Seit ich denken kann, strenge ich mich an, ein guter Mensch zu sein. Kein Zufall also, dass ich mich seit 40 Jahren in den Szenen von Umweltschützern und Friedensbewegten, Sozialhelfern und Social Entrepreneurs bewege. Dort sammeln sich Persönlichkeitstypen, die meinem auffallend ähneln. Einschließlich einiger blinder Flecke und alter Glaubenssätze, die mir erst in den letzten Jahren bewusst werden. Bis dahin war mir unbekannt, dass sie existieren, geschweige denn, wie leidvoll sie sich auswirken. Nun stelle ich mir die Frage, ob solche unbewussten Denkstrukturen auch die großen sozialen Bewegungen begleiten. Wenn das stimmt, geht es nicht um ein privates Problem, sondern um eines mit gesellschaftlicher Tragweite. Denn fatalerweise werden wir am stärksten von jenen Anteilen unserer Identität beherrscht, die aus dem Schatten des Bewusstseins heraus agieren. Sie können die guten Absichten des Engagements für sozialen Fortschritt überlagern und untergraben. Das gilt für einzelne Menschen, für Organisationen, für ganze Gesellschaften.
Das eigene Beispiel zur Veranschaulichung. Meine Karriere als guter Mensch begann im Grundschulalter. Ich wurde Messdiener. Bis 15 hatte ich mich zum Oberministranten hochgedient. Mit 18 verwarf ich den Plan, Berufsoffizier zu werden, obwohl ich Hubschrauberfliegen für eine scharfe Nummer hielt. Ich verweigerte den Kriegsdienst und schützte fortan als Zivi Kleingewässer, Kopfweiden und Knoblauchkröten. Als Journalist schrieb ich fortan über ökologische Themen, Entwicklungspolitik und Friedenslösungen. Später gründete ich eine Stiftung, um konstruktiven Journalismus zu fördern, und einen Verein, der Friedensstifter unterstützt. Dafür wurde ich als "führender Sozialunternehmer" ausgezeichnet. Außerdem bin ich meistens freundlich, spende regelmäßig und habe mein Auto vor 27 Jahren abgeschafft. Sollte sich das nach Beweisnot anhören: Genau darum geht es.
Denn neben echter Freude und Menschenfreundlichkeit hat mein Engagement auch etwas Zwanghaftes. Ich gebe vor, aus kreativer Fülle zu handeln, dabei gibt es noch ganz andere Antreiber. Dazu gehört ein alter Glaubenssatz, aus der Liebe gefallen zu sein. Ich habe das Gefühl, falsch zu sein und nie zu genügen. So stehe ich seit Kinderzeiten am Zaun zum Paradies, rüttle daran wie einst Gerhard Schröder am Gitter des Bundeskanzleramtes und rufe: "Ich will da rein!" Meine Strategie dafür ist wenig einfallsreich und gerade im sozialen Bereich weitverbreitet: Ich will mir die verloren geglaubte Liebe durch gute Taten ver‑dienen.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Wenn ja, kennen Sie vielleicht auch das Resultat der lebenslangen Suche nach dem Guten, Schönen und Wahren im Außen: Sie bringt nichts. Egal wie sehr man sich anstrengt, das seelische Vakuum bleibt. Es wächst sogar noch. Zwar habe ich einiges in diesen seelischen Krater hineingeworfen, berufliche Erfolge, die Liebe von Frauen, die Treue alter Freunde. Aber all die Anerkennung und Zuwendung verwandelte sich, wie bei einem schwarzen Loch, auf rätselhafte Weise in Antimaterie. Weshalb ich mich dann noch mehr angestrengt habe.
Nun könnte man fragen: Was schadet es, wenn der Antrieb für soziales Engagement aus seelischen Defiziten entsteht? Hauptsache, die Ergebnisse stimmen! Doch die Erfahrungen, auch mit vielen Kollegen und Verbündeten, legen andere Schlüsse nahe. Die Veränderung zum Besseren, die wir anstreben, wird durch verborgene Motive boykottiert. In vielen Fällen verkehren sie beste Absichten in verheerende Resultate. Es wird Zeit für ein paar unbequeme Fragen an uns Gut-Macher.
Müssen Weltretter fleißiger sein als Weltruineure?
