ZEIT ONLINE: Wenn man das Wort Stress hört, assoziiert man sofort den Job damit. Was meint der Begriff eigentlich?
Tim Hagemann: Stress bedeutet durch eine Bedrohung hervorgerufene psychische und körperliche Anpassungsreaktion. Die Anfänge der Stressforschung fanden im Militär statt. Schon bei Soldaten im Ersten Weltkrieg wurden körperliche Reaktionen beobachtet, die heute als Stressreaktionen bekannt sind. Als Vater der Stressforschung gilt Hans Selye. Er hat Tiere in Bedrohungssituationen beobachtet und ihre körperlichen Reaktionen gemessen. Den Begriff verwendete er erstmals 1936 in einem Aufsatz in der Zeitung Nature . In den 1980er Jahren wurde der Begriff Stress als Managerkrankheit populär. Zu dieser Zeit fand er auch Einzug in die deutsche Arbeitsschutzgesetze. Heute ist man dazu übergegangen, von Belastung und Beanspruchung zu sprechen, weil der Begriff Stress nicht zwischen Ursache und Wirkung unterscheidet. Belastung meint eine Bedrohung von außen, die Stress hervorruft, Beanspruchung bezeichnet die Reaktionen innerhalb des Körpers.
ZEIT ONLINE: Was genau passiert bei Stress im Körper?
Hagemann: Stress entsteht, wenn eine Bedrohung von außen erfolgt und nicht genügend Ressourcen wahrgenommen werden, um diese zu bewältigen. Einfach ausgedrückt werden verschiedene Hormone im Gehirn freigesetzt, die bewirken, dass im Körper Adrenalin, Noradrenalin und Corticoide ausgeschüttet werden. Die Herzfrequenz und die Durchblutung steigt, Glukose wird freigesetzt, die Magendarmtätigkeit eingeschränkt und die Blutgerinnung beschleunigt. Durch das Kortison fährt auch das Immunsystem etwas herunter, um Energie zu sparen. Alle körperlichen Reaktionen sind auf eine Flucht- oder Kampfsituation ausgerichtet. Der Körper bereitet sich darauf vor, aktiv zu sein. In der modernen Arbeitswelt hat das Vor- und Nachteile: Durch die bessere Durchblutung können wir zwar besser denken und uns konzentrieren, aber wir haben auch einen Tunnelblick, der angesichts der komplexen Anforderungen im Joballtag zu Fehlern führen kann .
ZEIT ONLINE: Und wir können leichter erkranken .
Hagemann: Aber nur, wenn wir Dauerstress ausgesetzt sind und es nicht mehr schaffen, die Stresshormone abzubauen. Durch Bewegung kann man beispielsweise sehr gut Stress abbauen. Belastete Personen berichten, dass ihnen Ausdauersport gut tut. Schwimmen, Laufen, aber auch einfach nur Spaziergänge eignen sich dafür. Denn Stress ist nicht per se negativ und schädlich. Im Gegenteil, man kann täglich Stress haben, das ist kein Problem, solange Erholungsphasen folgen.
ZEIT ONLINE: Wann ist Stress negativ?
Hagemann: Wenn man mit einer Bedrohung konfrontiert ist und meint, sie nicht bewältigen zu können, weil man beispielsweise keine Zeit hat oder nicht die Kompetenzen. Dann entsteht Angst und Unsicherheit. Man beschäftigt sich permanent mit dem Problem und fühlt sich wie getrieben . Bei positivem Stress dagegen genießt man den Adrenalinkick und es stellt sich Zufriedenheit ein, wenn die Herausforderung gemeistert wurde. Dann tritt auch eine Phase der Erholung ein. Bei negativem Stress gibt es diese Erholungsphasen nicht mehr.
ZEIT ONLINE: Leiden verschiedene Berufsgruppen an unterschiedlichen Formen von Stress? Ein Fabrikarbeiter hat ja schließlich eine andere Belastung als ein Manager.
Hagemann: Dass Manager den größten Stress haben, ist ein Mythos. Empirisch ist schon lange belegt, dass beispielsweise Fabrikarbeiter stärker belastet sind. Denn Stress wird ja nicht nur durch eine Arbeitsanforderung, sondern auch durch äußere Reize aus der Umgebung verursacht: Lärm, Geruch, künstliches Licht, körperliche Beanspruchung. Hinzu kommt der fehlende Handlungsspielraum. Wer als Arbeiter an einer Maschine steht, kann nicht einfach den Arbeitsplatz verlassen. Noch stärker belastet sind Langzeitarbeitslose. Sie sind existenziell bedroht und empfinden ihre Situation als ausweglos. Führungskräfte hingegen haben zumeist einen recht großen Handlungsspielraum. Sie sind auch gesünder, das zeigt die Statistik. Arbeiter am Band haben statistisch gesehen mehr Herzinfarkte als Manager.
ZEIT ONLINE: Dennoch lässt sich Stress nicht in Werten messen.
Hagemann:
Das macht es auch so schwer, Stress im Arbeitsschutz zu regeln. Die gleiche Situation kann bei verschiedenen Mitarbeitern völlig unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. So gibt es Menschen, die sehr ausgeglichen sind, andere wiederum, sind sehr schnell gestresst. Und dann gibt es noch Adrenalinjunkies, die ganz bewusst die besonderen Herausforderungen suchen. Sie sind übrigens wenig gefährdet, an den Folgen von Stress zu erkranken.
