Zwei Bundesministerien, das Berliner Abgeordnetenhaus, gleich nebenan der Potsdamer Platz: Die Stresemannstraße in Berlin ist das, was man eine exklusive Lage nennt. Trotzdem musste das Hotel BelAhr im September 2014 schließen. Nur ein paar vereinzelte Apartments sind in dem Haus mit den 15 Stockwerken noch bewohnt.
Einen Tag vor Heiligabend ändert sich das plötzlich: Pappkartons mit Bettwäsche stapeln sich vor der Drehtür, über der immer noch die drei Sterne des Hotels prangen. Davor parkt eine Reihe von Krankenwagen des Deutschen Roten Kreuzes. Frauen und Männer in roten Reflektorjacken laufen umher, aus ihren Funkgeräten knarzt eine Stimme, die einen Lkw mit Hygienepaketen ankündigt.
In der Stresemannstraße entsteht an diesem Mittwoch eine Notunterkunft für Hunderte Flüchtlinge. Wie viele genau kommen sollen, diese Information ändert sich immer mal wieder, aber es gibt ja auch Wichtigeres. Dass die Zimmer in annehmbarem Zustand sind zum Beispiel. Kleingruppen kontrollieren jede Etage: Gibt es zu jedem Zimmer Schlüssel? Wie sauber ist es? Wie viele Betten stehen darin?
Vorbereitet ist so gut wie nichts. Erst am Dienstag gab es die endgültige Zusage des Hauseigentümers. Umso nützlicher ist die Routine des DRK: Abends wurde der Generalschlüssel übergeben und ein erster Rundgang gemacht, der Einsatzleiter Olav Jäger ging um 22.30 Uhr nach Hause – und stand um 7 Uhr morgens wieder hier. Wachschutz, Catering, Ausrüstung organisieren: Bei ihm läuft alles zusammen. 25 DRK-Helfer wuseln um ihn herum, 45 sollen es heute noch werden.
"Sonst wären wir nicht das DRK!"
Auch wenn ihre leuchtfarbene Dienstkleidung anderes vermuten lässt: So gut wie alle, die heute hier sind, arbeiten ehrenamtlich mit.
Manche haben sich beim Arbeitgeber Urlaub genommen, um zu helfen. Andere haben ohnehin heute frei, wollten eigentlich letzte Weihnachtseinkäufe machen. Das verschiebe man dann eben auf morgen, sagt einer, "sonst wären wir nicht das DRK!"
Um kurz vor zwölf kommt der erste Bus. Vor allem Familien sollen hier einziehen, Alte und Kranke – jene, denen die Unterbringung in Turnhallen am wenigsten zuzumuten ist. Mehrere Rollstühle werden herangeschoben, Kleinkinder rennen zwischen den Beinen der Helfer hindurch. Auf den Bierbänken, die die Helfer für die Wartenden vor der Tür aufgestellt haben, sitzt ein Greis mit einem Schal um den Kopf gebunden. Er scheint ganz allein zu sein und wartet geduldig, bis er an der Reihe ist.
Geduld brauchen auch die Helfer. Während die ersten Leute die Zimmer beziehen, fehlen anderen die nötigen Papiere vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), in dessen Auftrag das DRK handelt. Die Stimmung ist schwer einzuschätzen: Die Ankommenden haben teilweise nächtelanges Warten vor dem Lageso hinter sich, bewegen sich irgendwo zwischen erschöpft, gereizt und dankbar.
Nach wenigen Stunden braucht es rot-weißes Absperrband, um die Situation zu überblicken. Wer ist künftiger Bewohner, wer Tourist, wer Getränkelieferant? Jeder will irgendwas, die Helfer sausen hin und her. Zwischendurch muss ein kleiner Junge aufs Klo, ein Mädchen mit hohem Fieber ins Krankenhaus. Die Stockbetten, die in die Zweizimmer-Apartments gestellt werden sollen, sind noch nicht geliefert. Dafür schleppt eine Umzugsfirma gemeinsam mit Wachschützern Schlafsofas auf die Straße, um Platz zu schaffen.
"Von uns ist keinem so richtig nach Weihnachten"
Im Innern sitzen hinter der holzvertäfelten Rezeption Männer in weißen DRK-Sweatshirts und registrieren jeden einzeln. Ohne elektronischen Hausausweis kommt in Zukunft niemand mehr ins Gebäude. Aus Sicherheitsgründen – aber auch, um den Überblick über die Belegungszahlen zu behalten. Mit steigender Anzahl blicken sie immer angestrengter auf ihre Liste. Nicht jeden können sie zuordnen, nicht jeder gibt sich mit einer klaren Ansage sofort zufrieden. Gibt es Gerangel, ist der Wachschutz zur Stelle. Es ist Stress, für alle hier.
