ZEIT ONLINE:Salafisten prügeln in Bonn auf Polizisten ein . Vorher haben sie in Fußgängerzonen Korane verteilt . Was passiert da gerade? Ist das eine gut organisierte Kampagne?
Jochen Müller:
Die Gewaltausbrüche machen eher die Differenzierung innerhalb der salafistischen Szene deutlich. Diese spaltet sich in einen moderaten und einen radikalen, teilweise sogar militanten Teil. Der letztere setzt sich gerade in Szene. Das wird aber vermutlich eher zu einer Schwächung der Salafisten insgesamt führen, denn der radikale Teil hat nur wenige Anhänger. Die meisten muslimischen Jugendlichen, die ja eine Hauptzielgruppe der Salafisten sind, finden diese Leute peinlich. Die radikalen Salafisten überziehen ihre Kampagne derzeit so stark, dass sie auch die moderaten lächerlich machen.
ZEIT ONLINE:
Wie viele Salafisten gibt es in Deutschland und wie viele von ihnen sind radikal?
Müller:
Der Verfassungsschutz spricht von etwa 4.000 Anhängern. Militant mögen vielleicht ein paar Hundert bis tausend sein – das ist etwa die Szene, die jetzt zu den Demonstrationen mobilisiert werden konnte. Dann gibt es noch die, die der Verfassungsschutz Gefährder nennt, also Menschen, die tatsächlich zu Attentätern werden könnten. Das sind bundesweit etwa 100 bis 150.
ZEIT ONLINE:
Was wollen Salafisten in Deutschland erreichen?
Müller:
Sie wollen missionieren. Ihr Ziel ist es, die Menschen – Muslime wie Nichtmuslime – von einem Islam zu überzeugen, wie sie ihn vertreten und Deutschland in diesem Sinn zu islamisieren. Der Islam gilt ihnen als einzig wahre Religion und diese Wahrheit beanspruchen sie allein für sich. Dabei ist ihr Islamverständnis und ihr Weltbild von einer extremen Unterscheidung von gut und böse, richtig und falsch geprägt.
ZEIT ONLINE:
Was sind das für Menschen, die sich den Salafisten anschließen?
Müller:
Die Aktivisten unter den Salafisten sind meistens Jugendliche und junge Männer zwischen 15 und 35 Jahren. Einzelne Prediger sind älter und aktive Frauen gibt es auch. Attraktiv sind sie sowohl für muslimische, aber auch für andersgläubige junge Erwachsene. So finden sich überproportional viele Konvertiten in dieser Strömung.
ZEIT ONLINE:
Wie missionieren sie?
Müller:
In ihren Videobeiträgen präsentieren sich die Salafisten immer wieder als Vertreter aller Muslime in Deutschland, die – so die Propaganda – diskriminiert und diffamiert würden. Dagegen müsse man sich und den Islam verteidigen. Tatsächlich werden ja auch viele Muslime diskriminiert. Das wird von den Salafisten ideologisch instrumentalisiert, um zur Abgrenzung aufzurufen. Die Gefahr dabei ist, dass Jugendliche nicht erkennen, dass es sich hier um eine kleine Strömung innerhalb des Islam in Deutschland handelt. Denn die Salafisten tun so, als ob ihre klaren Ordnungsvorstellungen "der Islam" seien: So legen sie unter Berufung auf religiöse Quellen genauestens fest, wie man sich kleiden muss, was man essen, trinken und was man sagen und denken darf und was nicht. Wer sich daran hält und gehorcht, wird mit dem Paradies belohnt. Allen anderen wird mit der Hölle gedroht.
ZEIT ONLINE:
In welchen Fällen kann diese eingeschränkte, strenge Lebenswelt für Jugendliche überhaupt attraktiv werden?
Müller:
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatten über den Islam suchen viele muslimische Jugendliche nach Information und Wissen über ihren Glauben – unabhängig davon, ob sie überhaupt religiös sind oder nicht. Viele suchen auch nach Identität und Anerkennung, weil sie sich in Deutschland nicht zugehörig fühlen. Antworten darauf finden sie aber oft weder in der Familie noch beim Imam oder in der Schule. Und wenn sie dann im Internet nach Islam suchen, stoßen sie ganz schnell auf die Seiten der radikalen Salafisten mit ihren Angeboten, die Stärke, Gemeinschaft und Orientierung versprechen.
