Das Vorbild des Täters von Halle dürfte der rechtsextremistische Attentäter von Christchurch in Neuseeland gewesen sein. So wie dieser hatte Stephan B., wie sein Name nach ersten Informationen lautet, ein Auto voller Sprengsätze und Waffen geladen und wollte auf einen selbst ernannten Kreuzzug gehen. Sein Ziel war die jüdische Synagoge von Halle, in der die Gemeinde gerade den höchsten jüdischen Festtag beging, das Versöhnungsfest Jom Kippur. Stephan B. wollte in der Synagoge wahllos Menschen töten und dabei wohl auch selbst sterben. So wie der Mörder von Christchurch filmte auch B. seine Taten.
Das Video hat der Täter im Internet hochgeladen, ein Video, das er mit seiner Helmkamera selbst gefilmt hatte. Es zeigt seine Taten in allen Einzelheiten und liegt ZEIT ONLINE vor. Darin ist zu sehen, dass Stephan B. seine Waffen offenbar alle selbst gebaut hat. Und dass es reines Glück war, dass in Halle nicht noch mehr Menschen starben – weil seine Waffen mehrfach versagten und weil die Türen der Synagoge fest verschlossen waren.
Den ersten Teil des Videos hat er, wie der Attentäter von Christchurch, im Auto gefilmt, noch bevor er losfuhr. Es ist eine Art rechtsextremistisches Bekenntnis. Anfangs redet er auf Deutsch mit sich selbst, wechselt dann aber ins Englische. Er dreht die Kamera auf sein Gesicht und sagt: "Hi, my name is Anon, and I think the Holocaust never happened." Er sei Anon – ein unter rechtsextremen Verschwörungstheoretikern im Netz verbreitetes Pseudonym – und er sei überzeugt, dass der Holocaust niemals stattgefunden habe. Er bezeichnet den Feminismus als Grund für niedrige Geburtenraten im Westen, die zu Massenimmigration führten. Und erklärt, dass "der Jude" der Grund für all diese Probleme sei.
Anschließend dreht er Musik auf und fährt zur Synagoge.
Die Bilder wurden von Forschern des renommierten International Centre for the Study of Radicalization (ICSR) des Londoner King’s College entdeckt. ICSR-Gründer Professor Peter Neumann sagte ZEIT ONLINE, das Vorgehen des Attentäters in Halle ähnle dem des Attentäters von Christchurch: "Obwohl ein anderes Ziel – Juden, nicht Muslime –, deuten die Aussagen des Täters auf jemanden hin, der intensiv in rechtsextremen Message-Foren im Internet unterwegs war und sich dort, genauso wie der Christchurch-Attentäter, eine Ideologie zusammengebastelt hat."
Der zweite Teil zeigt den Angriff auf die Synagoge. Das Gotteshaus ist in einem ehemaligen Bestattungsgebäude auf dem jüdischen Friedhof der Stadt untergebracht. Der Täter versucht, durch den Eingang in der Humboldtstraße 52 einzudringen, aber die Tür ist verschlossen. Offensichtlich frustriert wirft er selbst gebaute Sprengkörper über die Mauer des Friedhofs. Von denen hat er viele dabei, im Auto sind mehrere Taschen mit Sprengkörpern und Brandflaschen zu erkennen. Außerdem Munition. An drei Orten versucht er, in die Synagoge einzudringen, scheitert aber jedes Mal an verschlossenen Türen.
Während eines dieser Versuche läuft eine vielleicht 40 Jahre alte Passantin mit rotem T-Shirt die Straße entlang auf die Szene zu. Sie sagt: "Muss das sein, wenn ich hier lang gehe?" Der Täter richtet eine automatische Waffe auf sie und erschießt sie mit mehreren Feuerstößen. Dabei zerschießt er auch einen der Reifen seines Autos. Frustriert und offensichtlich im Stress versucht er weiter, in die Synagoge zu kommen, gibt aber schließlich auf. Als ein weiterer Passant ihn anspricht, will er auch diesen erschießen, doch seine automatische Waffe hat Ladehemmungen, der Mann kann entkommen.
