Schon zu Beginn der aktuellen Sexismus-Debatte störte mich etwas gewaltig. Das hat sich in den vergangenen Tagen verstärkt. Lange konnte ich es nicht in Worte fassen. Schließlich bin ich eine junge Frau, Journalistin und ich halte mich für emanzipiert. Ist es also nicht gut, dass wir das Thema öffentlich diskutieren? Doch.
Aber der hysterisch anmutende Schlagabtausch, der da geführt wurde, wird uns nicht weiterhelfen. Davon bin ich inzwischen überzeugt.
Es ist wichtig, Sexismus offen anzuprangern. Es ist wichtig, dass wir über sexuelle Anzüglichkeiten am Arbeitsplatz und in unserer Gesellschaft sprechen und klar machen, dass sie inakzeptabel sind. Denn es gibt sie natürlich, die unverbesserlichen Chauvinisten, die Flache-Witze-Reißer, die ekeligen Zu-nahe-Kommer, die Dauer-Tatscher. Es gibt sie in der Politik, im Journalismus und in anderen Branchen, auch im privaten Umfeld, sogar in Familien. Gegen diese Säcke müssen wir uns konsequent wehren.
Aber mir gefällt nicht, dass wir Frauen in dieser Debatte nur als das schwache Geschlecht vorkommen, ja, dass wir uns sogar teilweise selbst dazu machen. Wir sind nicht schwach – und wir sind meistens auch nicht schutzbedürftig. In 90 Prozent der Fälle können wir uns selbst wehren. Wir müssen also darüber reden, wie wir herabwürdigende Witzeleien am besten selbst verurteilen können. Wir müssen darüber reden, wie wir Menschen helfen können, die in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis zu einem Sexisten stehen. Wir müssen klarer definieren, was sexuelle Belästigung ist – und was ein unschöner Spruch, hinter dem aber nicht immer allgemeine Verachtung für Frauen stecken muss.
Die Tonalität ist das Problem
"Junge Journalistinnen (…) sind kein Freiwild", so verteidigte stern-Chefredakteur Thomas Osterkorn seine Autorin Laura Himmelreich, deren Porträt des FDP-Politikers Rainer Brüderle die Debatte ausgelöst hatte. Es ist richtig, dass er sie in Schutz nimmt, schließlich sieht sie sich krassen und unfairen Anfeindungen ausgesetzt. Aber die Tonalität dieses Satzes schadet der Gleichberechtigung.
Wenn ich für mich spreche: In meinen zweieinhalb Jahren als Politikredakteurin habe ich mich nie als Freiwild gefühlt. Die meisten Politiker, ob jung oder alt, sind mir mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet. Es gab das ein oder andere Erlebnis, das ich als distanzlos empfunden habe. Kürzlich stellte mich ein Spitzenpolitiker auf einer Wahlkampfveranstaltung den örtlichen Parteimitgliedern vor. Dabei meinte er, mir den Arm um meine Hüfte legen zu müssen. Ich bin abgerückt, habe signalisiert, dass ich das nicht will. Er hat verstanden. Thema erledigt.
Auch mit dem Herrenwitz habe ich Bekanntschaft gemacht. Oft wird er, gerade von Vertretern der älteren Generation, unbedacht formuliert. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, zu sagen, dass ich das jetzt nicht lustig finde. Oft hat mein Gegenüber mit Scham reagiert, und ich hoffe, dass das ein Auslöser war, über seine Witzchen nachzudenken.
Kommentare
Das war
ein konstruktiver Beitrag Frau Caspari. Schön.
So weit so gut....
In der Tat bisher das Beste, was bei Zeit Online zum Thema zu lesen war. Auch der sachliche und weniger aufgeregte Grundton gefällt. Hier wird endlich der Eindruck vermieden, manN würde in Kollektivhaftung für einige geile Böcke genommen werden und anderseits auch klar gemacht, dass nicht jeder blöde Anmach Spruch gleiche eine sexuelle Belästigung ist. Wenn jetzt noch anerkannt wird, dass Sexismus generell keine Einbahnstraße ist (also auch Männer von Frauen belästigt werden können) wäre ich soweit einverstanden.
Ich würde den Vorschlag von Frau Domscheit-Berg aus der gestrigen Anne Will Sendung aufgreifen - die übrigens Lichtjahre besser als die GJ Sendung vom Sonntag war - unsere Sprache ist an allen Ecken und Enden "gegendert" (ZuschauerInnen, PolitikerInnen, KommentatorInnen......), dann braucht man auch in dieser Debatte keine Geschlechtszuordnung machen im Sinne von Frau=Opfer und Mann=Täter. Würde man das einfach mal geschlechtsneutral fassen, könnte man sich solche Grabenkämpfe ganz und gar sparen und gemeinsam die Täter anprangern (egal welchen Geschlechts). Wozu die Menschheit in zwei Lager spalten?
Es bezweifelt ja auch niemand, dass Frauen sicherlich häufiger Opfer sexueller Übergriffe werden und dass patriarchales Denken generell nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Tumbe Herrenwitze sollte man zwar nicht verbieten, aber sie sprechen auch nicht gerade für denjenigen, der sie öffentlichkeitswirksam zum Besten gibt.
Ihr seid nicht schwach
Ich 53 Jahre alt, männlich sagt laut und deutlich DANKE!!
Es gibt sicher auch Männer (möglicherweise auch Frauen), die sich nicht zu benehmen wissen. Aber ich denke es gibt auch einige mit "Kinderstube" die wissen wie man sich zu benehmen hat, Frauen und Männern gegenüber.
Man kann miteinander auskommen
Zitat: "Ich bin abgerückt, habe signalisiert, dass ich das nicht will. Er hat verstanden. Thema erledigt."
Genau so geht das. Vielen Dank.
Auch wenn ich Ihnen in einigen Punkten widersprechen würde …
würde ich Ihr Gesprächsangebot annehmen. Auf dieser Ebene muss die Diskussion stattfinden – nicht in einem Aufschrei.
Der Aufschrei ist wichtig
Der Aufschrei ist nötig, weil die meisten Frauen unangebrachte Bemerkungen, Gesten bis hin zu nötigenden Situationen, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, oft über Jahrzehnte erlebt haben. Diese Erlebnisse und das ihnen Ausgeliefertsein und Reagierenmüssen bestimmen einen Teil der weiblichen Lebensumstände, die man mehr oder weniger hinnehmen musste. Sogar meine 14jährige Tochter musste sich in der Schule und auf dem Schulweg schon damit herumschlagen.
Ein Aufschrei tut gut und ohne Aufschrei ändert sich nichts. Der Gesetzgeber sollte reagieren. Denn durch gesellschaftliche Ächtung und juristische Konsequenzen wird sich für unsere Kinder etwas ändern können. Bis dahin gilt: Handy anbehalten um Beweise zu sichern, alles öffentlich machen.
Dennoch tut mir Brüderle etwas leid, seine Generation ist wohl teilweise so sozialisiert worden und es gibt sicher massenweise Politiker jeder Couleur, die sich ganz genauso verhalten, weil sie zu bequem waren Menschenrechte und Grundgesetz auch in ihrem eigenen Verhalten ihren Mitmenschen gegenüber zu berücksichtigen.