In diesem Landesministerium für Gesundheit geschehen bemerkenswerte Dinge: Politiker und Prostituierte diskutieren über die Kondompflicht in Puffs, Beamte wie Claudia Zimmermann-Schwartz sitzen mit Bordellbetreibern an einem Tisch und Wissenschaftler referieren über Sexdienste im Internet.
Im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen wird über Sexarbeit gesprochen – auf eine Art und Weise, wie es noch nie zuvor in Deutschland geschehen sei, sagt Zimmermann-Schwartz. Die Abteilungsleiterin des Bereichs Emanzipation ist Vorsitzende des Runden Tisch Prostitution. Anfang 2011 wurde dieses Gremium auf Landesebene eingerichtet, es soll die unterschiedlichen Interessenvertreter zusammenbringen: Fachleute der Ministerien, Beratungsstellen, kommunale Spitzenverbände, Gleichstellungsbeauftragte, Polizei, Wissenschaftler, Vertreter der Kommunen und Prostituierte und Bordellbetreiber. Das Ziel: Gemeinsam Empfehlungen zum Thema Prostitution zu erarbeiten, die der Landesregierung als Entscheidungsgrundlage dienen sollen.
Die Idee, das Thema Sexarbeit an einem Runden Tisch zu diskutieren, ist nicht neu. In Dortmund treffen sich seit über zehn Jahren Politiker, Vertreter von Beratungsstellen, Prostituierte und Bordellbetreiber, um auf lokaler Ebene Lösungsansätze zu erarbeiten. Auch in Berlin tagte 2008 für kurze Zeit ein ähnliches Gremium - nun fordern die Grünen in Berlin, dass wieder ein Runder Tisch zum Thema Prostitution eingesetzt wird.
Doch über die Zusammensetzung dieser Runden Tische wird gestritten: Der Berufsverband Erotik Gewerbe Deutschland bezeichnete den Runden Tisch in Hamburg als "Tribunal", da wichtige Ansprechpartner wie Prostituierte und Bordellbetreiber nicht eingeladen worden seien. Als in Frankfurt am Main 2001 ein ähnliches Forum tagte, übte die Beratungsstelle für Prostituierte Doña Carmen aus ähnlichen Gründen Kritik.
Änderungen im bundesweiten Prostitutionsgesetz
In Nordrhein-Westfalen will man nun alles anders machen: Schon länger war die Einsetzung eines solchen Gremiums im Landtag diskutiert worden, bei dem nicht nur Behördenvertreter, sondern auch Prostituierte als ständige Mitglieder mit am Tisch sitzen. Auslöser für Debatten im Landtag war eine Evaluierung des Prostitutionsgesetzes, das 2002 bundesweit geändert worden war. Damals wurde Prostitution in Deutschland als legale Erwerbstätigkeit anerkannt, Sexarbeiter können seitdem ihr Gewerbe anmelden und sich sozialversichern. Doch die Ziele der Gesetzesänderung seien nicht erreicht worden, heißt es im Bericht aus dem Jahr 2007. Arbeitsverträge spielten in der Praxis nach wie vor eine marginale Rolle, die wenigsten Prostituierten seien sozialversichert. Auch die Ausstiegsmöglichkeiten seien nicht erkennbar verbessert worden.
Das Besondere am Runden Tisch in Nordrhein-Westfalen sei, dass sich deren Mitglieder nicht nur mit den Lücken im Prostitutionsgesetz beschäftigen. Es gehe um viel mehr, sagt Zimmermann-Schwartz. Sie wolle eine ethische Debatte auf seriöser Grundlage: "Wir wissen viel zu wenig über Sexarbeit. Deshalb wird meist entlang zweier Pole argumentiert: Opfer von Menschenhandel hier, selbstbestimmte Frauen dort."
Dabei sei das Spektrum von Sexarbeit viel facettenreicher, die Grenzen häufig fließend: Vom Straßenstrich bis zum Escort-Service gebe es viele Segmente, Bordelle und bordellähnliche Betriebe wie Saunen, Clubs und Massagesalons, zudem finde Sexarbeit inzwischen oft auch in privaten Wohnungen statt. Natürlich gebe es auch Armuts- und Elendsprostitution ohne Menschenhandel, sagt Zimmermann-Schwartz. "Um Entscheidungen zu treffen und Prostituierten mit unterschiedlichen Bedürfnissen respektvoll gegenüber zu treten brauchen wir Informationen – nicht nur aus dem wissenschaftlichen Bereich, sondern auch von Menschen aus der Praxis."
Kommentare
Es ist wieder soweit.
Menschen müssen ihren Körper verkaufen.
Es gibt welche, die dafür zahlen können !
Die Gesellschaft ist keine, sondern nur eine, für gut betuchte. Es wird die Intelligenz sich selbst bestrafen, wenn diese des Volkes Zorn auf sich zieht.
Natürlich müssen wieder mill. Bürger es mit dem Leben bezahlen.
Dieser Kreislauf muß doch mal aufhören, oder muß der, der eine bessere Welt will, erst so skruperllos wie die Peiniger werden?
Fehlt ja nur noch,
dass demnächst eine Karriere in der Erotikbranche als Berufsoption in Schulen erörtert wird.
Jeder hat seine eigenen Grenzen
Zitat: " Fehlt ja nur noch,
dass demnächst eine Karriere in der Erotikbranche als Berufsoption in Schulen erörtert wird."
Tja, was uns davon abhält sind doch allein willkürliche Moralvorstellungen, und die sind nun einmal ständigen zeitlichen Änderungen unterworfen.
Jeder hat nun einmal ganz persönliche Grenzen und Vorstellungen. Hätte ich die Wahl zwischen Bestatter, OP-Pfleger und Prostitution, würde ich z.B. die dritte Option wählen, einfach weil ich Option 1 und 2 nicht aushalten könnte. Irgendeine mittelalterliche Moral würde da jedenfalls nicht im Wege stehen.
Gute Initiative
Es wurde Zeit das man die Sexarbeiter wesentlich mehr in diese Diskussionen einbindet. Das hätte man schon von Anfang an machen sollen, denn es ist eigentlich normal, das die Betroffenen am besten Bescheid wissen.
Natürlich darf das dann nicht nur leeres Gerede sein, sondern man muss dies dann auch mal umsetzen und so lange es den Leuten hilft, wäre das der richtige Weg.
"Sexarbeiter(in)"
Was ist das für ein abturnendes Wort ? Also ich wuerde es nicht mit einer "Arbeiterin" zu tun bekommen wollen.
Gut, daß ich sowieso kein Geld habe, um bearbeitet und gemolken zu werden.
Nur weil es gerade zum Thema passt
Hier noch ein Link http://www.sexwork-deutschla… wie sich die "Sexworker" selbst sehen und was sie erreichen wollen.
Sich selbst?
»…wie sich die "Sexworker" selbst sehen und was sie erreichen wollen.«
Aha? Und was meinen Sie wohl, welchen Teil der Prostituierten das repräsentiert?