ZEIT ONLINE: Herr Wendler, Sie arbeiten und leben mitten in Hamburg, auf St. Pauli. Warum sind Sie rausgefahren in den Landkreis Harburg, um einen Film über die Flüchtlingssituation zu drehen?
Wendler: Wir, also mein Kompagnon Carsten Rau und ich, haben festgestellt, dass die Berichterstattung zu diesem Thema oft einseitig ist: Entweder sie konzentriert sich auf kleine, urbane Räume oder auf ländliche Gegenden im Osten, in denen die NPD besonders stark ist. Dem wollten wir ein Stück Normalität entgegensetzen und uns anschauen, wie mit Flüchtlingen in der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft umgegangen wird.
ZEIT ONLINE: Und dafür steht der Landkreis Harburg südlich von Hamburg?
Wendler: Ja, auf jeden Fall. In unserem Film tauchen viele Menschen auf, die für die etwa 81 Millionen Menschen in Deutschland sehr viel eher stehen, als es Konflikte in Städten widerspiegeln könnten.
ZEIT ONLINE: Einer der beiden zentralen Handlungsorte ihrer Doku "Willkommen auf Deutsch" ist Tespe, eine 4.000-Einwohner-Gemeinde in der Elbmarsch. Wie sind Sie auf diesen Ort gekommen?
Wendler: Das hatte viel mit Zufall zu tun. Über Carstens Schwiegermutter haben wir von einer tschetschenischen Familie erfahren, die in Tespe in einer ehemaligen Sparkasse untergekommen ist. Eine Mutter mit sechs Kindern. Die Familie musste ständig befürchten, abgeschoben zu werden. Diese Geschichte hat uns so stark berührt, dass wir gesagt haben: Ok, damit wollen wir einsteigen.
ZEIT ONLINE: Sie haben die Familie dann ein Jahr lang dabei begleitet, wie sie versucht, sich in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen. Wie war der erste Kontakt?
Wendler: Die Mutter und ihre Kinder waren wahnsinnig nett, aber auch misstrauisch. Schließlich haben sie in ihrer Heimat und auf der Flucht grauenhafte Dinge erlebt. Erst nach und nach haben wir ihr Vertrauen gewonnen und sie haben uns von den Anfeindungen erzählt, denen sie in Tespe ausgesetzt waren. Von Einwohnern, die die Straßenseite wechselten, wenn sie ihnen begegneten. Oder Jugendlichen, die nachts Knallkörper vor ihrem Haus zündeten, bis die kleinen Kinder der Familie weinten.
ZEIT ONLINE: In ihrem Film taucht aber auch eine sehr hilfsbereite Anwohnerin auf. Eine Seniorin, die zu Besuch kommt und mit den Kindern Deutsch lernt.
Wendler: Richtig. Und darüber waren wir sehr glücklich. Diese 80-jährige Dame kümmert sich auf einem ganz normalen menschlichen Niveau um die Familie aus Tschetschenien. Daran sieht man unserer Meinung nach auch, dass es nicht immer darum geht, auf einen Schlag die Welt zu retten. Man kann auch erst mal anfangen, ganz normal miteinander zu kommunizieren. Dann finden sich schon Wege.
ZEIT ONLINE: Neben Tespe handelt ihr Film von Appel, in dessen Zentrum rund 250 Menschen leben. Warum dieser zweite Schauplatz?
Wendler: Weil wir in Appel von Anfang an dokumentieren konnten, wie sich so eine Diskussion in einem Dorf entwickelt. Der Landkreis hatte damals den Plan, hier in einem ehemaligen Pflegeheim 53 Flüchtlinge unterzubringen. Damit waren die Bewohner Appels gar nicht einverstanden und haben sich zusammengeschlossen.
ZEIT ONLINE: Eine Bürgerinitiative ist aber jetzt nicht unbedingt nur ein ländliches Phänomen, das kennen wir aus der Hamburger Innenstadt auch.
Wendler: Das schon. Aber in kleinen Orten wie Appel werden solche Konflikte trotzdem viel direkter ausgetragen. In den meisten Städten gibt es zahlreiche Aktivisten, die sich für Flüchtlinge einsetzen, aber eben auch eine große Anonymität. Wenn Stadtbewohner nicht gerade zufällig neben einem Platz wohnen, auf dem Flüchtlingscontainer stehen, kommen sie selten mit dem Thema in Kontakt.
