Auch Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen dürfen unter bestimmten Umständen für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt (1 AZR 179/11, 1 AZR 611/11) und erklärte damit das strikte Streikverbot im Kirchenrecht für ungültig. Die Sonderrechte der Kirchen ließ das Gericht aber unangetastet.
Vor Gericht ging es um einen Streit zwischen den Gewerkschaften ver.di und Marburger Bund auf der einen Seite und den kirchlichen Arbeitgebern auf der anderen. Die Gewerkschaften hatten 2009 zu Streiks in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie in einem Krankenhaus in Hamburg aufgerufen, um die kirchlichen Einrichtungen zu regulären Tarifabschlüssen zu zwingen.
Ausgeschlossen bleiben nach dem Urteil jedoch Arbeitskämpfe innerhalb des sogenannten Dritten Weges im Kirchenrecht, nach dem in paritätisch besetzten Kommissionen die Arbeitsbedingungen ausgehandelt werden. Die Gewerkschaften müssen dabei mit eingebunden werden. Die Möglichkeit, in der Arbeitsrechtlichen Kommission mitzuarbeiten, hatten sie auch schon zuvor. Allerdings hatten die Gewerkschaften diese verlassen.
Kirchliche Sonderrechte bleiben bestehen
Die obersten Arbeitsrichter bestätigten zugleich das verfassungsmäßig garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, womit diese ihre Angelegenheiten selbst regeln dürfen. Jedoch dürfe dieses nicht zu einem rechtsfreien Raum führen. Auch die Interessen der Gewerkschaften müssten berücksichtigt werden.
Die Kirchen sind der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Sie haben zahlreiche Sonderrechte aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Sonderrolle und dem Selbstbestimmungsrecht als Religionsgemeinschaft. Geregelt sind diese Sonderrechte in Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung . Die Gesetze sehen vor, dass kirchliche Arbeitgeber ihre Angelegenheiten selbständig ordnen – ohne Einmischung des Staates.
Kirchenjuristen unterscheiden zwischen dem ersten Weg (der nur selten angewandt wird), dem zweiten Weg und dem dritten Weg. Beim ersten diktiert der Arbeitgeber Kirche allein die Arbeitsbedingungen. Beim zweiten verhandeln Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände miteinander – das Ergebnis wird in Tarifverträgen festgeschrieben. Der dritte Weg ist ein Kompromiss zwischen beiden Lösungen: Er sieht unter Berufung auf die kirchlichen Sonderrechte vor, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam in einer paritätisch besetzten Dienstgemeinschaft über Löhne und Gehälter, Arbeitszeiten und sonstige Fragen zu den Arbeitsbedingungen verhandeln.
Kommentare
Ich formuliere...
... schon einmal einen Standard-Kommentar vor:
"Es wird aber auch Zeit, dass dieser veralteten Institution in ihrer Selbstherrlichkeit die Grenzen aufgezeigt werden. Die verknöcherte Kirche passt nicht mehr in unsere moderne Epoche.
Warum haben die überhaupt noch Sonderrechte und werden dazu auch noch mit Steuergeldern finanziert? Das ist der eigentliche Skandal. Eine aufgeklärte Gesellschaft hat wertneutral zu sein."
Man darf sich gerne mit Copy & Paste bedienen. Spart Lebenszeit und Erregungswerte. Differenzierter dürfte es an dieser Stelle ohnehin nicht werden.
Differenzierter dürfte es nicht werden...
wohl ähnlich differenziert wie Ihre Sicht der (verfassungsrechtlich durchaus legitimen) Kritik an den Sonderrechten der Kirche im ARBEITSrecht.
Wie Sie da bereits jeden möglichen Einwand pauschal ins Groteske überzeichnen ("Selbstherrlichkeit", "verknöchert" etc.) und damit zu entwerten versuchen, das ist schon ein klarer Beweis dafür, wie intensiv Sie sich mit dem komplizierten Dualismus der Freiheit des Arbeitskampfes (Art. 9 GG) und der Eigenständigkeit der Kirchen (Art. 140) auseinander gesetzt haben...
Kein Interesse am Streik
Nun freuen sich die KommentatorInnen bestimmt wieder, sich über die Kirche aufzuregen.
Die evangelische Kirche ist mein Arbeitgeber (aber weder KiTA noch Krankenhaus) und ich bin völlig zufrieden mit der Bezahlung, den Arbeitsbedingungen und dem kollegialen Umgang miteinander. Als ich vor einigen Jahren (und genügend Vorerfahrungen in der sog. freien Wirtschaft) bei Kirche angefangen habe, war ich erstaunt über die großzügigen Sozialleistungen. Für mich wird da wieder hektisch das grunzende rosa Tierchen durch die Gassen getrieben... oder ist es der Neid der Gewerkschaften über zufriedene ArbeitnehmerInnen... weil nicht organisiert... die sich gerne an ihren Arbeitsplatz begeben? Oder ist Zufriedenheit viel zu altmodisch? Persönlich bin ich sehr glücklich bei meinem AG und dank unbefristetem Vertrag (direkt nach Probezeit) kann ich mir auch noch gut vorstellen die nächsten 23 Jahre dort zu arbeiten.
Lächerlich
"... und dank unbefristetem Vertrag (direkt nach Probezeit) kann ich mir auch noch gut vorstellen die nächsten 23 Jahre dort zu arbeiten."
So zufrieden kann man nur sein, wenn man bereits 23 Jahre für die Kirche arbeitet. Da müssen Sie aber nicht in der Kirche sein, das gilt auch für langjährige Mitarbeiter in der freien Wirtschaft.
Ein Bekannter von mir arbeitet seit Jahren als Sozialarbeiter in einem Fortbildungswerk. Von einem unbefristeten Arbeitsvertrag träumt der vielleicht nachts.
Die Kirchen sind so verlogen, dass sie vom Jobcenter gestellte 1-Euro-Jobber auch dann nehmen, wenn sie ohne Konfession sind. Vorgeblich, um ihnen eine "Chance" zu geben, sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Nach Ausbeutung dieser ´Praktikanten´ wollen sie aber von einer Festanstellung nichts mehr wissen.
Die Kirchen schrecken selbst vor einer Ausbeutung ihrer Auszubildenden nicht zurück. An meinem Wohnort gibt es zwei grössere Krankenhäuser, ein kommunales und einen evangelischen Hochstift. In Letzterem verdienen die Azubis der Gesundheits- und Krankenpflege ein Drittel weniger als nach einem normalen Tarifvertrag der Gewerkschaften.
Das probiere ich mal.
Es wird aber auch Zeit, dass dieser veralteten Institution in ihrer Selbstherrlichkeit die Grenzen aufgezeigt werden. Die verknöcherte Kirche passt nicht mehr in unsere moderne Epoche.
Warum haben die überhaupt noch Sonderrechte und werden dazu auch noch mit Steuergeldern finanziert? Das ist der eigentliche Skandal. Eine aufgeklärte Gesellschaft hat wertneutral zu sein.
Klappt ganz gut :)
PS: Nicht die Kirchen sind hier das Problem, sondern der schädliche Zeitgeist, der die soziale Arbeit als unwichtig und nicht förderwürdig hält. Daher gibts zu wenig Geld um fäir entlohnt zu werden und genügend Personal einzustellen.
Was bedeutet es wohl, dass augenblicklich die folgenden Beiträge
in Position 1 bzw. 7 auf ZeitOnline stehen?
ARBEITSRECHT
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