"Von uns ist keinem so richtig nach Weihnachten", sagt Rüdiger Kunz vom DRK-Landesverband. Eigentlich habe er Weihnachten in diesem Jahr schon vergessen. Er spricht für viele: Die Flüchtlingskrise ist auch für hartgesottene Ehrenamtliche eine neue Qualität des Helfenwollens, des Gebrauchtwerdens. Und ebenso seine Kehrseite: das Nicht-Nein-sagen-können. Viele Hilfsorganisationen berichten von zunehmend erschöpften Helfern. Und sie bemängeln, dass der Staat sich darauf verlasse, dass sie das schon schafften.
In der Tat: Ohne die Dutzenden DRK-Ehrenamtlichen stünden Kunz und Jäger heute schlecht da. Dazu kommen immer mehr Freiwillige aus den umliegenden Vierteln. Über Facebook und Twitter wird so viel Hilfe mobilisiert, dass die DRK-Verantwortlichen sich allmählich sorgen, dass sie Leute wieder wegschicken müssen.
Kommentare
Warum zahlen wir eigentlich noch Steuern, wenn die wesentlichen Dinge von Ehrenamtlichen übernommen werden?
Sein Sie nicht so kleinlich. Der fürsorgliche Staat ist abgeschafft bzw. privatisiert. Politik begreift sich nicht mehr so sehr als gestaltendes Element oder hält sich an überkommenen Begriffen wie Verantwortlichkeit oder Richtlinienkompetenz fest.
Moderne Politik besteht eher darin anzufeuern und ein freundliches Gesicht zu machen. So weckt man das Beste in der Bevölkerung.
"Die schaffen das "
Die viel wichtigere Frage ist doch: "Wollen wir das überhaupt"?!
Genau. Heimatlose, notleidende Menschen hin oder her. Viel wichtiger ist, ob wir auch Lust darauf haben dass die kommen. Frohe Weihnachten!
Das genügt nicht. Der Strom der Zuwanderer hält an. Wieso sollte er auch stoppen ? Nach wie vor gibt es keine Flüchtlingsverteilung über Europa, Erdogan lässt die Schlepper weiter agieren, Griechenland schützt die EU Außengrenzen nicht, Merkel lässt das Dublinabkommen weiter außer Kraft.
>Merkel lässt das Dublinabkommen weiter außer Kraft<
In ihrer mit Spannung erwarteten Neujahrsansprache wird sie sicherlich ihre Strategie ("ich habe einen Plan") erklären.
Wenn der Staat versagt müssen es eben seine Bürger richten. Hauptsache in Deutschland muss ein Arbeitnehmer fast 50% seines Einkommens in Form von Steuern abgeben, damit sind wir fast Spitzenreiter in Europa. Trotz dieses riesigen Finanzvolumens muss die Drecksarbeit wieder der Bürger selbst in die Hand nehmen. Was nützt ein Staat der nur die Hand aufhält und sonst in den wichtigen Bereichen der Staatsorga versagt?
Ich denke Sarrazin hatte seiner Zeit Recht mit der Floskel Deutschland schaffe sich ab. Denn so eien Staat braucht nun wirklich kein Mensch.
Frohe Weihnachten und schöne Wintersonnenwende euch allen! :D
Entfernt. Bleiben Sie sachlich und verzichten Sie auf überzogene Polemik. Die Redaktion/th
Entfernt, polemisch. Die Redaktionfk/
Menschen zu helfen, ist definitiv KEINE "Drecksarbeit". Was für eine ekelhafte Grundeinstellung - spricht nur gegen Sie!
Flüchtlingen zu helfen, ist für mich keine Zitat: "Drecksarbeit". Danke. Frohe Weihnachten. Und Ihnen eine Frohe Wintersonnenwende.
Entfernt. Themenfern. Die Redaktion/th
Sehr meinungssstarke Thesen. Die Kommasetzung dagegen ist sehr schwach. Krass.
Macht es Sinn mit Menschen zu diskutieren die nicht einmal den Unterschied zwischen Sozialabgaben und Steuern kennen? Ich zumindest kenne keinen Arbeitnehmer der den Spitzensteuersatz zahlt und bei denen die das müssen hält sich mein Mitleid in Grenzen.
Entweder haben Sie noch nie Steuern gezahlt, dann verzeihen wir Ihnen Ihre Unkenntnis - oder Sie gehören zu den oberen Zehntausend, dann können Sie das doch locker ab...