"Es ist fünf vor zwölf." Wie oft bemühen Umweltschützer diese Losung, wenn sie Alarm schlagen. Es ist richtig, Mutter Erde geht’s speiübel. Naturzerstörung, Luftverschmutzung, Artensterben und Verwüstung sind bedrohlich. Die ökologische Wende wird hinausgezögert, dabei wäre Handeln angesagt. Dennoch stellt sich die Frage, warum sich Menschen in der Umweltbewegung durch Angstszenarien so unter Druck setzen. Denn dafür steht die Metapher von der tickenden Uhr: Wir haben noch fünf Minuten Zeit, wenn überhaupt. Dann ist High Noon. Weltende. Apocalypse now. Wir müssen uns beeilen. Um das Unglück vielleicht doch noch abzuwenden. Deshalb müssen wir auch mehr arbeiten als die Umweltzerstörer. Mehr Projekte, Papiere, Proteste. Mehr Fundraising, Meetings, Mailings. Statt eines Traums vor Augen treibt uns der Albtraum im Nacken. Wir setzen uns unter Druck.
Ich bezweifle, dass Bedrohung auf Dauer als Motivator taugt. Ihre Negativität färbt die Botschaften, die eigentlich begeistern und ermutigen sollen, dunkelgrau ein, ihre Wirkung stumpft mit der Zeit ab. Gewohnheit ist die Gabe, sich auch unter dem Damoklesschwert wohnlich einzurichten.
Der Versuch des Hasen, schneller als der Igel zu sein, kann im Kollaps enden. Ein Bekannter, der sich in Bayern im Naturschutz engagierte, hatte ständig einen übervollen Terminkalender, quetschte aber immer noch Veranstaltungen hinein. Eines Abends, nach einem Vortrag über das Waldsterben, wollte er mal wieder schnell nach Hause und raste mit 150 Stundenkilometern vor einen Baum. Er überlebte schwer verletzt. Als er wieder an Krücken laufen konnte, füllte er seinen Kalender schnell wieder. Alte Verhaltensmuster waren stärker als die Lektion am Straßenrand.
Kommentare
Nein, er kämpft aus guten Motiven für die falschen Ziele
Ich möchte die Motive der Gutmenschen kaum anzweifeln, nur schießen sie oft über das Ziel hinaus und ihr Handeln überschießt häufig zum Schlechten.
Zudem sind ihre Ziele häufig nicht zu rechtfertigen, denn Gutmenschen sind ja nicht alleine auf der Welt und sie verfügen auch nicht über die einzig seligmachende Wahrheit.
Nein, genau umgekehrt.
Die Ziele sind richtig, aber die Motive falsch. Und das wiederum korrumpiert die Ziele. Da hat der Autor schon recht.
Wer gut handelt, um damit irgendein seelisches Defizit zu kompensieren, hat verloren.
Zuerst muss man mit sich selbst im Reinen sein, erst dann kann man die Welt wirklich positiv verändern. Spirituelle Binsenweisheit.
Um allerdings mit sich selbst ins Reine zu kommen, braucht man bereits eine gewisse Ethik.
unzureichender und teils
falscher Ansatz aus meiner Sicht.
Für mich ist jegliches Streben nach mehr als mein Nachbar nicht nur unredlich,nein sogar schädlich und unkapitalistisch.
Aber mit den Begriffen Kapitalismus,Sozialismus,sozial-(Unternehmer) etc wird schindluder getrieben,nicht nur in Griechenland,gleiches gilt für die Begriffe links und rechts.
Was jedoch von der Natur gewollt ist: die Gleichheit.Was Wohlstand schafft: Gleichheit(Skandinavien).
Wer alles bekämpft ,was Ungleichheit fördert,von Kündigungschutz über Beamtentum bis zu Leiharbeit und Lohnspreizung,der braucht auch nichts Pseudo-spenden von Geld,daß er gar nicht auf dem freien Markt verdient hat.
Was ist also,wenn Pofalla oder damals Hans-Peter Repnick von ihren ermauschelten Mio-Gehältern Geld spenden? Gutmenschentum? Das wäre zynisch.
