In einigen Stadtteilen von London haben sich größere Gruppen von Bürgern formiert, die ihre Straßen, Häuser und Geschäfte vor Gewalttätern und Plünderern schützen wollen. In Enfield im Norden der britischen Hauptstadt waren 200 Anwohner unterwegs, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
"Dies ist eine Gegend der weißen Arbeiterklasse. Wir sind hier, um unsere Gemeinschaft zu schützen, und wollen der Polizei helfen", sagte ein Mann dem Guardian. "Wir haben beschlossen, dass bei uns nichts passieren wird", fügte er hinzu. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet über ein Amateurvideo, auf dem zu hören sei, wie etwa 100 Männer der selbsternannten Bürgerwehr im Chor "England, England, England" singen.
In Southall im Westen Londons versammelten sich Hunderte Angehörige der Religionsgemeinschaft der Sikhs vor ihrem Tempel, nachdem es Gerüchte gegeben hatte, dieser könnte angegriffen und geplündert werden. Sie organisierten Motorrad-Patrouillen und überwachten den örtlichen Bahnhof. In den Nordlondoner Bezirken Hackney und Kentish Town bewachten vor allem türkischstämmige Geschäftsleute ihre Läden, teilweise mit Behelfswaffen wie Brecheisen oder Baseballschlägern gerüstet.
Aufräumaktion per Twitter verabredet
Um ihre verwüsteten Stadtteile aufzuräumen und vor künftigen Attacken zu schützen, verabreden sich immer mehr Briten per Twitter. Am Dienstag startete die Website riotcleanup, darauf der Twitter-Account @riotcleanup. Dort sind Orte und Uhrzeit für Aufräumaktionen in die Welt veröffentlicht. "Lasst uns an morgen denken. Der erste Schritt ist, Liebe gegenüber unserer Nachbarschaft zu zeigen, die unsere Hilfe braucht", schrieb der Betreiber des Accounts.
Als erster hatte der Londoner Künstler Dan Thompson das Schlagwort #riotcleanup in dem Kurznachrichtendienst benutzt. Am Dienstag zählte es zu den populärsten Twitter-Hashtags. In der Nacht hatten sich Künstler um den Musiker Sam Duckworth mit Thompson in Verbindung gesetzt und @riotcleanup gestartet. "Unsere Nachbarschaft hält zusammen", sagte Duckworth.
"Unsere Stadt ist unverwüstlich"
Im südöstlichen Londoner Viertel Peckham hatten sich schon am Dienstag etwa zwei Dutzend Einwohner mit Besen und Schaufeln an der Hauptstraße gesammelt, wo sie Ladenbesitzern ihre Hilfe anboten und die Scherben eingeworfener Schaufenster aufkehrten. "Ich war am Boden zerstört, als ich gesehen habe, was in der vergangenen Nacht geschehen ist, und wollte meinem Ärger in einer hilfreichen Weise Luft machen", sagte eine Teilnehmerin der Aktion. Die dort versammelten Helfer hätten sich nie zuvor gesehen und lediglich am Morgen über Twitter miteinander kommuniziert.
"Ich fahre jetzt von Lewisham nach Catford, weil Lewisham mittlerweile wieder ziemlich sauber aussieht", hieß es etwa in dem Netzwerk. Ein anderer Nutzer teilte mit: "Hackney ist auch sauber, unsere Stadt ist unverwüstlich." Aus Liverpool, wo neben Birmingham und Bristol ebenfalls Krawalle stattgefunden hatten, wurden ähnliche Nachrichten verbreitet.
Weitere aktuelle Informationen zu den Unruhen in London finden Sie auch in den Nachrichten-Blogs von Guardian, Reuters und der BBC. Außerdem unter den Twitter-Feeds von Anjali Mullany (@anjalimullany), Ravi Somaiya (@ravisomaiya) und Mustafa Khalili (@muskhalili)
Kommentare
das passt in die Analyse von heute morgen
Das passt zu der Analyse, die heute morgen im Fernsehen erarbeitet wurde:
durch die Terror-Hysterie wurde in den letzten zehn Jahren die Polizei systematisch auf den Schutz des Zentrums und auf die Terror-Vorsorge getrimmt.
Die Aufgabe des Schutzes der Bürger wurde dabei vernachlässigt. Das ist die eigentliche Ursache der Randale.
