Eine Familie mit drei Kindern und ohne Unterstützung durch Großeltern kann Paare an den Rand der Belastbarkeit treiben. Mehr als 100 ZEIT-ONLINE-Leser haben ihre Paarprobleme aufgeschrieben. Der Familientherapeut Jesper Juul gibt einigen von ihnen Rat. Diesmal berät er die Mutter Sybille.
Die Familie: Michael (46 Jahre), Sybille (38 Jahre) mit drei kleinen Kindern: ein sechjährige Tochter und zweijährige Zwillinge (zwei Jungen)
Sybille Hauser sagt: "Ich fühle mich permanent am Rand der Überforderung und werde von depressiven Stimmungen geplagt. Ich leider sehr darunter, dass ich nicht gerne Zeit mit meinen Kindern verbringe. Sie nehmen mir die Luft zum Atmen. Ich weiß nicht, wie ich das ändern kann. Ich denke oft, ich hätte besser gar keine Kinder bekommen. Dabei sind es Wunschkinder, was es umso bitterer macht.
Michael ist offen, gradlinig und viel weniger emotional im Umgang mit den Kindern als ich. Ich mache mir Sorgen um unsere ältere Tochter, die erschreckend gut funktioniert seit der Geburt der Zwillinge. Wer weiß, ob uns das nicht irgendwann um die Ohren fliegt.
Mir ist es sehr wichtig, mit Emotionen ehrlich umzugehen. In meiner Familie wurde über vieles nicht gesprochen. Ich versuche also zu meinen negativen Gefühlen gegenüber meinen Kindern zu stehen.
Mein Mann und ich sind eine gnadenlose Elternmaschine. Wir haben drei kleine Kinder, aber keine Großeltern in der Nähe, machen also fast alles selbst. Dass wir überhaupt noch zusammen sind, erscheint mir manchmal wie ein Wunder. Aber wir können uns ja gar nicht trennen, selbst wenn wir es wollten. Wir wollen es nicht. Aber es ist unglaublich schwer, ein Paar zu bleiben. Wir versuchen zurzeit, einfach durchzuhalten. Und wenn wir zusammenbrechen, machen wir trotzdem weiter."
Jesper Juuls Antwort:
"Meine erste Reaktion ist Traurigkeit. Ich bin traurig für Sie alle. Ich sehe auch, dass Sie gerade keine Wahl haben als durchzuhalten. Aber ich möchte Sie mit großem Nachdruck auffordern, sich professionelle Hilfe zu suchen. Am besten, Sie beide finden einen erfahrenen Familientherapeuten. Aber vor allem müssen Sie einen Ort und Zeit nur für sich allein finden, weil Sie so viele Jahre lang nur noch aus dem Reservetank funktioniert haben.
Benutzen Sie Ihre Neigung zur Depression nicht als Visitenkarte. Sie brauchen keine Behandlung für eine spezielle Diagnose. Sie brauchen und verdienen die Möglichkeit, sich über einen langen Zeitraum mit einem reifen und weitherzigen Therapeuten zusammenzusetzen, am besten einmal die Woche über zwei bis drei Jahre.
Nicht, weil ich glaube, dass Sie verrückt sind oder ernsthaft dysfunktional. Sondern, weil Sie Ihr ganzes Leben allein waren. Von Ihren Familienmitgliedern brauchen Sie gerade am meisten Zuwendung. Bitte zeigen Sie das Ihrem Mann und richten Sie ihm von mir aus, dass Sie die höchste Priorität haben müssen, wenn es um Geld und Fürsorge geht. Er braucht das genauso wie Sie, aber er muss warten."
Kommentare
Eine kurze, sehr zurückgenommene Antwort von Herrn Juul. In dem Verweis auf professionelle Hilfe und dem Erklären der eigenen Nicht-Zuständigkeit sicher richtig.