Selbst ein Klaus Kleber,der sich mit 700 000 Euro Jahresgehalt aus öffentlichen Mitteln und kündigungschutz moralisierend in einer Reportage hinstellt und sagt: "Wir " können nicht auf dem Niveau leben,ohne die dritte Welt auszubeuten,ist mehr zynisch als Gutmensch.
Bei jemand der von Steuern eines Quäl-Schlachters als staatsnaher Beschäftigter bezahlt wird,ist es mir egal ,ob er Fleisch ist,solange er nicht konsequent auf den Anteil an Geld verzichtet,der aus Quellen kommt,die seiner Gutmenschideologie widersprechen.
Ungewöhnlich und charmant: Ein Gutmensch, der reflektiert.
Die durchaus regelmäßige Berufung als Journalist fällt da auch nicht mehr negativ ins Gewicht.
Der Herr wird leider eine Ausnahme sein: Auch hier in der Kommentarspalte gibt es wohlbekannte User, die mit einer bemerkenswerten Chuzpe noch den hanebüchensten Unsinn vertreten, weil's ja irgendwie links und irgendwie grün und irgendwie emanzipatorisch gemeint sein soll... und die bemerkenswerterweise von der Moderation auch bei unverschämtesten Äußerungen niemals gelöscht werden. Klar: Sie kommen meist sehr kindlich daher in ihrer Argumentation, da läßt man sowas vielleicht mal als pubertären Ausbruch durchgehen... wenn's halt nicht ständig dieselben wären.
Ein Gutmensch, der reflektiert.
Wäre das nicht auch einmal was für Sie?
Statt alle Vorurteile über "Gutmenschen" wieder in diesen Beitrag zu packen. Links, grün und dann noch emanzipatorisch, da haben wir ja alles schlechte dieser Welt zusammen.
Gutmenschen sind für die Gesellschaft in erster Linie unbequem. Deshalb werden sie ja auch so gerne beschimpft. Mit dem Kampfbegriff "Gutmensch" kann man ja jede Äußerung, die unser gewohnte Verhalten in Frage stellt, diskreditieren.
Wer die Welt retten will,
leidet nicht an Gutmenschentum, sondern an Größenwahn. Ein "guter" Mensch zu sein, kann unmöglich als Lebensziel dienen. Wer andere nicht vorsätzlich oder fahrlässig schädigt und hilft, wo es ihm leicht möglich ist, hat schon alles richtig gemacht. Wenn einer darüber hinaus noch darauf verzichtet, gegen andere zu hetzen und unterschiedlichste Lebensentwürfe akzeptiert, besitzt er schon menschliche Größe.
Sehe ich ähnlich...
der erste Schritt ist zu begreifen, dass man die Welt ("da draußen") nicht erretten kann. Nicht als Einzelperson, nicht als Gruppe. Dieser Anspruch und der Versuch muss scheitern. Was man tun kann: mit sich selbst und dem eigenen Tun im Reinen sein. Ohne den Wunsch nach Anerkennung anderer oder Imitation durch andere. Die kann durchaus folgen, ist aber nicht zwingend. Darauf sollte man sich unbedingt einstellen.
Mir begegnen regelmäßig Menschen, die unter dem Zwang zum Gutsein leiden. Die sich Sorgen um jede Konsequenz ihres Handelns machen, ihr ganzes Leben danach ausrichten. Die das ganze Leid der Welt lindern möchten und (absehbar) nicht können, schon weil sie nicht die einzigen Entscheider und Individuen auf diesem Planeten sind (zumal es sich meist um totalitäre Phantasien handelt, das Leben anderer nach eigener Vorstellung vom richtigen Leben gestalten zu können - das fängt schon beim Obdachlosen an, der manche Form von "Hilfe" ablehnt). Die sich vom Geschehen in der Welt da draußen nicht distanzieren können und damit ein zutiefst unglückliches Leben führen, obwohl sie doch allen (einschließlich sich selbst?) ein glückliches Leben wünschen. Die sich damit mehr um das Leben anderer kümmern als um das eigene.
Wenn Einmischung ("Hilfe") nicht selbstlos ist, sondern zum Anspruch mit Erwartungshaltung anderen gegenüber wird, folgt oft Enttäuschung. Glücklicher lebt, wer sich von Ängsten und Zwängen (auch durch Erwartungshaltung, eigene wie die anderer) freimacht.