Als Jugendliche wollte Christine Semler unbedingt einen himmelblauen Daunenmantel. Sie bedrängte ihren Vater solange, bis er ihr das 600 D-Mark teure Kleidungsstück kaufte. Heute, rund 30 Jahre später, trägt sie Turnschuhe in Camouflage-Muster, Spitzenrock und Tanktop. Ihre Ober- und Unterarme sind tätowiert, ihre Ohrmuschel gepierct. Die 46-Jährige betreibt in der Hamburger Neustadt einen Friseur-Salon. Sie sitzt auf den Waschbetontreppen unterhalb des Michels und erzählt von einer Zeit, in der sie Perlmutt-Ohrringe und Kaschmir-Pullover mit V-Ausschnitt trug. Eine Zeit, in der alle Proleten waren – alle außer Popper wie Christine Semler.
Es waren die frühen Achtziger, in denen eine durch und durch materialistische Jugendkultur
auftauchte. Ihre Anhänger trugen Fönfrisuren, die nur mittels ruckartig kreisenden
Kopfbewegungen ihre stets leicht blasierten Mimiken
freigaben. Der Ursprung des Poppertums liegt in den Untertertien
der Hamburger Gymnasien der späten Siebziger. In gut situierten
Stadtteilen wie Pöseldorf, Wellingsbüttel oder
Othmarschen. Im Gegensatz zu
den Punks oder Rockern rebellierten die Popper nicht gegen die Elterngeneration,
sondern versuchten sie zu kopieren. Sie stellten den elterlichen Wohlstand zur Schau.
Polohemden, Segelschuhe,
Kaschmir-Pullover, Karottenhosen und Collegeschuhe — inspiriert wurde die Popper-Bewegung durch den konservativen
Kleidungsstil an US-amerikanischen university-preparatory schools
und Eliteuniversitäten. Schüler, die für eine Zeit Highschools in den USA besuchten, brachten ihn nach Hamburg. Hier entstand in den Klassenzimmern aus den Outfits eine eigene Jugendkultur.
Brokdorf und Nato-Doppelbeschluss fanden nicht statt
Ausrasierte Nacken und ein langer, asymmetrischer Pony, auch Elbtunnel genannt, schmückten den Popper-Kopf. Regeln für das standesgemäße Benehmen standen im Popper-Knigge. Das kleine Heft, das mittels Fotokopierer schnell über die hanseatischen Schulhöfe verbreitet wurde, war ursprünglich als Satire gemeint. Mathias Lorenz und Carola Rönneburg wollten mit dem Blättchen eigentlich ihre konsumorientierten Mitschüler kritisieren. Sie erschufen Karikaturen und formulierten überspitzte Benimmregeln. Doch ebendiese Klassenkameraden nahmen den Popper-Knigge aus dem Jahr 1979 nicht als Satire, sondern ernst.
Christine Semler wurde nicht durch den Knigge zur Popperin.
Ihr Schlüsselerlebnis hieß Sven, der Freund ihres Bruders. Eines Tages öffnete sie die Haustür, und da stand er: gut ein Drittel des Gesichts von einer Popperwelle bedeckt, umrahmt von Kopfhörern eines Sony-Walkmans. "Ich fand diesen Aufzug mega!", erinnert sie sich
noch heute. Um so zu sein wie Sven, bedurfte es keiner großen Anstrengung. Semler wuchs in einem Elternhaus mit zwei Schwimmbädern auf, in Hamburg-Othmarschen. Sie war Schülerin des privaten Jenisch-Gymnasiums. Die
Klassengemeinschaft war homogen, Punks oder Ökos erst gar nicht
vorhanden. Es gefiel, was teuer und Marke war.
"Ich fand die Kleidung toll. Und rebellieren gegen meine Eltern wollte ich nicht. Warum auch. Ich sah ja in der Kleidung aus wie meine eigene Mutter", sagt Semler. Ihre Clique wollte Spaß haben, schick aussehen und unter sich sein. Politisch aktiv, das bedeutete für sie, die CDU zu wählen, so wie ihre Eltern. "Kreuz, rums und fertig. Da wurde nicht lang gefragt", erinnert sich Semler. Die in dieser Zeit populären "Atomkraft Nein Danke"-Buttons waren für sie "Brokdorf-Broschen", die die Parkas von "Öko-Proleten" noch unansehnlicher machten. Brokdorf oder gar Nato-Doppelbeschluss, so etwas fand in der Popper-Welt nicht statt.
Kommentare
Wenn ich das so lese
.. beschleicht mich der Verdacht, dass Frau Brandt mehr unter den Möchtegern-Poppern war, also die sie kopierten und dann später genauso weiter kopierten, was aus deren Sicht wahrscheinlich elitär sein muss.
Ich erinnere mich
5. Klasse. Aus der Parallelklasse kam ein Freund, der Frank mit einer neuen Frisur (Elbtunnel). Ich sofort: "Tolle Frisur." Frank: "Ja, da musst Du da und da hingehen und einfach sagen, dass Du einen Popperschnitt haben möchtest." Gesagt getan. Drei Tage später hatte ich auch meinen Popperschnitt. Wobei mir die Gruppierung vollkommen hinten rum ging. Ich fand nur die Frisur extrem scharf. Und die Mädchen fanden mich "unglaublich" süß. Haaaaaaaaaa!!!!
Heute sind ALLE Popper!
Als ich begann, den Artikel zu lesen, dachte ich zunächst, er beschreibe die HEUTIGE Jugend in den Gymnasien. Doch nach wenigen Sekunden erinnerte ich mich, dass es ja einmal die "Popper" gab.
Die sogenannten "Popper" waren m.E. die Vorhut der Durchschnittsjugend von heute, oder besser: von dem, was die heutigen Jugendlichen sein möchten. Ich unterrichte in einer Montessori-Schule und sehe wie das teure iPhone, die schicken Schühchen, der elterliche Abhol-Groß-Porsche, etc. von Eltern wie von Schülern täglich zur Schau gestellt werden. Jeglicher Gedanke an soziale Gerechtigkeit, internem Konkurrenzkampf, Verschwendung, etc. fehlt völlig. Es ist eine Jugend die dem Kapitalismus mit Haut und Haaren ergeben ist. Es sind Popper, die den Mainstream darstellen und es gibt weder Friedensaktivisten, Rocker, engagierte Linke oder ganz einfach "Denkende", die sie als Gegengruppe kritisieren würden. Kritik findet allenfalls als Neidgefühl statt.
Dabei bräuchten wir den Gegenbewegung zu den "Poppern" viel mehr als in den Achzigern. Der allgemeinen Gehirnwäsche des Konsums und allem, was damit zusammen hängt, scheint anscheinend niemand mehr zu entkommen.
Popper als Equivalent zur heutigen...
...Dorf-Abitur-Jugend. Der Unterscheid zu den späten 70ern und 80ern ist: Es gibt (noch!) keinen Gegebenpart. Das wird sich jedoch bald ändern. In einer Zeit, wo jeder Abitur hat und/oder ein abgeschlossenes Studium werden bald Menschen entgegentreten, die WIRKLICH arbeiten und Leistung bringen.
Eine Zeit, die auf jeden Baurbeiter-Gesellen 2 BWL-Studenten/Manager hervorbringt, wird wesentliche Veränderungen nach sich ziehen...
Children of the 80s
Einerseits ätzend, andererseits: its better to cry in a taxi than in a bus.
Das gegen die Eltern nicht rebelliert wird finde ich am interessantesten. Sonst unterstellen immer alle, Eltern die viel Arbeiten und viel Geld haben vernachlässigen ihre Kinder.