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Sofia ist eine Stadt, in der das Gras noch wächst, wie es wächst. In der Hecken wuchern und Straßenschilder verstauben dürfen, an Hauswänden hängen die Kabel runter, und ein Doppelbett versperrt den Gehweg. "Ein Chaos", sagt Maria Iliycheva, als sie gerade aus einer U-Bahn gestiegen ist. "Scattered", sagt sie: Bulgariens Hauptstadt sei verstreut, ein Puzzle aus Hügeln, Gassen und Parks, ohne sauber angelegte Straßen. Sie habe sich erst wieder an die Stadt gewöhnen müssen, als sie hierher zurückzog, 2016. Davor hatte sie sich einen Lebenslauf erarbeitet, wie man ihn sich in der Europäischen Kommission vermutlich wünschen würde: Soziologiestudium, Nationalismusstudien, Studium der Menschenrechte. In Bosnien, Montenegro, Italien, Polen und Rumänien, da hat sie überall gewohnt. Scattered in Europa.
Und jetzt sagt sie, für nichts in der Welt gebe sie ihren bulgarischen Pass auf? Selbst wenn es irgendwann einen europäischen gäbe, sagt sie, "müsste darin stehen, dass ich Bulgarin bin".
Maria Iliycheva: 43, mit dunkelroten Haaren und dezentem Glitzer auf den Lidern. Sie trinkt Limonade auf der Caféterrasse eines "guten Bezirks" und ist kaum zu verstehen, so laut rauscht es nebenan auf dem vierspurigen Boulevard, der zu einer Shoppingmall führt und zu zwei McDonald’s. Wer lange Zeit im Ausland war, sagt Maria Iliycheva, der wisse, dass man dort auch lange Zeit "zugewandert" bleibe. "In Polen bin ich 'die Bulgarin', das ist einfach so." Bei allem Fernweh, das sie ab und zu noch habe – und aller Kommunismusnostalgie, die ihr in Bulgarien Sorge bereite – hänge sie an ihrem Pass.
Es sei gut zu
wissen, "was der Gegner denkt", findet sie. Darum nimmt sie an Europe Talks teil, und weil sie die Vorstellung befremdet, man könne
innerhalb einer Gesellschaft aufhören, miteinander zu sprechen. Wie solle eine solche Gesellschaft denn aussehen?
Vor einigen Wochen hat sie sieben Fragen mit "Ja" und "Nein" beantwortet, die Teile ihrer politischen Ansichten verrieten. Gibt es zu viele Migranten in Europa? "Nein." Sollte Europa engere Verbindungen zu Russland pflegen? "Nein."
Jetzt ist sie einer von rund 16.200
Menschen,
die mit Fremden über Europa diskutieren: Ein von ZEIT ONLINE entwickelter Algorithmus hat Streitpaare
mit besonders konträren Meinungen zusammengeführt, die sich bei insgesamt 16 teilnehmenden europäischen Medien angemeldet haben.
Maria Iliycheva bekam also Nachricht von
diesem Mann in einem griechischen Küstenort, der nun wirklich nicht findet, die
EU verbessere die Lebensumstände ihrer Bürger, anders als sie. Der über die Eurozone sagt, sie
sei ein Schlachtfeld.
Der Mann heißt Stamatis
Zográphos. Die beiden schicken sich seitdem regelmäßig Mails. Kurz vor der
Europawahl treffen sie sich im Süden Bulgariens. Halbe Strecke.
Und dann?
"Mal sehen." Maria Iliycheva,
die heute im Personalwesen arbeitet, glaubt, sie und ihr griechischer Debattierpartner
könnten sich ähnlicher sein, als ein Algorithmus errechnen kann. Dass Bulgarien
und Griechenland ähnliche Probleme mit EU-Staatsanleihen und dem Einfluss ihrer Eliten haben könnten, "mit Politikern zweitrangiger
Qualität" und dem Unwillen, die Vergangenheit infrage zu stellen. "Aus den Kommunisten
von früher sind die Geschäftsmänner von heute geworden."
Iliycheva glaubt, die Abwanderung von Millionen Bulgarinnen und Bulgaren habe nicht nur wirtschaftliche Gründe. Sie sei auch eine Reaktion auf die Verbote im Kommunismus.
Und Iliycheva sagt, im linksliberalen Spektrum herrschten große Kommunikationsprobleme. Grüppchenbildungen wie damals in der Schule: Wer links ist, redet mit links. Wer nicht ganz so links ist, redet mit nicht ganz so links. Alles andere gäbe nur Stress.