Dann kam der Vorfall mit dem Todesopfer und die Demonstration danach. Das war der Auslöser, denn sobald die Randalierer bemerkten, dass die Polizei die Situation nicht mehr im Griff hatten, schlugen sie herzlos zu. Sie haben die Räume ausgenutzt, welche die Polizei nicht mehr kontrollieren konnte.
Wenn sich nun eine Bürgerwehr herausbildet, dann aus eben diesem Grund, die von der Polizei vernachlässigten Gebiete zu schützen.
Die Politik muss sich nun unangenehme Fragen gefallen lassen, da sie die Verantwortung für die Verschiebung der Polizeiaufgaben trägt und damit mitschuldig ist an den Missständen, welche gnadenlos ausgenutzt wurden.
Sobald diese Nacht die Polizeipräsenz in London verstärkt worden war, konnte man die Lage einigermaßen in den Griff bekommen. Dafür musste man allerdings das Umland vernachlässigen und Polizisten abziehen. Deswegen die Krawalle in anderen Städten.
Das dank Terror-Panik gut abgeschirmte Zentrum bzw. die Nobel-Viertel waren immer unter Kontrolle.
Divide et impera in Reinkultur.
Cameron steckt in einer Zwickmühle:
Nimmt er die Sparbeschlüsse auch nur in Teilen zurück, droht GB eine Abstufung der Kreditwürdigkeit durch die Rating-Agenturen. Dann laufen die Märkte Amok.
Muss er Polizei aus den Bankenvierteln abziehen, verlagern sich die Aufstände möglicherweise dorthin - dann würden die Märkte auch Amok laufen.
Legt er einen Plan auf, nach dem soziale Sicherungssysteme durch Steuererhöhungen im Bereich der Finanzdienstleistungen und bei den Spitzenverdienern finanziert werden, fliehen diese postwendend aus GB.
Was nun? Die "Bürgerwehren" sind das beste, was Cameron passieren kann: die britischen Staatsbürger sind mit sich selbst beschäftigt, prügeln sich untereinander - und die "Elite" selbst kann in Ruhe ihre "Politik" - oder sagen wir besser: ihre Selbstbedienung betreiben. Divide et impera in Reinkultur.
Nun hat...
...es die Polizei also geschafft so wenig wie nötig zu tun, dass sie die Menschen gegenseitig umhauen.
Bravo Regierung Großbritanien!
NATÜRLICH ist es nicht gewollt, dass sich Menschen gegenseitig umhauen.
NATÜRLICH wird alles getan, um den Aufstand einzudämmen, damit die Ursachen des Aufstandes geklärt werden und nicht Minderheiten vorverurteilt werden.
NATÜRLICH sind es alles durchgeknallte Jugendliche, denen langweilig ist und nicht sozial und politisch vernachlässigte Minderheiten.
NATÜRLICH zeugt die Freigabe von Gummigeschossen von politischer Kompetenz und Sensibilität
Leute, wann wacht ihr endlich auf...
Könnten es nicht...
... sozial und politisch vernachlässigte Menschen sein, die durchgeknallt sind und denen langweilig ist? Das erscheint mir naheliegend.
Wer eine Analyse barucht,
die über das nachbeten von Trivialitäten hinausgeht:
http://www.nachdenkseiten...
"Rassenunruhen"
Danke für den Link.
Ja natürlich ist die britische Gesellschaft zerstört. Dort wo Kulturlosigkeit und Beliebigkeit (wie auch im heutigen Deutschland!) herrschen, dort zerbrechen Gesellschaften.
Aber nicht, wie im Link und fast überall unisono beschrieben: Nein, die Bruchlinien in unseren Gesellschaften liegen nicht zwischen den sozialen Schichten.
Im obigen Artikel kann man es herauslesen: "Sikhs", "türkische Ladenbesitzer", "weiße Arbeiter". Das, was wir z.Z. in GB erleben, wurde hier (und anderswo) vorausgesagt:
http://blog.zeit.de/stoer...
Wir sollten es nur endlich mal zur Kenntnis nehmen, dass unser Menschenbild nicht der Wirklichkeit stand hält!
Zerfall der Zivilgesellschaft
So fängt es an.
Über das Ende will ich jetzt gar nicht nachdenken.
Angefangen?!?
Angefangen hat das früher - viel früher.
Wer den "Kampf ums Dasein" propagiert, sollte sich nicht wundern, wenn einige das wörtlich nehmen.
Das eigentlich Tragische ist ja daran, dass die Verprügelten nun noch am Wenigsten dafür können. Wie immer in solchen Situationen.