore Vincenza Paglia von der italienischen Bischofskonferenz, das Kruzifix habe auch kulturelle und erzieherische Funktion. "Es ist wirklich unverantwortlich, dieses beseitigen zu wollen", kritisierte Paglia.
Die betroffene Schule "Vittorino da Feltre" im norditalienischen Abano Terme will das Urteil erst studieren und dann entscheiden, wie jetzt vorgegangen werden soll. Innen-Staatssekretär Alfredo Mantovano nannte das Urteil so "ungerechtfertigt und dumm", dass sich, wenn man ihm folgen wolle, die Frage stelle, ob dann nicht auch der weithin sichtbare Mailänder Dom abgerissen werden müsse. Das sei Wasser auf die Mühlen all derer, die die EU-Institutionen als abgehoben ansähen.
Auch Deutschland hat Erfahrungen mit derlei Streitfällen. 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die Anordnung in der bayerischen Volksschulordnung zum Anbringen von Kreuzen als verfassungswidrig aufgehoben. Die Regelung verstoße gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit und die staatliche Neutralitätspflicht, befanden die Karlsruher Richter damals. Der Landtag beschloss daraufhin ein Gesetz, das auch nach dem Karlsruher Urteil Kreuze vorschreibt. Es enthält aber erstmals eine Regelung zum Umgang mit Konfliktfällen.
Kommentare
Werteordnung der EMRK
"Die Werteordnung der Europäischen Menschenrechtskonvention basiere auf dem christlichen Menschenbild." (Manfred Weber)
Merkwürdig allerdings dann, daß innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einzig Weißrussland und der Vatikan die EMRK nicht ratifiziert haben.
Die EMRK entsammt einer humanitstischen, religionsfreien Werteordnung.
Im Übrigen sollte Herr Weber sich einmal mit :
Artikel 9 – Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit*
der EMRK vertraut machen.
Ich denke, als EU-Abgeordneter sollten Herrn Weber die grundlegenden europäischen Konventionen bekannt sein.
Andererseits, vielleicht gelingt es nach einer kleinen Läuterungspause Herrn Weber ja, auch den Vatikan zu einer Ratifizierung dieses m.E. wichtigen Dokumentes zu überzeugen.
Eingriff in meine Armut
irgendwann werden sie in einer anderen Frage ein dem widersprechendes Urteil fällen müssen und dann haben sie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und das ist nicht zu unterschätzen. Was ich mir so im Bus an politischen Ansichten anhören muss, ist manchmal auch unerträglich. Ebenso bestimmte Aufdrucke auf T-Shirts. Sprechverbot? Bildverbote.
Vielleicht können wir bald nichts mehr Abweichendes ertragen. irgendwie so, als würde alles Allergien hervorrufen, was nicht aus Stoff a, b, oder c besteht. Bitte nicht beschweren, wenn es immer geregelter, einförmiger und intoleranter wird.
Irgendwann wird auch das Glockenläuten verboten. Für mich gehört es zum Sonntag dazu. Mal sehen, wann der erste kommt, der dadurch krank und lebensuntüchtig wird. Er wird natürlich auch recht bekommen.
Übrigens die ständige Werbung als Symbol unseres auf Konsum und Pofit ausgerichteten Systems macht mich echt krank. Sie ist ein Eingriff in meine Einstellung zur selbst gewählten Armut. Mein Sohn will immer was kaufen und behindert mich daran, ihn konsumfrei und nur auf das Nötigste beschränkt zu erziehen. Mal sehen, was der EUGH für mich tun kann.
@2
Sehr geehrte(r) "TDU": Sie missverstehen diese Angelegenheit leider im wichtigsten Punkt: Hier geht es um die STAATLICHEN Aufgaben, nicht um die Taten oder Meinungsäußerungen irgendwelcher anderer Bürger. Der Staat, der für ALLE da sein soll, DER darf sich nicht wie ein Katholik oder Protestant oder Moslem ausspielen, DAS ist der Punkt. Ihre Konsum/Haltestellen/Bus/Glockenläuten-Vergleiche gehen deshalb komplett an der Sache vorbei, da das alles nicht vom Staat unternommen wird.
Yo!
Gute Entscheidung! Schließlich sollte sich eine staatliche(!!) Schule nicht mit einer bestimmten Religion identifizieren. Ein guter Tag für alle, die Religionsfreiheit nicht nur sich selbst, sondern auch anderen zugestehen. *freu* :-)
Religionsfreiheit
Ich sehe meine Religionsfreiheit durch die Einrichtung muslimischer Gebetsräume beeinträchtigt, Schulen sollten frei von Religion sein.