Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für
ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. Weitere Artikel seiner Kolumne
finden Sie hier – und auf seiner Website.
Der gute Alk
Alkohol ist eine psychogene Droge mit hohem Suchtpotenzial. Es ist nicht so groß wie bei Nikotin oder Opiaten, aber immerhin bringt es – je nach Kultur – zwischen zwei und zehn Prozent der Konsumenten in die bedrückende Lage eines Abhängigkeitssyndroms oder dauerhaft grenzwertigen Missbrauchs mit psychosozialer Auffälligkeit. In Deutschland sind das etwa 2,5 Millionen Menschen, also, zurückhaltend geschätzt, jeder 25. Erwachsene. Der Anteil der Frauen steigt kontinuierlich. Sieben Prozent der Jugendlichen in Deutschland konsumieren eine Alkoholmenge, die auch für Erwachsene hochriskant wäre. Der Deutsche im Durchschnitt trinkt mehr als zehn Liter reinen Alkohols pro Jahr. Das sind, Kleinkinder, Abstinente und Pflegebedürftige abgezogen, Gelegenheitstrinker eingerechnet, 500 Liter Bier oder 200 Liter Wein. Bei Männern fällt die Kurve im Laufe des Lebens ab, bei Frauen steigt sie an. Alkohol ist (in der Europäischen Union) die häufigste Todesursache bei Männern unter 25. Ungefähr 7,5 Prozent aller Todesfälle lassen sich zweifelsfrei auf Alkoholkonsum zurückführen.

Nehmen Sie teil und helfen Sie mit, Drogenkonsum sicherer zu machen (Lesen Sie hier mehr zum Global Drug Survey 2016).
Zur Anregung Ihrer Assoziationen hier einige Stichworte: Wesensveränderung, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Gewalttätigkeit, Fehlzeiten, Unfallraten, Co-Alkoholismus, Kinderelend, Impotenz. 10.000 alkoholgeschädigte Neugeborene pro Jahr. Geschrei, Gepöbel, Scheidungen, Erbrechen, Filmriss.
Die Kosten für die kurzen Phasen der Begeisterung an der Welt und sich selbst: 100 Milliarden Euro. Stellten wir das Saufen ein, könnten wir vom Ersparten ganz Afrika ein Leben subventionieren, das unserem Standard von vor 100 Jahren entspricht.
Gleichheit
Artikel 3 Absatz 1 unseres Grundgesetzes sagt: Der Staat muss Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Das ist übrigens auch eine Schlussfolgerung aus dem Grundsatz der Menschenwürde. Der Leitsatz 4 des berühmten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (Aktenzeichen 2 BvL 43, 51, 63, 70 und 80 aus 1992, 2 BvR 2031/1992, veröffentlicht in der Sammlung der Entscheidungen des BVerfG, Band 90, Seite 145) lautet:
"Der Gleichheitssatz gebietet nicht, alle potentiell gleich schädlichen Drogen gleichermaßen zu verbieten oder zuzulassen. Der Gesetzgeber konnte ohne Verfassungsverstoß den Umgang mit Cannabisprodukten einerseits, mit Alkohol oder Nikotin andererseits unterschiedlich regeln."
Und Leitsatz Nr. 1 der Entscheidung lautet:
"Für den Umgang mit Drogen gelten die Schranken des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz. Ein 'Recht auf Rausch', das diesen Beschränkungen entzogen wäre, gibt es nicht."
Die Entscheidung erging gegen (mindestens) zwei abweichende Stimmen. Dem Kolumnisten ist unbekannt, wie es um den Alkohol-, Nikotin- und sonstigen Drogenkonsum der damals mitwirkenden Senatsmitglieder bestellt war. Der Beschluss betraf ein Vorlageverfahren, in dem eine Strafkammer aus Lübeck es wagte, die Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit von Erwerb, Besitz und Einfuhr von Cannabisprodukten zum Zweck des Eigenkonsums infrage zu stellen (2 BvL 43/92).
Ach, was haben wir gelacht! "Recht auf Rausch" aus Artikel 2 Absatz 1! Grundgesetz! Da erbricht sich der deutsche Verfassungsrechtler vor Lachen hinter das Hacker-Pschorr-Zelt oder unter die Kamellen-Kanone am Heumarkt in Köln.