Achja , unsachlich und polemisch . So versucht man den Leser abzuwarten.
Es ist nun einmal eine Tatsache dass der deutsche Sozialstaat seine Aufgaben kaum mehr wahr nehmen kann und es auf die Ehrenämter abwälzt. Beste Beispiel die Tafel.
Aber bitte sehr.
"Zitat des Tages: 70 Milliarden Stunden Ehrenamt
»In Deutschland sind zurzeit etwa 23 Millionen Menschen ehrenamtlich und damit unentgeltlich in Vereinen, Verbänden, Initiativen oder Kirchen tätig. Es werden in Deutschland pro Jahr etwa 60 Milliarden bezahlte Arbeitsstunden geleistet und etwa 70 Milliarden unbezahlte.«
Michael Feld, Facharzt für Allgemeinmedizin,
heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung"
http://rv-bildertanz.blogspo…
"In Deutschland betrug das Arbeitsvolumen 2011 insgesamt 58 Milliarden Arbeitsstunden, bei ca. 41 Millionen Erwerbstätigen"
https://de.m.wikipedia.org/w…
Desweiteren :
http://www.bpb.de/apuz/20355…
Und zwar nehme ich auf folgenden Satz Bezug:
"Wenn der Staat versagt müssen es eben seine Bürger richten."
Und Recht hat der Forist! Aber undankbarkeit (Staat plus Presse) ist der Welten Lohn .
Die von Ihnen zitierten Zahlen (Zitat Michael Feld) können meines Erachtens nicht stimmen: 70 Milliarden Stunden geleistet von 23 Millionen Ehrenamtlichen sind 3043 Stunden jährlich bzw. 57 Stunden wöchentliche ehrenamtliche Arbeitszeit. Selbst wenn sich dieses Arbeitsvolumen auf alle 41 Millionen Erwerbstätige plus 28 Millionen nicht erwerbstätige Ehrenamtliche verteilen würde, wären dies immer noch 19 Stunden pro Woche. Im Grundsatz stimme ich Ihnen jedoch zu, dass der Staat ohne ehrenamtliche Leistung den gesellschaftlichen Anforderungen nicht gewachsen wäre.
Doch diese Zahlen stimmen, ich finde den Link nicht, aber es gibt einen Pfarrer aus Köln , Herr Meurer. Der sprach und dass sachlich wiederlegt , dass es 2008 gar 100 Milliarden unbezahlte ehrenamtliche Stunden gab. Das Problem mit dem Ehrenamt , es wird kaum erforscht oder gar hinterfragt wieviel Zeit diese Menschen in ihrer Freizeit investieren.
57 Stunden die Woche ist kein Problem . Viele die ihr Ehrenamt ausführen sind Rentner,. Auch bei den Tafeln . Ganz einfach mal vorbei schauen und sich eine eigene Meinung bilden. Kostet nichts und tut auch nicht weh.
Meine Zweifel an der Korrektheit der Zahlen sollten in keiner Weise die Leistung der ehrenamtlichen Tätigkeit in Abrede stellen, deren Wertschätzung ich nicht nur im Kontext der Flüchtlingsversorgung, sondern allgemein zur Bewältigung der vom Staat nicht zu leistenden Aufgaben zum Ausdruck gebracht habe. Allerdings wurden laut Statista im Jahre 2015 von 68% der 13,44 Millionen Ehrenamtlichen durchschnittlich maximal 5 Stunden wöchentlich geleistet. Ältere Erhebungen („Engagementatlas 2009“ der AMB Generali Gruppe) belegen, dass im Jahr 2008 4,6 Milliarden Stunden ehrenamtliche Arbeit in Deutschland geleistet wurden. Laut dieser Erhebung arbeiten bürgerschaftlich engagierte Menschen im Bundesdurchschnitt monatlich 16,2 Stunden ehrenamtlich, d.h. ca. 4 Stunden/Woche (approximativ so viele Stunden wie die Angaben in Statista). Bundesweit waren im Jahr 2008 34% aller Personen über 16 Jahre bürgerschaftlich engagiert - dabei war die Gruppe der 30 bis 55-Jährigen überdurchschnittlich vertreten. Laut dieser Erhebung nimmt das Engagement im Alter sehr stark ab. Mit einer Quote von 26% war die ältere Generation nur unterdurchschnittlich engagiert, obwohl sie nicht mehr im Berufsleben steht und deshalb mehr Zeit zur Verfügung hat. Wie gesagt möchte ich die Leistung der Ehrenamtlichen in keiner Weise schmälern, nur erschienen mir die durchschnittlichen 57 bzw. 19 Stunden/Woche etwas realitätsfern.