Vor ein paar Jahren zog ich vom Prenzlauer Berg nach Neukölln. Die Wohnung war toll, wir blickten vom Balkon auf den Kanal und verzierte Hausfassaden. Nur die Straße war schwierig. Ich fühlte mich unwohl. Ich brauchte ein bisschen, um drauf zu kommen, woran es lag. Eines Tages, als mich eine ältere Frau auf dem Weg zum Markt mit ihrem Einkaufstrolly anfuhr, wusste ich es. Es waren die Kopftücher. Fast alle in der Gegend trugen sie. Alte Frauen, junge Frauen, Mädchen. Nur mein Kopf war nackt.
Es gibt eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen, die Kopftücher am liebsten verschwinden lassen würden. In regelmäßigen Abständen entwickeln sie Ideen, wie das funktionieren kann. Eine davon wird gerade wieder öffentlich diskutiert: Auf ihrem Parteitag will die Union erneut über ein Verbot von Kopftüchern in Kitas und Grundschulen sprechen. "Das Tragen des Kopftuchs macht aus den kleinen Kindern schon erkennbar Außenseiter", heißt es in dem Antrag für das Treffen in Leipzig – auf dem vermutlich nicht besonders viele Delegierte mit Kopftuch erscheinen werden.
Bevor ich nach Neukölln gezogen war, hatte ich das Mädchenkopftuch für einen Mythos gehalten. Für eine Erfindung von Gremien wie der Senioren-Union, von der der Antrag stammt. Aber das stimmt nicht. Die Organisation Terre de Femmes hat zwischen Dezember 2018 und Juli 2019 252 Pädagoginnen, Lehrer und Erzieherinnen in Deutschland nach ihren Erfahrungen mit dem Kopftuch befragt. Die meisten Antworten kamen aus Berlin. 96 Prozent der Befragten sagten, sie unterrichteten Mädchen unter 18 Jahren mit Kopftuch. Man konnte der Umfrage auch entnehmen, dass es tatsächlich schon im Kindergarten Mädchen gibt, die ein Kopftuch tragen und in der Grundschule erst recht. Wie viele es sind, darüber gibt es keine Angaben.
Gute Argumente gegen ein Kopftuch
Glaubt man dieser Umfrage, dann hat das Tragen eines Kopftuchs echte Nachteile für die Mädchen. Sie hätten Schwierigkeiten bei der Integration in den schulischen Alltag, sagten die Befragten. Häufig nähmen sie nicht am Sexualkundeunterricht und am Sportunterricht teil; Kopftuchträgerinnen würden außerdem häufig gemobbt oder mobbten andere.
Problematisch ist nach Aussage vieler Befragte vor allem, dass die Mädchen sich nicht freiwillig für das Kopftuch entschieden: Sieben Prozent
vermuteten immer Zwang dahinter, 33 Prozent
der Befragten schätzten, dass die Mädchen unter 18 es "häufig" nicht freiwillig
trugen, 40 Prozent glaubten, das sei eher "selten" der Fall. Zwang, Integrationsschwierigkeiten und soziale Probleme – alles gute Argumente gegen ein Kopftuch.
Verständlich also, dass 75 Prozent der befragten Erzieherinnen und Lehrer sich für ein Verbot von Kopftüchern in Bildungseinrichtungen aussprechen. 83 Prozent sagen sogar, "die Verschleierung von Mädchen in jungen Jahren" beeinträchtige deren persönliche Entwicklung. Terre de Femmes fordert ein Verbot der Verschleierung für alle unter 18 Jahren.
Das Problem haben die Lehrer
Gestern traf ich eine Lehrerin. Eigentlich wollten wir über anderes reden, blieben aber am Kopftuch hängen. Ich fragte sie, wie ihre Erfahrungen mit dem Unterrichten von Mädchen mit Kopftuch seien. Sie hatte eine überraschende Antwort: Nicht die Mädchen seien das Problem, sondern die Lehrer, die sich mit dem Kopftuch unwohl fühlten.
Ich kenne Geschichten von Schülerinnen, die nach Hause geschickt werden, weil sie Kopftuch tragen. Oder eine Sechs im Sportunterricht in Kauf nehmen müssen, weil sie mit den Nadeln am Kopf und dem wallenden Stoff nicht mitmachen wollen oder dürfen.
Kommentare
Die einfache Lösung in der Schule heißt Schuluniformen.
Ansonsten gilt wer Kreuze in Klassenräumen erlaubt muss auch mit Kopftüchern klar kommen UND umgekehrt!
Darüber hinaus wer ein Kopftuch für überlebenswichtig erachtet dem ist auch wert ein Sportkopftuch zu kaufen.
"Darüber hinaus wer ein Kopftuch für überlebenswichtig erachtet dem ist auch wert ein Sportkopftuch zu kaufen."
Das habe ich auch gedacht. Dann sollte man die Eltern auch belangen können, wenn sie es ihren Kindern nicht ermöglichen am Unterricht teilzunehmen.
"Manche Frauen verschwinden unter beblümten Ungeheuern, wie Queen Elizabeth sie privat gern trägt, manche verwickeln sich schwarz und streng um das blasse Gesicht, andere umschlingen sich kunstvoll mit zur Handtasche passenden Seidentüchern und geben sich einen geheimnisvollen Wüstentochterlook."
Immer mehr junge Frauen, in der nahen Großstadt, aber auch immer mehr in unserer Kleinstadt, tragen Kopftuch. Bei nur wenigen erscheint es mir als religöser Zwang oder Statement, bei den meisten eher als ethnisch-modisches Zeichen.
Vielleicht sollten wir dem deshalb nicht ganz so viel Bedeutung beimessen.
Junge selbstbewusste Frauen, geben mit modisch ansprechenden und passendem "Wüstentocher"-Outfit eine nicht zu unterschätzende Message aus:
"Seht uns an, wir sind keine armen geprügelten zwangsverheirateten Mädchen, sondern klug, stark, jung und stehen zu unseren Wurzeln."
Dies fordert Respekt, Achtung und gleiche Augenhöhe, und das ist gut so.
„ "Seht uns an, wir sind keine armen geprügelten zwangsverheirateten Mädchen, sondern klug, stark, jung und stehen zu unseren Wurzeln."“
Das Thema ist Grundschule und Kita.
"Das Tragen des Kopftuchs macht aus den kleinen Kindern schon erkennbar Außenseiter"
Nein, nicht das Kopftuch, sondern die Menschen drumherum, die jemanden mit Kopftuch anders behandeln, machen die Kinder zu Außenseitern!
Danke für den Text Frau Luig.
Natürlich macht das Kopftuch aus den Mädchen Außenseiter, für die Unterdrückung der Frau und die Distinktion ist es ja auch gedacht!
Der pragmatische Nutzen vor Sand zu schützen, wie den es durchaus in den Regionen gibt, wo es verbreitet ist, ist doch schon lange nicht mehr der primäre Grund.
Gerade die CDU sollte sich erinnern können. Bis in die 50er/60er Jahre war das Bild einer kopftuchtragenden christlichen Katholikin, gerade in ländlicher Region, auch in Deutschland ein normales Bild.
Als Atheist lehne ich im Prinzip alle Regeln oder Vorschriften von Religionsgemeinschaften ab, gleichwohl und wenn die Freiwilligkeit gewährleistet ist, stört es mich auch nicht.
Sie vergleichen Äpfel mit Birnen.