Wenn der Arzt für Magen-Darm-Probleme keine Ursache findet, hat das Übel meist einen ganz bestimmten Namen: Reizdarm-Syndrom (RDS). In Deutschland leidet etwa jeder Vierte darunter, zwei- bis dreimal so viele Frauen wie Männer. Das RDS gehört zu den häufigsten chronischen Leiden des Magen-Darm-Trakts und zu den häufigsten ärztlichen Diagnosen überhaupt. Zu den Merkmalen des Syndroms gehören Blähungen, Durchfall und/oder Verstopfung sowie krampfartigen Bauchschmerzen. Manchmal behindert das Druckgefühl oder der aufgeblähte Bauch sogar die Atmung. Übelkeit, Erbrechen und Schluckstörungen kommen ebenfalls häufig vor. Was die Sache für die Patienten noch schwieriger macht: Die Symptome treten oft völlig unabhängig davon auf, was und wie viel der Betroffene gegessen hat. © Amélie Putzar für ZEIT online
Völlig klar, dass ein RDS die Lebensqualität beeinträchtigt, und zwar nicht nur körperlich. Weil die Ursache nicht festzumachen ist, haben viele RDS-Patienten zum Beispiel Angst, dass in Wahrheit ein Darmtumor dahintersteckt. Die Sorge ist allerdings unbegründet: Das Syndrom verkürzt weder das Leben noch erhöht sie das Risiko für entzündliche oder bösartige Erkrankungen von Magen oder Darm.
Der Arzt muss in jedem Fall aber andere infrage kommenden Krankheiten wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Magenentleerungsstörungen oder eine Fruktose- oder Milchzuckerunverträglichkeit und natürlich auch Darmkrebs ausschließen, bevor er die Diagnose RDS stellt. Das ist im Hinblick auf alle nötigen Labor-, Ultraschalluntersuchungen und Magen- oder Darmspiegelung relativ aufwändig.
Die Ursachen des RDS sind derzeit ein heiß umforschtes Thema: Wissenschaftler gehen inzwischen davon aus, dass die Interaktion zwischen Gehirn und Verdauungssystem gestört ist. Im Darm existiert neben dem autonomen Zentralen Nervensystem nämlich ein zweites unabhängiges Nervensystem. Es schüttet ähnlich wie das Gehirn Botenstoffe wie das Hormon Serontonin aus, die für die Zusammenarbeit von Darm und Gehirn und für die lokalen Funktionen im Verdauungstrakt wichtig sind. Bei RDS-Patienten gerät dieser Regelkreis offenbar durcheinander. Schmerzen, Durchfall und/oder Verstopfung sind die Folge.
Zudem halten Experten eine besonders hohe Sensibilität der Betroffenen für entscheidend. Ganz normale Verdauungsprozesse erzeugen Missempfindungen und das Gefühl, permanent verstopft oder aufgebläht zu sein. Ist das RDS also pure Einbildung? Untersuchungen haben gezeigt, dass RDS-Patienten tatsächlich einen geblähten Bauch haben, der aber nicht von einer vermehrten Gasbildung, sondern wahrscheinlich von einer Überempfindlichkeit gegenüber Dehnungsreizen des Darmes herrührt. Dass RDS-Patienten zudem bestimmte psychische Auffälligkeiten mitbringen, ist unter Experten ebenfalls unbestritten. Dazu gehören Angststörungen, unterdrückte Aggression oder chronischer Stress.
Die Behandlung des RDS-Patienten ist angesichts dieser komplexen, zum Teil unklaren Zusammenhänge natürlich schwierig, eine einheitlich wirksame Therapie gibt es nicht. Spezielle Medikamente, die wie Tegaserod (Zelmac) gezielt in den gestörten Regelkreis des Botenstoffs Serotonin eingreifen, sind bisher nur in anderen Ländern auf dem Markt. In Deutschland wurde eine Zulassung erst Anfang des Jahres erneut vom wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Arzneimittelbehörde (CHMP) abgelehnt.
Was den Patienten bleibt, ist eine Behandlung der Symptome. Bei leichten Schmerzen können Belladonnatinktur, Pfefferminzöl oder japanisches Heilpflanzenöl helfen. Andere krampflösende Wirkstoffe sind Butylscopalamin (als Buscopan apothekenpflichtig) oder das rezeptpflichtigen Mebeverin.
