ZEIT ONLINE: Frau Näser-Lather, Sie sind Ethnologin – erforschen aber, anders als
ihre Kollegen, keine fremden Kulturen, sondern die Bundeswehr, und das schon seit
mehr als zehn Jahren. Warum ausgerechnet die Bundeswehr?
Marion Näser-Lather: Auch die Bundeswehr ist eine eigene Kultur, der
man sich nähern kann wie anderen Gesellschaften. Ich wollte sie von innen
kennenlernen, ganz klassisch durch teilnehmende Beobachtung, die
wichtigste Methode der Ethnologie. Dafür bin ich Reserveoffizierin geworden und
ging 2008 mit nach Afghanistan. Ich habe also eine abgespeckte Grundausbildung abgeschlossen;
die gleiche, die Verwaltungsangestellte der Bundeswehr auch durchlaufen. Und
vor dem Auslandseinsatz habe ich einsatzvorbereitende Ausbildungen und
Wehrübungen absolviert.
ZEIT ONLINE: Überrascht es Sie, von dem Skandal um den rechtsextremen Offizier Franco A. und den Wehrmachtsandenken in Illkirch zu hören?
Näser-Lather: Absolut nicht. Es sind zwar nur einige wenige, aber dennoch gibt es seit der Gründung der Bundeswehr Menschen, die sich offen auf die Tradition der Wehrmacht berufen. Das ist auch schon lange bekannt. Zum Beispiel zeigte der 2002 erschienene Dokumentarfilm "Feldtagebuch – Allein unter Männern", dass ein Unteroffizier ein Bild von Generalfeldmarschall Erwin Rommel im Dienstzimmer hängen hatte. Ich selbst habe in einem Kraftraum der Bundeswehr einmal einen Soldaten erlebt, der Böhse-Onkelz-Tatoos hatte und beim Bankdrücken "Deutschland" gebrüllt hat.
ZEIT ONLINE: Woher kommt die Sympathie für die Wehrmacht?
Näser-Lather: In der Bundeswehr spielt Tradition eine große Rolle. Die Traditionspflege ist unter anderem in der Zentralen Dienstvorschrift 10/1 der Inneren Führung festgeschrieben, das ist das Leitbild der Bundeswehr. Da heißt es unter anderem, dass es in der Vergangenheit viele Beispiele menschlich vorbildlichen Verhaltens gegeben habe, die unseren Respekt verdienen. Genauer sind die Beispiele nicht definiert. Manche – nicht alle – beziehen sie auch auf die Leistung der Offiziere der Wehrmacht.
ZEIT ONLINE: Sind das also nur Einzelfälle?
Näser-Lather: Die Bundeswehr bezeichnet sich ja selbst als Spiegel
der Zivilgesellschaft, dabei ist sie eher ein verzerrter Spiegel. Sie ist nicht
durchgehend rechts oder gar rechtsradikal, wie einige jetzt mutmaßen, aber sie
ist definitiv konservativer als die Mehrheit der Gesellschaft. Man darf aber nicht
vergessen: Die Bundeswehr besteht aus vielen verschiedenen Einheiten. Da gibt
es Techniker, Köche, Fahrer, und eben auch Kampftruppen. Manche sehen ihren
Beruf nur als Job oder genießen die gute Versorgung, andere haben eine
intrinsische Motivation und begeistern sich für das Soldatische, für Befehl und
Gehorsam.
ZEIT ONLINE: Für den Korpsgeist?
Näser-Lather: Die Bundeswehr hat eine stärker ausgeprägte Organisationsstruktur als andere Betriebe, weil viele Soldatinnen und Soldaten teilweise 24 Stunden am Tag zusammenleben und auch Extremsituationen zusammen durchstehen. Mit den Auslandseinsätzen kam der Umstand hinzu, im Ernstfall tödliche Gewalt ausüben zu müssen. Meine These wäre, dass das nur durch starke Rituale des Zusammenhalts funktioniert. Rituale dienen ja dazu, Sinn zu stiften. Jemandem das Gefühl zu vermitteln, dass er an etwas Großem teilhat. Sie erhöhen die Motivation und geben Sicherheit.
ZEIT ONLINE: In Pfullendorf und Sondershausen beinhalteten einige Rituale Erniedrigungen und sexuelle Misshandlungen. Haben Sie so etwas auch in Ihrer Forschung beobachtet?
