Die Eltern des schwerkranken britischen Säuglings Charlie Gard haben den juristischen Streit um das Schicksal ihres Kindes nach fünf Monaten aufgegeben. Das teilte ein Anwalt der Eltern mit. Die schlimmsten Befürchtungen bezüglich des Gesundheitszustands des Kindes hätten sich bestätigt: "Es ist jetzt zu spät, Charlie zu behandeln." Ein weiterer Kampf würde dem Säugling nur Schmerzen bereiten.
Charlie hat eine extrem seltene genetische Erkrankung, in der Fachsprache mitochondriales DNA-Depletionssyndrom (MDS) genannt, wobei insbesondere das Gehirn und die Muskeln in Mitleidenschaft gezogen werden. Mitochondrien sind kleine Zellbestandteile, die den Energiehaushalt aller Körperzellen aufrechterhalten. Bei Charlies Krankheit funktionieren sie kaum, sodass verschiedene Organe des Körpers leiden. Nach und nach sterben Muskel-, Leber- und Hirnzellen ab.
Charlie konnte sich zuletzt nicht mehr bewegen und hatte nach Angaben der Ärzte bereits schwere Hirnschäden. Am Freitag zeigte eine erneute Untersuchung, dass das Gehirn des Säuglings bereits schwer geschädigt ist. Das könnte den Ausschlag für die Entscheidung der Eltern gegeben haben.
Eltern gegen Ärzte
Die Ärzte im Londoner Great-Ormond-Street-Krankenhaus hatten sich dafür ausgesprochen, dass der Junge in Würde sterben soll. Sie halten eine Heilung für extrem unwahrscheinlich und klagten darum, die lebenserhaltenden Geräte auch gegen den Willen der Eltern abschalten zu können, um dem Kind weiteres Leiden zu ersparen. Alle gerichtlichen Instanzen bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gaben den Ärzten Recht.
Seine Eltern hingegen wollten Charlie für eine experimentelle Therapie in die USA bringen. Sie hatten dafür bereits rund 1,5 Millionen Euro an Spenden gesammelt, um den Krankentransport und die Behandlung finanzieren zu können. Doch die Therapie ist umstritten. Noch nie wurde sie bei einer Erkrankung wie im Fall Charlies angewandt. In den USA hatte sie bei Labormäusen mit ähnlichen Erkrankungen erste Erfolge gezeigt. Sie ist aber noch weit davon entfernt eine etablierte Behandlungsoption zu sein.
Der Fall hatte international Beachtung gefunden, sogar Papst Franziskus und US-Präsident Donald Trump hatten sich dazu geäußert. Krankenhäuser in den USA und Italien hatten angeboten, Charlie weiter zu behandeln.
Das Great-Ormond-Street-Krankenhaus klagte zuletzt über Belästigungen
und sogar Morddrohungen, wahrscheinlich durch Unterstützer der Eltern. Die Leiterin der Klinik hatte am Wochenende mitgeteilt, Ärzte und
Pflegekräfte seien in den vergangenen Wochen "einer infamen Flutwelle von
Feindseligkeit und Belästigungen" ausgesetzt gewesen. Charlies Eltern zeigten sich darüber schockiert und bezeichneten die Drohungen als Rückschlag.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
wir verstehen, dass dieses Thema besonders emotional ist und aufwühlend sein kann. Wir möchten Sie deshalb bitten, besonders respektvoll und sachlich zu debattieren.
Vielen Dank aus der Redaktion.
Ich finde es sollte Allen respektvoll entgegengetreten werden die therapiebedürfige Kinder haben und denen auch geholfen werden kann .
Warum dieser Fall ?
Warum?
Weil es in dem Fall offenbar eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Ärzten und Eltern gab:
Die Ärzte waren der Meinung, dass nicht geholfen werden kann.
Die Eltern waren, der Meinung, dass Hilfe möglich sei.
Das hat neben den medizinischen Aussichten (welche Chancen bietet die vorgeschlagene Therapie und in welchem Maße leidet das Kind dabei) auch noch den Aspekt, wie man beides abwägt (also ist es ein Gewinn, für den Leid in Kauf genommen werden darf, wenn das Kind womöglich im derzeitigen Zustand weiter lebt? Oder stellt jedes erwartbare Ergebnis bloß zusätzliches Leid dar?).
Da niemand das unumschränkte Recht hat, für den Säugling zu entscheiden, musste hier eben ein Gericht angerufen werden.
Bei einem Menschen, der selbst entscheiden kann, bin ich ja der Meinung, dass sein Wille über jeder anderen Instanz steht (was sowohl in GB als auch in Deutschland etwa bzgl. Sterbehilfe leider rechtlich anders geregelt ist). Da Selbstbestimmung des Kindes hier nicht möglich ist, muss in seinem mutmaßlichen Interesse entschieden werden. Und da es darüber Meinungsverschiedenheiten gab, musste eben das Gericht entscheiden.
Wie hätten Sie es denn gern gehabt?
Zu spät für die alternative Methode oder zu öffentlich?
Ich denke nicht, dass Charlie je eine Chance hatte.
Als Vater hätte ich natürlich ähnliches versucht.
Ich verstehe, dass die Eltern bis zum Schluß um das Leben ihres Kindes gekämpft haben, aber sie konnten sich nicht sicher sein, ob die neue Therapie Erfolg gehabt hätte oder ob und wie sehr das Kind gelitten hätte.
In solch einem Fall gibt keine richtige oder falsche Entscheidung.
Sehr traurig.
"Ich verstehe, dass die Eltern bis zum Schluß um das Leben ihres Kindes gekämpft haben, aber sie konnten sich nicht sicher sein, ob die neue Therapie Erfolg gehabt hätte oder ob und wie sehr das Kind gelitten hätte."
Ich glaube, einen Erfolg im Sinne einer Heilung hat niemand erwartet. Es ging eher um Wertungen der Art, ob ein Verlangsamen oder Aufhalten des weiteren Krankheitsverlaufs (wohl das bestmögliche Ergebnis) als Gewinn im Interesse des Kindes zu sehen sei (das war wohl die Position der Eltern) oder ob auch dieser Ausgang nur zusätzliches Leid bedeute (das war die Position der behandelnden Ärzte).
Hätte eine irgendwie realistische (wenn auch nicht sichere oder auch nur wahrscheinliche) Chance auf Genesung bestanden, hätte es diesen Streit wohl so nicht gegeben. Dann hätte wohl kein Gericht die Position vertreten, dieso Möglichkeit hätte nicht ergriffen werden dürfen, bloß weil jemand "nicht sicher sein" konnte.