Belastungen und deren Bewältigungen sind einerseits Teil des Lebens. Wer Kinder hat, wird trotz unzähliger Glücksmomente auch die Phasen der Selbstzweifel kennen und es ist nichts Unehrenhaftes daran, sich einzugestehen, dass Kinder auch mal ehrlich nerven können. Die Diktion des von Frau Hauser Geschriebenen finde ich aber z.T. grenzwertig in der durchscheinenden Verzweiflung. Ich gehe daher davon aus, dass der erteilte Rat die Ratsuchenden auch vor der Veröffentlichung des Artikels erreicht hat.
Es ist sogar äußerst normal, dass einen normalen Erwachsenen, kleine blöde Biester zwischen 0-12 gehörig auf den Geist gehen.
Und dann gleich 3 davon?
Ich war selbst Sohn, ich weiß wie ich und mein Bruder meine Eltern in den Wahnsinn getrieben haben teilweise :)
Der Artikel hat mich interessiert weil ich mich in fast der selben Lebenssituation befinde. Und Ich finde die Antwort seltsam. Meines Erachtens brauchen die Eltern mehr Freie Zeit. Bei uns ist das Glück dass die Großeltern in 30Min Entfernung wohnen.
Aber Vielleicht können die Großeltern von Familie Hauser ja mal 2 Wochen Urlaub in einer kleinen Pension um die Ecke machen (bloß nicht im Haus!), und sich mal bißchen mit reinhängen? Am besten Beide Großeltern im Wechsel.
Vielleicht gibt es Nachbarn/Freunde/Babysitter die regelmäßig (!) Zeit für die Eltern freischaufeln können?
Dieses neumodische Ideal, dass alleine die Eltern sich um den Nachwuchs zu kümmern haben ist ein Irrweg der westlichen Moderne. 80% des Planeten hält das dankenswerterweise anders, und auch hierzulande was das vor 100 Jahren noch anders.
Oh, und der letzte Satz verwirrt mich: "Er braucht das genauso wie Sie, aber er muss warten." Warum muss er warten? Weil er von der Frau in einem Satz als "weniger Emotional" beschrieben wird? Weil er ein Mann ist? Auf mich wirkt das sexistisch.
Eine tiefgehende Analyse verbietet sich nach der Kürze der Schilderung, aber es sind genug Formulierungen im Text, die andeuten, hier könne ein ernsteres Problem vorliegen. Dass die Familie ein paar Arme braucht, die ihnen unter die selben greifen ist sicher das Minimum, aber vielleicht nicht ausreichend.
Der letzte Satz bedeutet (nach meiner Lesart): Sie, Frau Hauser, stehen als die offensichtlich belastetste, im Focus. Sie alle brauchen Hilfe, Sie als Mutter aber am meisten und am schnellsten. Ich denke, er ist nicht sexistisch gemeint.
"Meine erste Reaktion ist Traurigkeit. Ich bin traurig für Sie alle."
Toller Einstieg
"Sie brauchen und verdienen die Möglichkeit, sich über einen langen Zeitraum mit einem reifen und weitherzigen Therapeuten zusammenzusetzen"
Klingt wie das Wort zum Sonntag
"Sie brauchen keine Behandlung für eine spezielle Diagnose."
Woher weiß Herr Juul das?
Und wieder einmal, diesmal von Redaktion, der Hinweis auf das neueste Buch.
"Sie brauchen keine Behandlung für eine spezielle Diagnose."
Woher weiß Herr Juul das?
Darf ich mal übersetzen:
"Sie haben sich selbst diagnostiziert, was selbst für erfahrene Psychologen ein Ding der Unmöglichkeit ist. Statt sich auf eine (vermeintliche) Depression einzuschiessen gehen Sie zu einem Therapeuten und holen Sie sich Hilfe. Geben Sie dem Therapeuten die Chance, sich ein eigenes Bild zu machen."
Ich glaube, JJ hat keine Ahnung - davon aber besonders viel.
Warum?