Unter Kriminalisten heißt es, es sei oft einfacher, einen Mord aufzuklären, als ihn zu entdecken. Und das ist nicht ironisch gemeint. Vor allem alte und kranke Menschen gelten als häufige Opfer. Sogar die Mordserie des Krankenpflegers Niels Högel, der mehr als 100 Klinikpatienten getötet hatte, wurde erst nach Jahren aufgeklärt.
Auch der Mord an Ellen Christine L. wäre fast unentdeckt geblieben. Ellen Christine L. war 91 Jahre alt. Sie war schwer dement. Sie saß im Rollstuhl. Ihre Wohnung in der Rissener Landstraße bei Hamburg hatte sie seit Jahren nicht mehr verlassen. Auch ihr Hausarzt hatte die Seniorin lange nicht gesehen.
Am Morgen des 7. September 2017 rief ein älterer Herr in der Praxis des Hausarztes an. Karsten G., so der Name des Anrufers, stellte sich als alter Bekannter von Ellen Christine L. vor. Er kümmere sich um die Seniorin und besuche sie regelmäßig, sagte er. Gerade habe er eine traurige Entdeckung gemacht: Die alte Dame sei tot. Er habe sie zusammengesackt im Rollstuhl an ihrem Esstisch vorgefunden. Ob der Arzt kommen und den Tod bescheinigen könne? Eine Stunde später war der Hausarzt da. Er gab den Leichnam zur Bestattung frei. Hirntod, schrieb er in den Totenschein. Ohne Untersuchung.
Die Sache schien klar. Es wäre nur eine Frage weniger Tage gewesen, und die Leiche wäre verbrannt worden. Karsten G., sagt der Vorsitzende Richter am Landgericht, hätte damit sein Ziel erreicht: die Seniorin zu töten, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die Strafkammer ist nach monatelanger Verhandlung davon überzeugt, dass der 75-Jährige die Rentnerin ermordete. Er wollte an ihr Erbe, sagt der Vorsitzende Richter, und verurteilt den 75-Jährigen zu lebenslanger Haft: "Er hat die alte Dame umgebracht, nachdem er sie jahrelang finanziell ausgenutzt hatte."
Karsten G. trägt die weißen Haare unter der Halbglatze fast schulterlang. Er wirkt wie ein leicht verwahrloster, aber freundlicher älterer Herr. Gegenüber Ellen Christine L. hat er sich als gute Seele inszeniert. Die beiden kannten sich schon lange. Regelmäßig besuchte er die alte Dame, als sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen konnte. 2011 stellte die ihm eine Vollmacht aus, damit er sich um ihre gesundheitlichen Belange kümmern konnte. Und: Sie setzte ihn als Alleinerben ein.
Scheinbar rührend kümmerte sich Karsten G. um Ellen Christine L. Er organisierte den Pflegedienst. Er kümmerte sich um den Haushalt. Und um noch etwas kümmerte er sich: um ihre Konten. Regelmäßig hob er Geld davon ab. Das aber bemerkte niemand.
Fast 94.000 Euro nahm er sich im Laufe der Jahre heimlich von den Konten. Damit, so der Vorsitzende Richter, finanzierte sich Karsten G. einen Lebensstil, den er sich von seiner knappen Rente niemals hätte leisten können. Er hatte Hunde und Pferde, schon seine Mietwohnung kostete mehr, als er an Rente bekam. Niemand fragte nach, wie er sich all das leisten konnte. Und Ellen Christine L., an deren Konten er sich bediente, war dement.
Im September 2019 waren die Konten leer. Jetzt, so der Vorsitzende Richter, blieb Karsten G. nur noch eines: das Erbe. Er wollte an die Eigentumswohnung von Ellen Christine L.
Kommentare
Es wundert nicht, dass so etwas geschieht. Auf den Wehrlosen herumzuhacken, findet seit geraumer Zeit zunehmend Anklang nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Politik, national und international.
Der Fisch stinkt immer vom Kopf.
Wen wollen Sie jetzt hier in Schutz nehmen, den Täter oder das Opfer?
@redaktion
Die Jahreszahl am Ende der 1. Seite scheint nicht zu stimmen, es müsste wohl September 2017 heißen.
Und es stimmt wohl leider, dass bei älteren Menschen oft nicht so genau auf die Todesumstände geachtet wird, da prinzipiell von einem natürlichen Tod ausgegangen wird. Das kann dann leicht ausgenutzt werden!
Nun, bei einem Alter von 91 ist ein normaler Tod nichts Ungewöhnliches.