In der vergangenen Woche war der Papst zu Besuch in Sofia, zum Auftakt seiner Balkanreise. Er sagte, was Päpste sagen: "Verschließt nicht die Herzen!" Und doch war es eine Botschaft, die saß – ausgesprochen in Bulgarien, wo sie entlang der Grenze zur Türkei Stacheldrahtzaun aufstellen, damit Geflüchtete draußen bleiben.
Eigentlich sei das ja eine "globale Botschaft" gewesen, sagt Maria Iliycheva, als sie fast schon wieder auf
dem Weg zur Metro ist. Eine, die in allen Zeiten und Krisen gilt.
Kommentare
"Im Anmeldebogen von Europe Talks hat er sich "Schäubles Opfer" genannt."
Der Euro hat viel Wut in der EU geschaffen und sie in Nord und Süd gespalten.
Hoffentlich haben die Verantwortlichen bald ein Einsehen und schaffen ihn wieder ab.
Einen Fehler einzugestehen ist keine Schwäche, sondern Stärke.
Griechenland hat die Zahlen geschönt um die Rahmenbedingungen für die Einführung des Euro einzuhalten. Jeder wußte es, aber es wurde dennoch gemacht. Dann haben sie 5 Jahre es zunehmends an die Wand gesetzt.
Es fehlte bei der größe der Wirtschaft und die zudem stark mit dem Ausland verflochten ist, nur eine Heuschrecke an der richtigen Stelle die poltisch einknickte um dann Griechendland abzuwürgen.
Schäuble? Als Innenminister nicht zu gebrauchen. In der Griechenlandkrise aber sicher nicht der Schuldige.
Und ja, die gleiche Heuschrecke hätte auch ohne €uro Einführung politische Ziele verfolgt. Dann vielleicht sogar mit direkterem Einfluß auf das ganze Land.
Die Griechen sollten in erster Line über sich selber und ihre Eliten enttäuscht sein, die haben das Land gegen die Wand gefahren und Europa muss zusehen wie man die Karre aus dem Dreck kriegt. Schon die lateinische Münzunion (19 Jahrhundert) ist übrigens an den Griechen und weiten Südstaaten gescheitert.
Mit der Totgeburt "Euro" wurden durch die EU fatale Anreize geschaffen, denen die Griechen nicht widerstehen konnten.
https://de.wikipedia.org/wik…
Nur daß die EU jahrelang wissentlich zugesehen hat.
Jaja. Euro böse alles schrecklich schlimm Horror. Hier schau den Link an (Link zu begrenzt negativem Ereignis) Horrorschröck! Kreisch!
Ist ne tolle Totgeburt, die bald erfolgreich großjährig wird.
Klar gibts Probleme. Aber die Kreischarien sind wohl eher Hintergrundmusik und nicht ernst zu nehmen.
Die Totgeburt Euro ist eine deutsche Geburt. Maßgeblich war Kohl der auf drängen der Banken, trotz Warnungen, den Euro in unvollendeter Form durchsetzte.
Eine totgeweihte Frühgeburt.
Klar, der Euro ist mal wieder schuld und damit die EU...
Griechenland hatte nach dem EU-Beitritt und der Einführung des Euro erstmal die Möglichkeit, sich günstig zu refinanzieren. Man hätte diese Gelegenheit nutzen können, um früher für Zinszahlungen benötigte Gelder sinnvoll zu investieren und so ein solides Wirtschaftswachstum zu ermöglichen. Stattdessen haben die Griechen einfach nur noch mehr Schulden aufgenommen und das Geld verkonsumiert.
Damit hat man das BIP künstlich aufgeblasen (Anstieg von 2000 bis 2008 von 130 Milliarden USD auf 350 Milliarden USD) und gewaltige Schulden angehäuft. Obwohl das BIP explodiert ist, ist die relative Staatsschuldenquote sogar leicht gestiegen. Im Schnitt ist die Verschuldung pro Kopf zwischen 2000 und 2008 jährlich um über 3000 USD gewachsen oder anders gerechnet: gemessen am Durchschnittseinkommen von 2000 hat jeder Grieche, egal ob Kleinkind oder Greis, jährlich fast zwei Monatseinkommen über Staatsschulden finanziert bekommen, auf Arbeitnehmer umgerechnet natürlich noch viel mehr.