ZEIT ONLINE:
Spielt der Wunsch nach extremer Abgrenzung eine Rolle?
Müller:
Ja, bei einigen sicherlich. Das zeigt sich auch daran, dass sich unter den Salafisten viele herkunftsdeutsche Jugendliche mit oftmals schwierigen Biografien finden – Brüche mit dem Elternhaus spielen da eine große Rolle. Etwas lapidar formuliert könnte man sagen, dass der Salafismus für sie ist, was für andere vielleicht einmal der Punk gewesen ist – eine Attitüde maximaler Abgrenzung. Alle schauen auf mich, halten mich für gefährlich. Auf diese Weise erfahren sie hier pädagogisch gesprochen genau das, wonach sie suchen: Aufmerksamkeit, Anerkennung und Selbstwirksamkeit. Das hat dann mit der Religion, dem Islam, im engeren Sinne gar nicht mehr viel zu tun. Vielmehr dürften ihre Motive denjenigen von Rechtsradikalen ähneln.
ZEIT ONLINE:
Sind die Salafisten erfolgreich? Kann man von einer neuen Jugendbewegung sprechen?
Müller:
Nein, von einer Jugendbewegung würde ich auf keinen Fall sprechen. Für einzelne Jugendliche können sie zwar attraktiv sein. Auf diese Weise, wie sie sich zuletzt in
Bonn
gezeigt haben, gewinnen sie vielleicht an Medienwirksamkeit. Einfluss auf die Masse von Jugendlichen verlieren sie aber eher. Trotzdem darf man die Szene nicht bagatellisieren. Weil sie antidemokratische Positionen verbreiten, weil sie das Bild vom Islam mitbestimmen und auf diese Weise Integrationsprozesse behindern, und natürlich weil wenige einzelne in ihrer ideologischen Verblendung zu Attentätern werden können.
ZEIT ONLINE:
Was kann man tun? Soll man die radikalen Salafistengruppen verbieten?
Müller:
Von Verboten halte ich wenig: Es gibt nur wenige Strukturen in der Szene, die sich verbieten ließen, ganz abgesehen von den juristischen Voraussetzungen, die das erfordert. Nein, man muss vor allem in der Öffentlichkeit und der pädagogischen Arbeit in Schulen und Jugendeinrichtungen für den Salafismus sensibilisieren und die Jugendlichen gegen einfache Weltsichten immunisieren. Und da können gerade auch muslimische Einrichtungen die Gelegenheit ergreifen, sich klar vom Islam der Salafisten abzugrenzen und deutlich zu machen: Ihr Salafisten seid nicht wir, ihr seid nicht der Islam. Dabei geht es nicht nur um die Abgrenzung von Gewalt. Vielmehr ginge es darum, ein wertorientiertes und demokratisches Islamverständnis zu vermitteln, das dem der Salafisten gegenüber steht. Viele junge religiöse deutsche Muslime hegen meiner Beobachtung nach noch immer eine diffuse Befürchtung, dass Demokratie und Islam irgendwie nicht zusammenpassen könnten. Hier muss man ansetzen.
Kommentare
Immer das gleiche...
...leere Gerede. Mehr Prävention, Aufklärungsarbeit, Blabla. Seid Jahren wird diese Präventionsschiene gefahren, aber hilft sie?
Gewiss, wirklich verlässliche Studien fehlen zu diesem Thema, aber res ipsa loquitur! Da Aufklärung offenbar nichts hilft, muss härter durchgegriffen werden. Man sollte das Strafmaß überdenken. Ich denke die Zeit ist auch reif und man kann mittlerweile auch über die Einführung von Präventionshaft für potentielle Terroristen nachdenken.
Mit solidarischem Gruß,
besorgter_mitbuerger
Willkommen zurück in
in der Diktatur. Wo man einfach mal Beugehaft ohne Beweise anortnet.
Ich sage Folgendes: Nach den NSU Anschlägen ist die Gefahr von Nazis viel zu groß. Reden hilft nichts. Wir sollten jedes Mitglied einer rechten Partei auch in Beugehaft nehmen. Schließlich könnte jeder von denen die neue NSU starten.
Wie sie ja selber sagen hilft das Reden nicht mehr. Ich denke es wird Zeit das wir Nazimethoden gegen Nazis verwenden. Damit werden wir zwar selber zu Nazis, aber wir sind ja immerhin auf der richtigen Seite nicht wahr?