Im dritten Teil sucht B. ein alternatives Ziel. Er ist ins Auto gestiegen und von der Humboldtstraße links in die Schillerstraße eingebogen. Er beschimpft sich als Versager, bekräftigt aber noch einmal, dass er töten will. Am Ende der Schillerstraße, die auf die breite Ludwig-Wucherer-Straße mündet, entdeckt er einen Dönerimbiss. Er steigt aus und wirft einen seiner Sprengsätze. Der prallt am Türrahmen ab und detoniert vor einer alten Frau auf der Straße. Anschließend schießt er in den Imbiss. Die Menschen darin fliehen eine kleine Treppe hoch, suchen Schutz in der Toilette und hinter zwei Getränkekühlschränken. Zwei Männer kauern dahinter. Mehrfach versucht B., auf sie zu schießen, doch immer wieder hat seine Waffe Ladehemmungen. Die Männer hinter den Kühlschränken bitten immer wieder um Gnade. Letztlich löst sich doch noch ein Schuss, im Laden wird es still. Offenbar zeigt diese Szene den zweiten Mord.
Anschließend fährt er abermals ein Stück mit seinem Auto, wendet, hält kurz darauf wieder nahe dem Imbiss und schießt auf Passanten. Dann geht er noch einmal in den Imbiss hinein. Das letzte Bild des Videos zeigt einen Blick zwischen den beiden Kühlschränken hindurch. Dort liegt bewegungslos ein Mann.
Kommentare
Erschreckend!
Interessant wäre noch was der mutmaßliche Täter mit den Videos gemacht hat - hat er sie online gestellt, verschickt, oder hat die ZEIT sie von der Polizei bekommen?
Wird darin erklärt wie er von seinem Gruden Weltbild zu den Anschlägen kommt, weil da sehe ich den Zusammenhang noch nicht - selbst wenn er den Unsinn glaubt, folgt daraus nicht das sinnloses Morden etwas daran ändern würde...
Er hat live auf Twitch gestreamt
Die Videos wurden online gestellt, zumindest stand es so im News Ticker hier.
Wurde auf Gaming-Video-Plattform gestreamt und über die üblichen Kanäle weiter gereicht. Das Internet ist schnell.
Ziemlich nebensächlich übrigens. Jeder kann sich in Minuten einen Stream einrichten und Tausende erreichen.
Im Übrigen ist der Typ ein ziemlicher Idiot, beinahe alles geht schief, er ist ständig am Fluchen, verliert ständig Dinge. Danken wir seiner Dummheit, dass nicht mehr passiert ist.
Und sie werden derzeit hundertfach kopiert und auf allen möglichen Portalen hochgeladen.
"Wurde auf Gaming-Video-Plattform gestreamt und über die üblichen Kanäle weiter gereicht. Das Internet ist schnell."
Hoffen wir, dass nicht das schon einigen genügt um einen Zusammenhang mit "Killerspielen" konstruieren zu wollen...
"Im Übrigen ist der Typ ein ziemlicher Idiot, beinahe alles geht schief, er ist ständig am Fluchen, verliert ständig Dinge. Danken wir seiner Dummheit, dass nicht mehr passiert ist."
Das sind nach meinem Gefühl fast alle Amokläufer, denn effizient ist ihr vorgehen selten - leider können sie damit dennoch Menschen verletzen und töten...