Kommentare
Krankheit - immer ein medizinisches Problem?
Es ist wahrhaftig nicht immer leicht, eine Ursache für eine Erkrankung zu finden.
Jedes Symptom, jede empfundene Unpässlichkeit führt zunächst zum Arzt. Der führt nach wissenschaftlicher Erkenntnis und Lehre eine oft umfangreiche ( und teure )Diagnostik durch und leitet eine Behandlung ein, die teils wissenschaftlich, teils empirisch begründet ist. Nicht selten sind Patient und Arzt über den ausbleibenden Erfolg enttäuscht.
Woran mag es liegen?
Kann es sein, dass die Ursache überhaupt nicht im eigentlich medizinischen Bereich liegt ?
Eine medizinische Behandlung nicht den gewünschten Erfolg bringt, weil sie nicht angezeigt ist ?
Der Mediziner muss für alles Verständnis aufbringen. Die Medizin suggeriert , dass sie nahezu omnipotent sei und für jedes Problem Hilfe leisten könne. Entsprechend unrealistisch hoch ist die Erwartungshaltung des Patienten. Am Ende steht Frustration des Arztes und das gestörte Vertrauen des Patienten zu seinem Arzt, weil dieser das Problem entweder nicht ernst nimmt oder nicht in den Griff bekommt. Es erfordert schon ein bisschen Mut, ehrlich zu sagen, dass die Medizin nicht für jedes Problem zuständig ist. Ausserdem ist es für das Arzt-Patienten Verhältnis ehrlicher, wenn auch für den Patienten bisweilen schwerer verständlich.
Beiläufig wird neben der Diskussion um Gasbildung im Darm und erhöhter Empfindlichkeit auf Dehnungsreize erwähnt, dass Seelenpflege mit am wichtigsten ist.
Die Ursache verschiedener funktioneller Störungen, für die das Reizdarmsyndrom stellvertretend steht, ist oft im sozialen Umfeld des Betroffenen zu suchen. Eher ein soziales Problem als ein medizinisches.
Eine gezielte Veränderung im beruflichen oder privaten Umfeld des Betroffenen wäre oft eher die richtige Therapie. Institutionen wie Familienberatung etc. können in diesem Zusammenhang eher gezielt beraten.
Medizin & Mediziner
Unabhängig vom beschriebenen Krankheitsbild ist doch folgendes zu beobachten:
Die Patienten wünschen eine Rundumbehandlung, wie sie sie aus den Arztklischees kennen, während die Ärzte eine rein medizinische (d.h. auf organischen Störungen begründete) Vorgehensweise anwenden, bedingt durch Budgetierungen u.a. für die Patienten mehr oder weniger nachvollziehbare Motive (s. Gesundheitsreform)
Zudem sollte nicht vergessen werden, dass psychosomatische Diagnosen, sollten diese von sog. Schulmediziners gestellt werden, von den Patienten häufig aus Angst vor der gefühlten Nähe zu psychischen Erkrankungen negiert werden.
Die Folge sind die Flucht in die Scharlatanerie, die psychisch gefühltes Wohlbefinden statt echter Gesundheit erzeugt.
wir sind zwar weit, aber noch nicht so weit
das wir alles verstehen und v.a. behandeln können.
mutig finde ich die ärzte, die das auch zugeben und ggf. eine alternative diagnose und folglich auch behandlung empfehlen.
ein ayurvedischer arzt findet die ursache bestimmt in einer dosha störung, findet durch pulsdiagnose heraus, dass z.b. vata im körper überwiegt, und dies durch bestimmte pflanzliche oder mineralische (steine,metalle)präparate ausgeglichen werden kann.einmalig
ein chinesischer arzt findet bestimmt auch seine lösung, die mit den beiden nichts gemeinsam hat.usw.
es werden dieselben symptome behandelt; und jeder geht davon aus,dass er die ursache kennt, da er sie mit seinen untersuchungsmethoden festgestellt hat.
was ist die richtige behandlung/medizin fragt man sich-
und lessings ringparabel wird wieder aktuell.
der ansatz: wie kriege ich blähungen weg ist wieder nur ein herumdoktern an den symptomen und der patient wird zum chronischen opfer.das wirklich interessante ziel ist meiner meinung nach: wie kriege ich das hin, dass die blähungen erst gar nicht entstehen.