Die lezten beiden Absätze waren Ironie um ihnen a) vorzuführen wie lächerlich ihre Position ist, und b) wundert es mich nicht wie bei solchen Gedankengängen der Aufstieg Hitlers in dieser Gesellschaft möglich war. Damals waren es eben die Juden die man in "Schutzhaft" nehmen musste weil sie die Gesellschaft gefährden.
Taten sind nicht mehr entscheidend. Der Glauben und das Aussehen sind es.
Gutes Interview
Die Argumentation ist gut, aber ich denke es entwickelt sich gerade doch etwas anders.
Die Salafisten werden auch von der breiten Öffentlichkeit als der Islam wahrgenommen, unter der Mithilfe einschlägier Medien ( Bild ) und Politikern ( Dobrindt oder Friedrich).
Das führt nicht zwangsläufig dazu, dass es mehr Salafisten in Deutschland geben wird, aber die Gesellschaftsspaltung wird eifrig vorangetrieben.
Viele Deutsche, erwarten eine Assimilation, und keine Integration. Sie halten sich für bessere Menschen und erwarten das alle so werden wie sie, ansonsten bleiben die Muslime suspekt.
Die inhaltliche Debatte ist vorbei. Es geht nur noch um Polemik, Hetze und gegenseitige Voruteile. Genau so ist es vermessen zu erwarten, dass sich moderate Muslime immer öffentlich von Salafisten abgrenzen sollen.Eine Gruppe die knapp 0,01% der Muslime in Deutschland ausmacht.
Es wird gesellschaftlich mit zweierlei Maß gemessen. Freiheit statt Islam ist ok ,aber Freiheit statt Judentum wäre dann schon wieder Volksverhetzung.
Viele Muslime leben hier in der dritten Generation. Sind Deutsche und haben alle Rechte eines Bürgers. Sie sind Teil der Gesellschaft und werden nicht mehr verschwinden, da können auch noch so viele Leute rechts wählen.
Da das der Weg der meisten "Islamkritiker" ist, sehe ich schwarz für mehr Integration. Bald wird es wieder Kindergärten geben die nur nach Hautfarbe und Religion aufnehmen werden. Mehr Spaltung wird das Ergebnis sein.
Sie haben es schön auf den Punkt gebracht …
… und der grauen Eminenz ist es auch egal mit welcher Begründung wir hier den totalen Überwachungsstaat einführen, ob wegen der Gefahr von Rechts, von Links oder eben auch weil es die Salafisten noch gibt, muss halt nur überzeugend rüberkommen, sodass die 99% der Bürger freiwillig und gerne ihre Freiheiten an der Garderobe abgeben.
Wenn der freiheitlich orientierte Staat (die Gemeinschaft) nicht ohne großes Geschrei und weitere Entrechtung mit dem Problem fertig wird, dann hat er schon einen Großteil seiner Verheißung aufgegeben und sich in die Hände seiner Beseitiger begeben … (°!°)
riesiges potential
"Militant mögen vielleicht ein paar Hundert bis Tausend sein"
wenn ich mir vorstelle, dass in den siebziger jahren ein paar dutzend raf mitglieder den staat schon durcheinander gewirbelt haben-was schaffen dann hunderte bis tausende salafisten in unserem land?
was erleben wir hier grade?
"Potential"
In den 70ern redete man auch von tausenden militanten Linksradikalen. Tut man eigentlich heute noch.
Selbst von den Militanten ist nur ein ganz kleiner Teil verrückt genug, mehr zu tun als ein paar Prügeleien anzuzetteln.
Flaggen
Kann jemand die Flaggen - speziell die mit der weißen Schrift auf dem schwarzen Hintergrund - einordnen? Kann es sein, dass es sich um Al Quaida Flaggen handelt? Ich betone, dass es sich nur um eine Vermutung handelt!
schwarze flagge der mujtahideen
bei den schwarzen flaggen handelt es sich um ein erkennungszeichen der mujtahideen. in weißer schrift steht das glaubensbekenntnis der muslime, die shahadah ("la ilaha illallah, muhammadun rasulullah").
vgl. hierzu auch den informativen eintrag bei wikipedia:
http://en.wikipedia.org/wiki…