Aber es schadet keinesfalls, bei merkwürdigen Umständen (Und mehr lag ja auch hier nicht vor) zur Polizei zu gehen. Im Altersheim meiner Mutter kam es einmal zu gehäuften Todesfällen, ich bin zur Polizei. Es stellte sich heraus, dass ein Hospiz angeschlossen war. Das hatte ich nicht gewusst.
Gewiss nicht der einzige Fall dieser Art, wohl aber einer der wenigen, die doch (noch) aufgeklärt werden konnten. Wie ein Kriminalbeamter in dieser Sache aussagte: Es ist bisweilen einfacher einen Mord aufzuklären, als einen solchen überhaupt festzustellen.
Zum Glück wird dieser üble Mensch seine eigenen letzten Lebensjahre nicht daheim in beschaulichen Verhältnissen, sondern entbehrungsreich im Gefängnis verbringen müssen. Eine durch und durch verabscheuungswürdige Tat!
"Im September 2019 waren die Konten leer. Jetzt, so der Vorsitzende Richter, blieb Karsten G. nur noch eines: das Erbe. Er wollte an die Eigentumswohnung von Ellen Christine L. "
nicht sept 2017?
Eine Stunde später war der Hausarzt da. Er gab den Leichnam zur Bestattung frei. Hirntod, schrieb er in den Totenschein. Ohne Untersuchung.
Hier haben wir auch ein generelles Problem, da Ärzt, warum jetzt auch immer, nicht genauer hinsehen.
Hinweis: Bei der Kremation erfolgt, im Gegensatz zu Erdbestattung, immer nochmals eine umfassendere Leichenschau. Wenn es dort nicht aufgefallen wäre, dann wäre es ärztl. Doppelversagen. Ok, hier wurde die Pflegerin misstrauisch und dadurch gab es zumindest eine Akte. Dennoch, warum nicht generell vor Bestattungen eine weitere, professionelle Leichenschau?
Etwas OT, aber dennoch hinterfragenswert: Wie sähe das Ganze aus, wenn wir einen anständigen, begleiten Suizid hätten? Immerhin werden dann die evtl. Punkte einer vorherigen Absprache ausgeklammert?
Warum nicht generell eine weitere, professionelle Leichenschau?
Das kostet und es fehlen wahrscheinlich die Ressourcen. Gestorben wird viel und die Ärzte haben schon genug mit den Lebenden zu tun.
Weil die normale Leichenschau schon eine unangenehme Aufgabe ist, die noch dazu kompliziert vergütet wird(wenn überhaupt): sie wird von den Kassen nicht bezahlt (Argumentation: der Mensch ist ja tot, also sind wir Kassen nicht mehr zuständig... Ist ernsthaft so), eine Privatrechnung an die Angehörigen zu schicken ist aufwendig, wird oft als pietätlos empfunden, ganz zu schweigen von irgendwelchen datenschutzrechtlichen Problemen wenn man nicht gerade die Familie selbst kennt als Arzt, was ja gerade im Dienst oft so ist.
Eine Leichenschau kostet nach Aufwand ca. 100-150 €. Eine Sektion (Autopsie) wird zwischen 600 - 1000 € veanschlagt. Dazu eventuelle Anfahrt und Zuschläge. Da werden die Angehörigen gerne nachlässig mit der Todesursachenfeststellung, selbst erlebt. Oft wollen sich auch alle Beteiligten nicht dem unangenehmen Gedanken aussetzen, irgendwas könnte nicht stimmen beim Tod von Oma Lieschen, und das Ganze möglichst schnell vom (auch emozionalen) Tisch haben. Ist auch nachvollziehbar.
Nicht selten ist es am Ende so dass der Arzt dann irgendwo hin Hausbesuch fährt, auch gern dann wenn alle anderen frei haben, und dann Mühe hat sein Honorar einzutreiben.
Alles eigentlich Mist aber dann doch irgendwie menschlich.
Weil die normale Leichenschau schon eine unangenehme Aufgabe ist, die noch dazu kompliziert vergütet wird(wenn überhaupt): sie wird von den Kassen nicht bezahlt (Argumentation: der Mensch ist ja tot, also sind wir Kassen nicht mehr zuständig...
Wer die Leichenschau im Krematorium bezahlt weiß ich nicht. Ist es wirkliche eine Kassenleitung?
Die Frage bleibt aber bestehen, auch wenn sie 'nur' aus finanzieller Sicht abgewiesen wurde ;-)
Wenn es der Gesellschaft und dem Staat wirklich um Aufklärung, und im Straffall um Strafverfolgung, geht, dann zieht das Kostenargument schlecht. So könnten wir dann ja auch andere Strafverfolgung generell ausnehmen, da sie Kosten verursachen.