Die Debatte um Killerspiele ist doch längst begraben. Wer sie wieder hervorholt, macht sich zum Affen und outet sich selbst als nicht besonders gut informiert
Das denke ich auch bei jedem Anschlag, der erfolgreich vereitelt wurde. Ich war gerade in New York und dachte beim Blick auf das neue World Trade Center „Gottseidank, dass die meisten Terroristen so bescheuert sind - wenn die alle so erfolgreich ihre Anschläge verüben würden, dann gute Nacht.“
"Die Debatte um Killerspiele ist doch längst begraben. Wer sie wieder hervorholt, macht sich zum Affen und outet sich selbst als nicht besonders gut informiert"
Das dachte ich schon vor Jahren und dann macht vor wenigen Jahren de Maizière wieder zum Thema, es gibt einfach genug konservative denen es absolut Egal ist, dass es keine belastbaren Studien gibt die einen über bloßes Priming hinausgehenden Zusammenhang belegen können - wenn in den nächsten Tagen mehr Hintergrundinformationen zum Täter bekannt werden und darunter ist dass er Zocker war (was nicht abwegig ist, wenn er Twitch als Streamingplattform verwendet), dürften sie auch wieder aus ihren löchern Kriechen - ich bin da leider nicht so optimistisch wie sie (Fakten interessieren viele Menschen einfach nicht, sondern eher ob eine bestimmte Deutung in ihrer Lebenswelt anerkannt ist oder nicht und wenn sie dass ist, würden sie vermutlich sogar die "Gottlosigkeit" o.ä. zur Ursache erklären)...
Gruselig... da schauen potentiell so viele Kids zu, genau wie auf YouTube und Facebook...
"der intensiv in rechtsextremen Message-Foren im Internet unterwegs war und sich dort, genauso wie der Christchurch-Attentäter, eine Ideologie zusammengebastelt hat."
"Ermittler nach derzeitigem Stand davon aus, dass er ein Einzeltäter war. "
Finde den Fehler.
Sehe kein Fehler. Es gibt Leute, die sich im stillen Kämmerlein radikalisieren, ohne sich einem Netzwerk anzuschließen und dann als "einsame Wölfe" agieren.
Ob das hier so oder anders war kann aber derzeit nur spekuliert werden. Das werden die Ermittlungen hoffentlich zeigen.
Man fragt sich ernsthaft, wie krank solche Menschen sein müssen, die aus purem Hass andere Menschen umbringen möchten.
Glücklicherweise ist dem Täter das Eindringen in die Synagoge nicht gelungen. Die Zahl der Todesopfer hätte wesentlich grösser sein können.
Der Täter ist in Haft. Jetzt werden die Ermittler ihrer Arbeit nachgehen und prüfen, ob er in ein Netzwerk eingebunden war und Mittäter hatte.
Und wir als Zivilgesellschaft müssen dem Rechtsextremismus entgegen treten und klar machen, dass es diesem gegenüber keine Toleranz gibt.
"müssen dem Rechtsextremismus entgegen treten"
Weit mehr als das.
Ich habe noch nie eine so sinnlose Aneinanderreihung von Verschwörungstheorien gesehen, es ist noch nicht einmal nachvollziehbar, wie das alles für ihn überhaupt Sinn ergeben könnte.
Für mich sieht das nach einem psychischen Wrack aus, ich bezweifle daher dass es ausreicht, sich gegen bestimmte Ideologien zu positionieren, um soetwas in Zukunft zu verhindern. Es muss im Mindesten auch um Selbsthass und Minderwertigkeitskomplexe, um den Umgang mit Verschwörungstheorien und Propagandamechanismen in soz. Netzwerken gehen.
Ja doch stimmt schon,wieder so ein "weisser Mann" der männliche Privilegien für sein gutes Recht hält.
Und wenn man(n) diese Privilegien verliert sind Femministinnen,Juden und Türken schuld.
Für so einen Ego Quark sterben dann Menschen.
Ich kann mir nicht helfen, aber ihr Weltbild scheint mir auch etwas ideologisch angehaucht zu sein und ohne typische Kampfbegriffe ( "weisser Mann", "männliche Privilegien") nicht auszukommen.
Ehrlich gesagt, ich habe die Nase von allen, auch solchen Ideologien, gestrichen voll.