Hohn, Verachtung, Mobbing, Ausgrenzung wurden dem Vorsitzenden der Lübecker Strafkammer für seine Vorlage zuteil, von Heerscharen deutscher Richter und Staatsanwälte, die sich noch bei jedem geselligen, vom Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr jährlich gesponserten "Trinktest" in der örtlichen forensischen Psychiatrie gegenseitig unter den Tisch getrunken haben. Am nächsten Morgen aber, kaum dass die doppelte Dosis "Aspirin Komplex" (mit der entscheidenden Prise Ephedrin) ihre Wirkung tat, traten sie dem Drogenkonsum im Allgemeinen mit der gewohnten Wucht der Verachtung und dem Haschischraucher im Besonderen mit furchtsamem Ekel entgegen und verhängten für das Handeltreiben mit 20 Gramm Haschisch eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten. Und wer ob dieser ausgewogenen Ungleichheit des Ungleichen seinen Job verliert, den sittlichen Halt oder die Ehrfurcht vor dem Rechtsstaat, der mag es sich künftig früher überlegen: Des Landvogts Hut ist auch dann bei Strafe zu grüßen, wenn das Rechtsgut des öffentlichen Friedens kaum von Bluthunden noch erschmeckt werden kann.
Fragt man die Richter, wie denn das eine mit dem anderen zusammenpasst, erhält man skurrile Antworten, die nichts mit der Sache, aber viel mit dem Landvogt zu tun haben. "Es ist halt nun einmal verboten", spricht blutunterlaufenen Auges der Weizenbierfreund, und Johnny Walkers Kumpel nicken bedeutend. Herr Justizminister hebt den Humpen, die Gattinnen nippen am Eierlikör.
Nach dieser Logik befürwortet man das Saufen von Methylalkohol und verhängt Sicherungsverwahrung für die Einfuhr von zweiprozentigem Marihuana. Man bestraft das Halten von Dackeln und subventioniert die Zucht von Rottweilern. Und der Gesetzgeber ist völlig frei in seiner Gestaltungsmacht, Autos unter 100 PS bei Strafe zu verbieten. Wer das verrückt findet, ist gewiss ein Justizfeind.
Kommentare
Meine Rede, gebt das Hanf frei!
Genau, eigenverantwortlicher Umgang mit illegalen Drogen in steuerfinanzierten Drogenkonsumräumen und niedrigschwellige Hilfsangebote, wenn es denn mit der Eigenverantwortung mal nicht so richtig geklappt hat. Ganz sicher nur ein Einzelfall und auf gar keinen Fall zu verallgemeinern.
Ganz anders beim Rauchen von legalen Tabak, da darf es keine Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geben. Antirauchergesetze und eine Antiraucherpolizei haben dafür zu sorgen, dass Raucher sich in keiner Lokalität zusammenfinden können. Hausrecht des Eigentümers war gestern. Heute bestimmt die Verbots-Schickeria und der scheint es mehr um das Ausleben von Machtfantasien zu gehen. Bestehende Verbote aufheben und dafür willkürlich neue Verbote erlassen.
Mich ereilt mal wieder der Eindruck, die Verfasser der Artikel hier werden nach Silben bezahlt... Ansonsten, Freigabe ja. Und jeder muss selbst wissen, womit er sein Leben ruiniert.
Herzlichen Dank, sagen die Verfasser der Artikel hier.
Ein bisschen ausführlicher hätt's aber schon sein dürfen, das statement.
tf
Ach wäre es schön, wenn all die Prohibitionsbefürworter die Rechnung für die ganzen Schäden, welche die Prohibition angerichtet hat vor den Latz geknallt bekämen.
Die Verschwendung von Steuergeldern zur Verfolgung und Einkerkerung von Kleinstkonsumenten und Dealern, die unnützen erzwungenen Drogentherapien, das ganze erzeugte Leid durch strafrechtlich bedingtes Zerreißen von Familien und zuletzt, aber fast am wichtigsten, die Erschwerung oder gar Verhinderung von professioneller Hilfe für solche, die es tatsächlich nötig hätten, sowie ein vernünftiger Jugendschutz, der im Zuge einer Prohibition und all den lächerlichen Verteufelungskampagnen ad absurdum geführt wurde und wird.
Es ist mir ein Graus, das all die Befürworter jedweder Prohibition immer noch selig zurücklehnen und sich in ihrem Glauben, etwas vernünftiges, gar weises zu tun aalen dürfen, während sie in bester besserwisserischer Manier auf all jene herunterschauen und mit moralinsauer erhobenem Zeigefinger deuten, die einen vernünftigen, realitätsnahen Umgang mit Rauschmitteln fordern.
Herrlich!
Dem ist nichts hinzuzufügen!
Bis zur Freigabe muss - wer die Mafia nicht finanziell unterstützen will - leider selbst anbauen.
@Salzwassermann
Warum leider? Der Anbau ist ja nur dann aufwändig, wenn er heimlich geschieht.
In Spanien ist der Verkauf von Hanfsamen und der Anbau zum Eigenbedarf straffrei, der Handel jedoch illegal und auch strafbar.M.E. eine bessere Lösung als in Holland, wo die Händler etwas verkaufen, was gar nicht in hinreichender Menge hergestellt und vorrätig gehalten werden dürfte.