Kommentare
Psychologen-Müll
Wahr ist:
Die Zunahme Psychischer Erkrankung aufgrund Lohndrückerei, Arbeitsüberforderung, Mobbing, Existenzangst usw. gerät völlig außer Kontrolle. Verschreibungspflichtige Psychopharmako sind der Renner. Beispiel Orchestermusiker: Mehr als 50 % aller können ihre Arbeit/Musik nur unter Einnahme starker Psychopharmaka nachgehen. Problem: Zeitverträge, Billig-Arbeitskräfte aus dem Osten, massivste Angststörungen usw usw.wie überall.
Wartezeiten von mehr als einem Jahr sind üblich für eine ambulante Psychotherapie.
Millionen Kinder (!) gehen erst in die Schule, nachdem sie Psychopharmaka eingenommen haben. Ursache: Leistungsdruck und Überforderung. Oder sie landen gleich bei deb Drogen, Komasaufen etc. All das weiß dieser [...] Hagemann. Er sagt: "Täglicher Stress ist kein Problem".
[...]
Bitte äußern Sie Kritik an Artikeln oder Autoren sachlich. Danke, die Redaktion/fk.
lol ueber
wie waers mal damit, text zu lesen, bevor du ihn kommentierst? ;-)
1. Psychologen-Müll? teil 1
Halten Sie Ihren Kommentar nicht selbst für gegenstandslos?
("Millionen Kinder (!) gehen erst in die Schule, nachdem sie Psychopharmaka eingenommen haben. Ursache: Leistungsdruck und Überforderung. Oder sie landen gleich bei deb Drogen, Komasaufen etc.")
Ich denke wenn Kinder bereits in der Schule überfordert sind, liegt das eher am privaten Umfeld und wie die Eltern mit Problembewältigung und "Stress" umgehen...
Vielleicht verwechseln sie Anforderung mit Überforderung?
Denn ja, die Schule fordert Leistungen - ebenso wie die Arbeitswelt, aber das wiederum sind Herausforderungen an denen man wachsen sollte...
Wenn sie die Schule als unzumutbare Überforderung sehen(so klingt zumindest Ihr Komment - bekomme ja fast den Eindruck, jedes Kind wäre Alkohol oder Drogenabhängig da es mit dem harten Schulleben nicht klarkommt), sollten Sie vielleicht nach alternativeren Lebensformen Ausschau halten. Schulen ohne Bewertung, Dörfer statt Städte... Ich denke einfach dass man Kindern ein gesundes Maß an Selbstvertrauen mitgeben sollte. Manche Dinge muss man sich eben durch Leistung erkämpfen - aber das als Stress zu betiteln halte ich an dieser Stelle für fraglich.
1. Psychologen-Müll Teil2
Sicherlich gibt es Kinder die vielleicht aufgrund psychischer Schwierigkeiten Psychopharmaka benötigen - ABER ist das nicht auch schneller und einfacher als sich mit den Problemen auseinanderzusetzen?? Es ist ein Leichtes zu sagen man ist überfordert, kommt mit Situation XY nicht klar - aber etwas am eigenen Verhalten ändern?
Wäre mal ein Anfang! Ebenfalls hat Komasaufen auch nicht viel mit Stress zutun..vielleicht in dieser Hinsicht mal ein paar jüngere Leute befragen...
Amüsant auch dass Sie der Satz "Täglicher Stress ist kein Problem" in Rage versetzt.
Ich lebe in einer 7,5 Millionen Stadt - und glauben Sie mir, ich habe MÄCHTIG Stress! Aber dennoch liegt es (offensichtlich) auch an mir und wie ich meinen Arbeitsalltag manage...
Wie gehen Sie mit Stress um?
@Christygoe und alle anderen: Wie gehen Sie denn mit Stress um? Wann und wie lässt sich beruflicher Stress reduzieren, welche Rolle spielen Führungskräfte? Ich bin gespannt auf Ihre Hinweise!
Tina Groll, Redakteurin Karriere
@Tina Groll
Tja, wie gehe ich damit um - manchmal besser und wenn ich es schlechter gestalte, spüre ich es. Ich habe sehr früh nach der Geburt des ersten Kindes wieder voll im Beruf angefangen, mehrmals danach zur Verbesserung den Arbeitsplatz gewechselt und das alles mit Kindern und Kita ohne weitere Hilfen von Aussen. Als ich noch Auto fuhr, kamen irgendwann Hochdruck-Probleme in mein Leben, von denen ich nicht ahnte, dass mich etwas in der Richtung treffen könnte. Danach Schlafstörungen und noch einiges mehr, das einen schlechten Weg andeutete. Nach einigen Untersuchungen zeigte sich, dass es ein Stresshochdruck ist, der mit Bewegung massiv verringert werden kann.
Und seitdem fahre ich innerhalb der Stadt alle Wege per Rad, gleichgültig wie das Wetter ist, habe eine Sammlung Regenmäntel zugelegt, weil ich modisch Regenkleidung meist hässlich fand und der Hochdruck ist weg. Nebenbei schwimme ich noch mit den Kindern zweimal pro Woche abends und wir laufen an den anderen Tagen jeweils mindestens eine halbe Stunde am Abend.
Damit habe ich alle gesundheitlichen Probleme vom Tisch und kann dem täglichen Stress recht gelassen entgegensehen.
Ausserdem habe ich gelernt, dass dreckige Fenster kein Grund zum Aufregen sind und genieße so oft es geht die Abende ganz ohne Fernsehen und statt dessen mit kleinen Kreativgeschichten, die ein Gegengewicht zum Beruf darstellen.
So geht es mir seit Jahren sehr gut.