Die Kardinäle sind alt und ängstlich geworden. Sie haben einen der ihren zum Papst gemacht, einen, der alt ist und ihre Angst versteht. Es muss etwas geschehen, aber es darf nichts passieren. So haben sie den zweiten Übergangskandidaten in Folge gewählt. Immerhin, der Vorgänger hat Franziskus einen neuen Trumpf in die Hand gegeben: Er kann zurücktreten.
Der Jesuit Jorge Mario Bergoglio, ein volksnaher, betagter Wissenschaftler, leitet nun die Katholische Kirche, einer, der schon im vergangenen Jahr, mit 75, dem Papst seinen Abschied als Erzbischof anbieten musste. So verlangte es das Kirchengesetz. Als Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz bekam er schon vor zwei Jahren einen Nachfolger.
Ein Ruheständler soll nun die verkrustete Kurie reformieren, einen Nachfolger für den kaum älteren Erzbischof von Köln finden, Licht in den Missbrauchsskandal bringen, mehr Frauen an der Verantwortung beteiligen und den Zölibat verteidigen oder durchlöchern. Er soll die Rolle der Weltkirche abseits der Macht, aber im Wettbewerb der Religionen neu konzipieren. Und die Wärme im katholischen Glaubenshaus halten, die durch die bröckelnden Wände und die undichte Haustür entschwindet. Das ist viel.
Wahrscheinlich muss er sich vor allem gegen die wachsende Spaltung der katholischen Weltkirche stemmen. Denn ihr größtes Pfund liegt bisher darin, ihre Einheit bewahrt zu haben. Noch verfügt sie über die stärkste gesellschaftliche Bindekraft aller Gruppen, über Länder- und Kulturgrenzen hinweg. Aber diese Kraft schwindet.
Das Haus der anderen Weltkirche, der anglikanischen, liegt bereits in Trümmern. Die schambesetzten Gesellschaften des Südens haben sich aufgelehnt gegen die liberale, tolerante Haltung der alten Kontinente, etwa zur Homosexualität. Der nigerianische Erzbischof Peter Akinola, ein anglikanischer Gegenpatriarch, schleudert seinen Glaubensbrüdern oberhalb des Äquators angesichts ihrer Offenheit entgegen, unter ihnen grassiere die "Krankheit des weißen Mannes". Er hat die Gemeinschaft mit dem sündigen Norden aufgekündigt. Den Lutheranern geht es ähnlich.
Noch steht das katholische Einheitsgebäude. Doch überall auf der Welt werden Menschen selbstständiger, als das katholische Glaubensfachwerk es vorsieht. Die kirchliche Hoheit über die Sexualität ist global verloren. Missbrauch wie auch der Filz in der römischen Zentrale schwächen die Überzeugungskraft des Katholizismus. Menschen hören "Macht", wenn ein Bischof "Gott" sagt.
Kommentare
Jeder Papst ist ein Übergangspapst
Und dieser ist der erste Franziskus, wow, was für ein Statement!
Adenauer war auf der Höhe seiner Schaffenskraft, als er so alt war, wie der neue Papst jetzt.
Adenauers Leistungen sind total überbewertet
aber wie sich der neue Papst machen wird muss man trotzdem noch abwarten. Nur, sein Lebenslauf spricht nicht gerade für den Mann.
Vorurteil
Ich bin nicht von der katholischen Kirche mit ihren altertümlichen Ansichten überzeugt, aber ich denke mir bei diesem Artikel: Ein neuer Papst ist gewählt worden und er ist erst einen Tag im Amt. Geben wir ihm eine Chance - mal sehen was er erreichen kann. Dann erst kann man sich ein Urteil bilden. Das scheint aber ein allgemeines Problem zu sein, dass Leute über Andere urteilen - vom Thema aber keine Ahnung haben.
"Jesuiten leben in Zelten -
nicht in Klöstern." (Pater Klaus Mertes)
Ich bin sehr gespannt darauf, wie der Kurie die Umwandlung in ein Zeltlager bekommt...
Richtungsweisender Artikel
Sie schreiben "Menschen hören "Macht", wenn ein Bischof "Gott" sagt." - es ist ja auch so gemeint vom Herrn Bischof, der an einen _all_mächtigen Gott auch dann glauben muss, wenn der keinerlei wahrnehmbare eigene Zeichen seiner Existens in seiner Schöpfung gibt. Alles Menschenmacht - fast können sie einem Leid tun, die "Römer", dass sich so viele Gegenpole bilden, außerhalb sowieso, aber mehr und mehr auch innerhalb. Die früher so gängigen Einschüchterungsmechanismen von Hölle und Fegefeuer funktionieren halt nicht mehr in der zunehmend aufgeklärten, oder eher säkularen Welt. Was von so vielen Menschen an spiritueller Nahrung gesucht wird, können verknöcherte und machtorientierte Amtskirchen wie die römische nicht mehr liefern, weil ihnen in ihrer Abgehobenheit in ihrem Paralleluniversum jegliches _echte_ Verständnis für solche Nöte fehlt.
Da ist wirklich zu hoffen, dass der neue Papst auf dem Boden bleibt, auf einem Boden, von dem sein direkter Vorgänger schon lange abgehoben hatte. Glück und Bescheidenheit und Authentizität, Franziskus I. !
PS: Ich möchte gern...
die Existens aus #4 durch Existenz ersetzen.