Kommentare
Zum Thema rassistische Vorurteile..
Der Vorwurf von Rassismus ist ja bekanntlich ein recht schwerwiegender. Dem Rassismusvorwurf gegenüber dem Einwohner, der behauptet, die Mütter könnten aufgrund der Flüchtlinge ihre Töchter nicht mehr alleine auf die Straße lassen, könnte man noch folgende Information anfügen: Ein pensionierter evangelischer Pfarrer hatte kürzlich vorgeschlagen, den Flüchtlingen Prostituierte zu spendieren (siehe http://www.merkur-online....), da die Bewohner seines Dorfes befürchten, den zum überwiegenden Teil männlichen Flüchtlingen könnten sonst die Hormone durchgehen. Der hier zitierte Einwohner scheint mit seiner Befürchtung also nicht ganz alleine dazustehen. Wer unbedingt möchte, sollte hier also lieber Sexismus rufen, aber letztendlich helfen diese Urteile niemandem. Ich kann Leute, die skeptisch gegenüber Flüchtlingsheimen in ihrem Dorf sind, durchaus verstehen. Das man Flüchtlingen helfen sollte, ist klar, das würde aber am besten funktionieren, wenn man sie gleichmäßig aufteilt und nicht in großen Gruppen in Heime sperrt, wo sie zu einem Leben in einer Parallelgesellschaft verdammt werden anstatt ihnen eine Integration zu ermöglichen.
Aha..
"Der hier zitierte Einwohner scheint mit seiner Befürchtung also nicht ganz alleine dazustehen."
Weil irgend so ein dahergelaufener Altpfarrer (die ja landläufig als progressiv und weltoffen bekannt sind.. /s) genau den gleichen rassistischen Ausfall auskotzt, wie der Appeler, ist das jetzt wahr..?
Die Menge an Idioten, die einer Geschichte Glaube schenken, hat noch nie etwas über ihren Wahrheitsgehalt ausgesagt.
Vom Stammtisch in die Öffentlichkeit
guter Vorschlag; aber es muss auch akzeptiert werden, das der ganz normale Bürger nicht seine Meinung, seine Bedenken und Sorgen, vorher ein Fachanwalt darauf überprüfen muss, ob die rassistisch sein könnten oder sind. Die Nazi-Keule wird doch schon geschwungen, bevor eine Meinung ausgesprochen ist. Mit diesem, auch medialen, Verhalten, ist die Thematik den Stamm-u. Wohnzimmertischen überlassen worden. Mehr Flüchtlinge in den ländlichen Raum, in so kleinen Gruppen wie geschildert, könnte sinnvoller sein; zumal dss auch mehr der Herkunft der Flüchtlinge entspräche. In der Anonymität der Großstädte ist eine Integration m.E. schwieriger und die Verlockung zur Kriminalität bedeutend höher.
Hm .. Nachtrag ...
wie ist das eigentlich ...
Wenn die Ehefrau dieses Mannes in das Krankenhaus muss und der Mann ein Bedürfnis hat - vergewaltigt er dann die blonde Dorfschönheit?
Wie geht das Dorf damit um?
Welche blasierten Ämter kommen denn bitte auf die Idee,...
in einem 250 Einwohner-Dorf (oder Zentrum einer Einheitsgemeinde) über 50 Flüchtlinge anzusiedeln?
Das ist ein schlagartiger Bevölkerungszuwachs von 25%! So ein Plan ist doch von vonherein auf Konfontation und Scheitern angelegt. -> HH soll ja auch nicht auf einen Schlag 450 000 Menschen aufnehmen.
Insgesamt ist die Fragestellung von Seiten ZON 's viel zu eng gefasst: Natürlich müssen die Flüchtlinge "irgendwo" hin, allerdings mit einem Konzept! Und nicht mit Überforderung der Aufnahmegemeinde!
Man könnte fast meinen, dass hinter solchen Aktionen System steckt, um Stimmung gegen Asylbewerber zu machen.
Wenn "hier und dort" einige Menschen untergebracht werden verursacht dies bestimmt weniger Probleme, als wenn man diese "kaserniert" in einer Sammelunterkunft einquatiert.
Von der oft fehlenden Betreung mal ganz zu schweigen...