Griechenland hat sich verhalten wie ein 18-Jähriger, der plötzlich Kreditverträge abschließen darf, alles bis zum Anschlag ausreizt und verkonsumiert und sich mit 25 wundert, wieso er plötzlich auf einem gewaltigen Schuldenberg sitzt.
Die EU kam erst ins Spiel, als der Schaden längst angerichtet worden war und hat dann von den Griechen den schwarzen Peter zugeschoben bekommen, weil sie die Schulden nicht bedingungslos vergemeinschaften wollte.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Pauschalisierungen. Danke, die Redaktion/at
Staatsschulden sind per se nicht schlimm. Und die deutschen erst Recht nicht. Die Kredite können alle problemlos bedient werden, es ist sogar grob fahrlässig jetzt keine neuen Schulden zu machen und zu investieren solange die Zinsen so klein sind.
" es ist sogar grob fahrlässig jetzt keine neuen Schulden zu machen und zu investieren solange die Zinsen so klein sind."
Es ist grob fahrlässig, wieder neue Schulden zu machen, denn die Zinsen können wieder steigen.
Nicht nur das! Besonders Deutschland hat die PIIGS und andere Euroländer seinerzeit aufgefordert, die günstigen Zinsen zu nutzen, um den Konsum auszuweiten, damit dem noch kriselnden Deutschland (die wirtschaftlichen Folgen der Deutschen Einheit waren noch nicht überwunden und Deutschland galt seinerzeit als "kranker Mann Europas") geholfen wurde.
Dass die traditionell Inflationssteuer erhebenden Länder mit dem neuen System so ihre Probleme hatten, ist zudem verständlich.
Sie haben den Text gar nicht gelesen, oder? Da steht nämlich :
"Genau darin, meint Zográphos, liege das Problem: Innerhalb der griechischen Oberschicht kenne man keine Steuern oder Gesetze, sondern Wege, sich Wahlvorteile zu verschaffen. "Unsere Eliten haben das Land ausgesaugt wie Blutsauger." ".
Unter Beachtung der vereinbarten Kriterien hätten nicht nur Griechenland, sondern auch Italien und Belgien außerhalb des Euros bleiben müssen - zwei EU-Gründungsstaaten, Belgien zudem Sitz vieler EU-Institutionen und in Währungsunion mit Luxemburg verbunden.
Also war man da großzügig - und konnte dann ggü GR schlecht hart bleiben.
Naja, der Euro ist die Reservewährung Nummer Zwei nach dem Dollar, für einige Anlagen beliebter als der Dollar.
Der einzige grobe Fehler ist das fehlen von Transferleistungen zwischen Ländern, die überproportional vom Euro profitieren (Deutschland, zB) und solchen, die das nicht tun (Griechenland, zB).
Echt? Haben Sie dazu eine Quelle?
Den Staatsschulden steht aber auch eine Wirtschaftsleistung von 3,5 Billionen Euro gegenüber.
Von den großen Industrieländern hat Deutschland im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung damit die niedrigsten Staatsschulden.
Ca. 20% der Bundesschuld ist mittlerweile in 30-jährigen Anleihen verbrieft, die zur Zeit etwa 1% Rendite abwerfen.
Die zehnjährigen Anleihen waren dieses Jahr schon wieder nominal negativ, d. h. zum Nennwert gab es von den Kreditgebern noch etwas obendrauf.
Bis sich also ein erhöhter Zins im Bundeshaushalt wirklich bemerkbar machte, dauerte es noch drei oder vier Jahre.
Da müssen Sie nach dem damaligen Einfluss der deutschen Politik auf den niedrigen Zins der EZB recherchieren:
Interessante Zusammenfassung: http://www.joerglipinski.de/…
Daraus:
"Die EZB aber musste die wirtschaftliche Entwicklung und den Anstieg der Inflation in allen Ländern der Eurozone im Auge haben – und in manchen Staaten war man auf dem besten Weg in einen regelrechten Konsum- und/oder Immobilienboom. Für diese Länder war die Geldpolitik zu locker, für Deutschland war sie zu restriktiv.
Es wurde letztlich ein niedriges Zinsniveau festgelegt, ganz im Sinne der deutschen Politik. Für die meisten anderen Länder wäre ein höherer Zins dringend notwendig gewesen, da ihnen eine Überhitzung der Konjunktur drohte.
Ironie der Geschichte: ausgerechnet die deutschen Monetaristen um Hans-Werner Sinn erstritten eine Politik des billigen Geldes (womit sie natürlich später nichts mehr zu tun haben wollten)."