Näser-Lather: Zunächst einmal ergeben Rituale vielleicht Sinn, sie rechtfertigen aber keine Handlungen wie die Vorfälle in Pfullendorf oder Sondershausen. Demütigungen und Verstöße gegen die Menschenrechte sind scharf zu verurteilen und zu verfolgen. Ansonsten habe ich in meiner bisherigen Forschung eher offizielle Rituale beobachtet: Antreten, Übergabe, das feierliche Gelöbnis, der Bundesrepublik treu zu dienen. Nationalflagge, Nationalhymne. Die Soldatinnen und Soldaten sind gleich gekleidet, sie sollen das Gleiche erdulden, die gleichen Gefahren gemeinsam überstehen, sie haben die gleiche Ausrüstung. Der sogenannte Haar- und Barterlass lässt bei Männern und Frauen nur bestimmte Frisuren zu. Das alles unterstützt stromlinienförmiges Verhalten und unterdrückt individuelles Verhalten.
Kommentare
"Das alles unterstützt stromlinienförmiges Verhalten und unterdrückt individuelles Verhalten. "
Genau. Das ist nämlich unter Umständen lebenswichtig für die Kameraden.
"der Böhse-Onkelz-Tatoos hatte und beim Bankdrücken "Deutschland" gebrüllt hat. "
Na Wow. Wenn einer USA brüllt, ist es der Vorbild-Marine... wird wohl hierzulande als große Ausnahme negativ gesehen.
"...dass ein Unteroffizier ein Bild von Generalfeldmarschall Erwin Rommel im Dienstzimmer hängen hatte"
Definitiv ein großer Militär - selbst von den Engländern anerkannt.
Zitat: "Definitiv ein großer Militär - selbst von den Engländern anerkannt."
Definitiv ein Mitglied der Wehrmacht. Einer der kriminellsten Organisationen der Weltgeschichte. Die Anerkennung der Engländer bezieht sich allenfalls auf seine strategischen Fähigkeiten, keinesfalls auf seine Person.
"Dem setzen Soldaten militärische Tugenden wie Mut, Pflichtbewusstsein, Wahrhaftigkeit, Bescheidenheit und Gehorsam entgegen. Manche Soldaten sehen sich als eine Art asketische Elite."
Vielleicht sollte man nicht versuchen das zu brechen sondern weite Teile davon mehr in der Zivilgesellschaft zu leben, gerade die ersten 4 wären wohl in keiner Gesellschaft schlecht.
"die ersten 4 wären wohl in keiner Gesellschaft schlecht"
Stimmt, und vor allem in der BW wären sie gut. Mut & Wahrhaftigkeit werden Ihnen da aber sowas von ausgetrieben. Habe wohl nie soviel gelogen wie in meinem Wehrdienst.
Wenn das "Unteroffizier ein Bild von Generalfeldmarschall Erwin Rommel im Dienstzimmer hängen hatte. Ich selbst habe in einem Kraftraum der Bundeswehr einmal einen Soldaten erlebt, der Böhse-Onkelz-Tatoos hatte" die Befunde sind, dann ist das sehr wenig und auch absolut erlaubt. Die BW ist ein Arbeitgeber wie jeder andere auch - da sind der Gesinnungsspionage eigentlich enge Grenzen gesetzt. Die Ausnahme wäre natürlich NSDAP Propaganda - aber ansonsten ist es jedem Bürger zum Glück frei gestellt seine Wohnung mit Frau Merkel, Rosa Luxemburg oder eben Rommel zu tapezieren
@Betrand
"Die BW ist ein Arbeitgeber wie jeder andere auch"
Laut Grundgesetz ist sie das ganz sicher nicht. Aber nach Abschaffung der Wehrpflicht und Umwidmung in eine Eingreiftruppe "um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege ..." (Köhler) ist sie das de facto wohl geworden.
Sollte man sie dann aber nicht konsequenterweise privatisieren und Söldnertruppe statt Bundeswehr nennen?
Sind Sie der Meinung, dass die Bundeswehr genauer durchleuchtet werden sollte?
NEIN bin ich nicht, weil es die Kampfmoral der Truppe zerstört.
Es kommt auf die Intensitäten an.
Natürlich darf die Moral innerhalb der Truppe und im speziellen der Zusammenhalt zwischen den einzelnen Soldaten nicht dadurch angegriffen werden; das würde die bestmögliche Funktionalität mehr als nur nachhaltig beeinträchtigen.
Für die wohl meisten Formen von Gesinnungen, Bestrebungen oder Ansichten, die bspw mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nur schwer bis überhaupt nicht vereinbar sind, müssen jedoch klar benannte Grenzen existieren....die es auch konsequent einzuhalten gilt.
Dabei ist maßgeblich auch relevant, Meldungen nicht mit 'verpetzen' o.ä. gleichzusetzen, besonders seitens der Unteroffiziere.
Denn Gruppendynamik hat insb im Bildungsprozess eines Zuges (aGA, sGA, etc..) eine ganz besondere Eigenheit....nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, wie manche Soldaten den Spruch "der Zug erzieht sich selbst" auslegen...