Meine Mutter legt großen Wert darauf, dass wir aus "gutem Hause" kommen. Sie macht diese Behauptung daran fest, dass ihr Großvater Lehrer war. Von ihm stammen die "Kirschbaummöbel", die in ihrem "Salon" stehen, sowie die wertvolle "Vitrine", in der sie das "Meissner Porzellan" sammelt, alles Insignien unserer tadellosen Herkunft.
Aus gutem Hause zu stammen bedeutet natürlich auch, dass die Eltern nicht getrennt sind. Ihre eigenen Eltern haben sich getrennt, als sie noch klein war, aber das erwähnt sie nur ungern und wenn, dann "hat der Krieg sie auseinandergerissen". Obwohl ihr Vater Dirigent war und die Mutter Sängerin, also eigentlich recht gut gestellt, lässt sie die beiden lieber außen vor.
In der Pubertät bot mir ihr Dünkel eine gute Angriffsfläche. Und ich war sehr stolz, als ich ihr den zukünftigen Vater ihres ersten Enkelsohnes vorstellen und sagen konnte: "Er ist Möbelträger." Sie ließ sich nichts anmerken, aber ich kannte sie gut genug, um zu sehen, dass gerade eine Welt in ihr zusammenbrach.
Meine Kinder glitten ab
Natürlich lehne ich ihren Dünkel auch heute noch vollkommen ab. Aber irgendwann, die Kinder waren noch klein, führte ich gegenüber meinem Möbelträger ins Feld, dass es nun wirklich Zeit würde, einen Beruf zu lernen und mindestens eine Meisterprüfung abzulegen, was er dann auch tat.
Für die Kinder suchte ich eine "gute" Kita, musikalische Früherziehung mit vier Jahren, drei Mal pro Woche Domchor, Klavierunterricht versteht sich von selbst. "Euer Uropa war schließlich Dirigent und eure Uroma Sängerin!", schimpfte ich, wenn sie nicht üben wollten.
Als wir uns trennten, litt ich eigentlich am meisten darunter, dass meine Kinder nun nicht mehr aus gutem Hause stammen würden. Mit sieben Jahren präsentierte meine Tochter mir mit den Worten "Es ist Liebe, Mama" ihren neuen Freund: Eltern Opernsänger. Getrennt. Ihr Freund wechselte im selben Rhythmus wie sie zwischen Vater und Mutter. Obwohl die Familie wirklich außerordentlich liebenswürdig und gebildet war und der Freund der besterzogenste Junge der ganzen Klasse, sah ich meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt: meine Kinder glitten dahin ab, wo keine guten Verhältnisse herrschten.
Pferdemädchen mit Landrover-Müttern
Heute ist meine Tochter 14. Zwei ihrer drei besten Freundinnen stammen nicht aus gutem Hause, im Gegenteil, das Patchworkdurcheinander ist noch viel größer als bei uns und erstreckt sich über mehrere Kontinente. "Die nehmen doch später alle Drogen", würde meine Mutter sagen und hätte damit natürlich unrecht, denn obwohl meine Geschwister und ich nachweislich aus exzellenten Kirschbaummöbel-Verhältnissen stammen, haben wir früher reichlich Drogen konsumiert. Aber ist nicht immer auch etwas dran an dem, was meine Mutter sagt?
Ich habe versucht, die Aufmerksamkeit meiner Tochter vorsichtig auf andere Mädchen zu lenken, Pferdemädchen mit Landrover-Müttern etwa, aber es hat nichts genützt. "Mama", sagt sie mit leisem, fast zärtlichem Tadel in der Stimme, wenn sie meinen Dünkel gegenüber ihren Freundinnen spürt und ich merke erleichtert: sie hat Mitleid mit mir.
Kommentare
Meinen Sie wirklich "Landrover" -
und nicht "Range Rover"?
Einen schönen Gruss an Ihre Tochter.
Da gab's doch was von Zuchmayer? Oder verwechsele ich das mit Herrn von Meiffels? Das mit dem ü*ber Generationen zusammen gesammlten DNA-Schroll"?)
Wohl wahr
In Zuckmayer's Teufels General, die Szene über die bunt gemischte Herkunft der Rheinländer, die "wahren Adeligen", als Gegensatz zum Reinrassenwahn der Nazis.
Kirschbaummöbel...
..sind nicht per se exzellent, nur wenn sie das reine Biedermeier oder wenigstens den Jugendstil repräsentieren, und nur Erstgenanntes ist auch eine ordentliche Putzstube, und von daher sind mir allgemein auch ordentliche Verhältnisse lieber, nicht jedes Scheidungskind greift natürlich zu Drogen, und gerät automatisch in schlamperte Verhältnisse, aber der Griff jedenfalls zum Meißner Porzellan ist bei anstehender Scheidung sicher wahrscheinlicher, als ohne diese.
Welches Biedermeier?
Es gab mehrere Epochen. Also erstes, zweites etc. Biedermeier?
Oder ist das nicht so wichtig?
;-)
Die Abstiegsangst erfasst selbst die Gutwilligen. Halten Sie an ihren Werten fest, seien Sie eine tätige Frau und beschützende Kameradin für Ihre Kinder, und man wird merken, dass die aus einem guten Haus kommen.
Kichernd ...
Ich weiß nicht mehr, wie oft viele meiner Freunde/Freundinnen von ihren Müttern gehört haben, dass ich schlechter Umgang sei, weil ich doch aus einer schlechten Familie stamme.
Als Kind hat mich das betrübt.
Als Jugendliche konnte ich feststellen, wieviele aus "gutem Hause" tatsächlich abstürzten.
Als junge Erwachsene konnte ich feststellen, dass wohl etwas Wahres daran war.
Ich muss wirklich schlechten Einfluss gehabt haben.
Wo ich in einer stabilen Beziehung mit allem Drum und Dran lebe, dazu auch noch glücklich bin und reichlich Geld verdiene - sind all jene mit den Müttern "aus gutem Hause" tatsächlich das geworden, was sie nie sein sollten.
Als ältere Erwachsene stelle ich nunmehr immer wieder fest - ich bevorzuge Menschen aus Häusern ohne Dünkel, egal ob gutes Haus oder schlechtes Haus.
Denn ohne grundlegenden Humanismus nützt alles nichts...
Und "Dünkel" spricht immer gegen Humanismus.
Wie wahr ...
Wir wohnen inmitten der SUV-Familien mit Pferd im Reitstall. Markenkleidung hin, iPad her, hier beobachten wir oft mehr "Standes-Dünkel " als Zuneigung, Zuwendung und liebevolles Mieinander.
Werte ja, aber die richtigen und durch eigene Einsicht gewonnenen. Humanismus und Aufklärung sind da eine gute Orientierung. Auch da machen es sich viele zu einfach - der Religionsunterricht und die Kirchenmitgliedschaft werden das schon machen.