"Also war man da großzügig - und konnte dann ggü GR schlecht hart bleiben."
Wenn an der Achterbahnkasse ein Schild steht:" Personen unter 1.50m können leider nicht mitfahren" und sie dann trotzdem Tickets an kleinere Menschen verkaufen, wer ist dann ihrer Ansicht nach Schuld wenn diese beim Looping rausfliegen?
Die Verantwortlichen sind jene, die den Euro bewusst zu früh und mit ungeeigneten Kandidaten eingeführt haben.
Das gilt übrigens nicht nur für den Euro, dieses letztlich auch von großen Lobby Interessen getriebene Entscheidungsverhalten zieht sich durch die gesamte Geschichte der EU.
Und jetzt soll ich trotzdem für ein weiter so stimmen, bloss weil ich sonst wieder alleine da stehe mit den Spacken von der AfD...
Wir sind die Kälber die unentwegt den Metzgern nachrennen.
Wollen Sie noch geringere deutsche Renten?
Die Infrastruktur hält ja auch noch viele Jahre. Braucht man auch noch nix tun.
Oder wie wollen Sie das finanzieren?
Die Länder mit einem Immobilienboom hätten die Grunderwerbssteuer erhöhen können, um Immobilien als Spekulationsobjekte weniger interessant zu machen.
Bei einer generell überhitzten Konjunktur hätten die Unternehmenssteuern oder die Mehrwertsteuer angehoben werden können.
Bei einheitlichen Zinssätzen in einem so großen Wirtschaftsraum muss man mit einer solchen Situation rechnen. Das war schon vor dem Euro-Beitritt klar.
Wenn die Regierungen in diesen Ländern nichts getan haben, obwohl sie um die Gefahr einer Blase wussten, dann sind sie mitschuldig an der Krise in ihren Ländern.
Wenn sie schlichtweg nicht wussten, wie sie mit der Situation umgehen mussten, dann waren sie einfach nur unfähig.
Beides kann man aber weder der EZB noch dem Euro selbst zurechnen.
Wie geschrieben, Deutschland profitiert wirtschaftlich von EU und Euro wie kein anderes Land, deutlich mehr als eine Transferunion kosten würde.
Ihr Ansatz gleicht dem eines Fuhrunternehmers, der die notwendigen Investitionen in seinen Lkw nicht tätigen möchte, weil er das Geld lieber für Essen und die Instandhaltung seines Hauses aufwenden möchte.
Der deutsche Reichtum stammt nicht aus einer magischen Quelle, sondern zu sehr großen Teilen dem Handel mit dem Rest der EU, wir müssen uns die erhalten.
Die Transferunion wurde vor der Einführung kategorisch ausgeschlossen, war ein Wahlkampfthema der CDU.
Wolfgang Bosbach hat sich schon während des GR-Desasters dazu geäußert.
Immer mehr Menschen im Niedriglohnsektor, Renten sinken, horrende Ausgaben für Wirtschaftsflüchtlinge - aber natürlich muss die EU mit allen Mitteln gerettet werden.
Weil "Deutschland" so reich ist. Dumm nur, dass die Menschen wählen gehen und nicht die Firmen, die ach so stark profitieren.
"Immer mehr Menschen im Niedriglohnsektor, Renten sinken"
Und Sie glauben ernsthaft, ein kleines, winziges, unbedeutendes Deutschland, ein Land ohne jegliche Rohstoffe, könnte diese Probleme im globalen Wettbewerb alleine lösen?
Entfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion/at
Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
Schlimmer als die Euro-Krise selbst, war die Kommunikation, die sie begleitete. Erst diese ermöglichte es, sowohl von Fehlkonstruktionen der Währungsunion als auch vom skandalösem
Versagen der politischen Eliten (besonders in Südeuropa aber nicht nur da) abzulenken. Der „Dumme“, war wieder der Bürger - vor allem in den Krisenländern. Die Fokussierung auf die Bürger, wie dem sympathischen Herrn in Griechenland, zeigt wie wichtig es ist, die EU zu demokratisieren, die halb-fertige Währungsunion zu reformieren und die ganze Energie auf Wachstums-Programme zu lenken. Das sollten die Prioritäten sein.
Die Währungsunion war lange geplant und hatte quasi bereits einen Vorgänger.
Hier ist ein Webseite mit 5 Seiten, welche man gelesen haben sollte.
https://fu-willeke.de/deutsc…
Gerne kann ich zu dem Thema noch mehr Daten liefern.