Wenn Emine Sahin Heimweh hat, geht sie in den Wald. Nördlich von Istanbul, unter den Eichen und Buchen des sogenannten Belgrader Waldes, lässt sie die hyperventilierende Metropole hinter sich. Sie fühlt sich hier ihrer unterfränkischen Heimat nah.
Die 38-jährige Architektin ist 2006 in die Türkei gekommen, um eine Zeit lang im Herkunftsland der Eltern zu leben und zu arbeiten. Nachdem sie in Deutschland arbeitslos wurde, ging sie zunächst für eine Auszeit nach Ankara. Heute arbeitet Sahin als Projektleiterin für den Bau des größten Logistikzentrums der Türkei in Istanbul. Sie verdient so viel, wie sie auch in einer vergleichbaren Position in Deutschland verdienen würde. Aber sie ist sicher, dass sie in Deutschland nicht so schnell Karriere gemacht hätte – gerade als Frau. Entgegen aller westlichen Klischees erlebt sie in der Türkei, dass Frauen viel selbstverständlicher Führungspositionen besetzen.
Gleichwohl hofft sie, dass es einen Grund geben wird, nach Deutschland zurückzugehen, nachdem das Projekt abgeschlossen ist. Denn hier in Istanbul ist Sahin deutlich geworden, wie deutsch sie ist. Und – das ist die überraschende Erkenntnis – dass sie gerne deutsch ist.
Dass es eine lange Reise braucht, um sich selbst besser kennenzulernen, hat auch Yildiz Taylan (41) erlebt. Die studierte Betriebswirtin ist seit Ende März wieder in ihrer Heimatstadt Stuttgart. Ein schreckliches und zugleich schönes Jahr in Istanbul liegt hinter ihr. Die Schwäbin zog es nach drei Jahren bei IBM in Irland an den Bosporus. Eine Auszeit sollte es werden, gleichzeitig der Versuch, sich mit einem Projekt zum Thema Umweltschutz beruflich zu etablieren. Aber mangelnde Kontakte und unzureichende Sprachkenntnisse wurden zu einer unüberwindbaren Hürde. Taylan hatte das Gefühl, dass ihr nicht verziehen wurde, dass sie ihre Muttersprache nicht perfekt beherrscht. Ständig wurde sie deswegen kritisiert, als hätte sie ihre türkische Herkunft beleidigt, ja die türkische Nation und Kultur insgesamt.
Noch mehr setzte ihr zu, dass ihre, wie sie heute weiß, sehr deutsche Vorstellung von Privatsphäre nicht von den Nachbarn, dem Metzger und dem Postbeamten respektiert wurde. Überall ausgefragt und neugierig beobachtet zu werden, ist eine Erfahrung, mit der sie hätte rechnen können. Denn schon in Stuttgart war sie der sozialen Kontrolle der türkischen Verwandten und Bekannten ausgewichen. In der Türkei verstand sie schließlich, dass ihre Leute in einem Land sozialisiert wurden, in dem jeder das Leben des anderen mitlebt. Im Guten wie im Schlechten. Erst in Istanbul lernte sie verstehen, wie die Verwandten in Stuttgart denken. Sie fühlt sich jetzt heimischer in Stuttgart als je zuvor.
So versöhnlich kann der in Heilbronn geborene Nedret Ünlü noch nicht auf das Kapitel Türkei zurückblicken. Seit einigen Wochen ist der Betriebswirt wieder zurück in Deutschland, nach sechs anstrengenden Jahren in Istanbul. Der Liebe wegen hat er seine Stellung als Geschäftsführer eines medizintechnischen Betriebes in München aufgegeben. Der ungebremste Wirtschaftsaufschwung der Türkei schien für einen Unternehmer unbegrenzte Möglichkeiten zu bieten. 2006 gründete Ünlü eine Unternehmensberatung für deutsche Investoren in der Türkei und deren Anrainerstaaten. Aber Ünlü kam mit den geschäftlichen Gepflogenheiten nicht zurecht. Er erlebte den Umgang miteinander als heuchlerisch, die Menschen als extrem materialistisch. Istanbul, dieser Moloch, verändere die Menschen, sagt er. Jeder agiere im Überlebensmodus, jeder kämpfe für sich allein. Gegen eine unkoordinierte Bürokratie, gegen den Verkehr, gegen die Teuerung.
Kommentare
Hm...
"Wenn Emine Sahin Heimweh hat, geht sie in den Wald. Nördlich von Istanbul, unter den Eichen und Buchen des sogenannten Belgrader Waldes, lässt sie die hyperventilierende Metropole hinter sich. Sie fühlt sich hier ihrer unterfränkischen Heimat nah."
So hat der Klimawandel auch sein Gutes:
"Für 27 Baumarten in Deutschland veröffentlichte "Klimahüllen" (Kölling, 2008) haben eine Diskussion über die Eignung verschiedener Ansätze angestoßen, Empfehlungen für die künftige waldbauliche Eignung der heimischen Baumarten bei veränderten Klimabedingungen auszusprechen."
http://www.waldwissen.net/wa…
Kurz und knapp: ehemalige, einheimische Bäume können so recht dem Klimawandel nicht trotzen und werden gegen Bäume ersetzt, die mit Trockenheit und Wärme eher zurecht kommen. Ich gehe davon aus, dass die Eichen und Buchen des Mittelmeeraumes sich in Kürze auch bei uns wohlfühlen werden, so dass sich eine CO2-Ausstoß intensive Reise von Emine Sahin zum Herkunftsland bald erübrigen wird.
Sich zu Hause nicht daheim fühlen zu können - das ewige Dilemma
Dazu zu gehören, und doch nicht dazu zu gehören. Diese Gefühl werden Immigranten in Nicht-Immigrationsländern wohl nie los werden. Vielleicht hilft es ja, nach Amerika auszuwandern. Für ein anderes Land ist man zu deutsch, und hier fehlt einem das Ursprungsland, von dem man doch zu weit entfernt ist, um dort wieder Wurzeln zu schlagen.
Und ein glass ceiling ist es denke ich nicht - wer glaubt, in einem Land klar kommen zu können, über das man kaum Informationen hat, jedoch zahlreiche unrealistische Vorstellungen, der wird gegen etwas hartes laufen, ob nach oben, unten, links oder rechts...
jetzt aber mal ´nen Punkt machen
Was versucht ihr uns (Ausländern, Bildungsinländern, Deutschen mit Migrationshintergrund, Deutsch-Türken) hier eigentlich beizubringen, und auch noch mit solch einem ungenügendem Bericht? 6, sitzengeblieben, Frau Baspinar! Sie, Frau Baspinar haben es nicht einmal geschafft, dass Ihr Name korrekt geschrieben wird! "Başpınar" Mit einem Häckchen uter dem s und i ohne Punkt. Möchten Sie uns etwa sagen, dass Deutschland unsere HEIMAT ist?, Wagen Sie es bitte nicht. Auch der am besten integrierte(oder assimilierte) Türke bleibt ein Türke. Ich bin seit dem ich in Deutschland bin derart sensibilisiert, dass ich mit 100%iger Sicherheit sagen kann, wie ich dem "Deutschen" wirke: guter Türke/schlechter Türke. Die erwähnten Rückkehrer sind aufs Übelste in Deutschland entwurzelt, der Kultur beraubt und dem Selbstbewusstsein fremd gemacht, dass sie weder in der Türkei noch in einem anderen Land es schaffen werden. Berichten Sie bitte über die, die durch ihre Eltern die Zugehörigkeit übermittelt bekommen haben: das sind mit verlaub mehr als 3 Fälle.
Übrigens: Piëch, de Maizière etc., sind da etwa deutsche Buchstaben?
an NEO
Mit dem, was Sie schreiben, kann ich mich leider ueberhaupt nicht identifizieren.
Ich habe ein Jahr in der "alten Heimat" studiert und die Rueckkehr nach Deutschland war wunderbar.
Denn erst danach war ich in der Lage, die vielen
Fragen der anderen deutschen Mitbuerger zum Thema "alte Heimat", aus der Quelle der eigenen Lebenserfahrung zu beantworten.
Und zum Thema "Başpınar", jetzt machen Sie aber mal halblang.
Viele "Polen" im Ruhrgebiet haben ihre Namen eingedeutscht, da koennen sie ueberhaupt nicht mehr erkennen, dass die polnische Wurzeln haben. Das ist Assimilation.
Falsches Bewußtsein im falschen Leben
Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr türkische Autoren sich von hegemonialen Diskursen und Narrativen beeindrucken lassen. Ich bin mir gar nicht so sicher, dass andere Minderheiten ein so gequältes Verhältnis zur Nation und Heimat hätten.
Ich wäre z.B. in eine Bibliothek gegangen oder tippe einige Keywords bei google scholar ein, um einige papers und Bildbände zu recherchieren zum Thema Sozialgeographie, Humangeographie und Landschaften als Narrative.
Meine vorläufige Vermutung wäre, dass vor allem politische Stadt- und Landschaftsplannung und ökonomische Prozeße die Landschaft und die Raumnutzung determinieren. Daher kann man kein Heimatgefühl entwickeln, wie es z.B. ein Bauer hätte, der seinen eigenden Boden bearbeitet, oder ein Plantagenbesitzer, der die Plantagenwege perspektivisch auf das Herrenhaus zulaufen läßt.
Es gibt also per se kein Heimatgefühl im Kapitalismus mit der Forderung nach Mobilität der Lohnarbeit. Das ist keine besondere Eigenschaft der Einwanderer, sondern die Mehrheit der Menschen in einer Metropole sind fremd.
Über den Nationalstaat können gerade Einwanderer nichts positives berichten, denn Nationalismus ist nach egalitären Gesichtspunkten ein gescheitertes politisches Projekt mit eiiner starken Neigung zu selektiver Geschichtsfälschung und kultureller Gewalt gegen alles, was nicht zur Mittelschichtskultur gehört. Die Außenseitergruppen Bauern, Arbeiter und Niedriglöhner wissen das sehr genau. Deutschtürken als Außenseiter der Türkei nicht ?