Was ist bei der Sozialauswahl eigentlich entscheidender: Lebensalter oder Unterhaltspflichten?, fragt Sandra Melchand.
Sehr geehrte Frau Melchand,
bei betriebsbedingten Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetzt unterfallen, muss eine Sozialauswahl getroffen werden. Die dann ermittelten Sozialdaten müssen gegeneinander abgewogen werden. Nach dem Wortlaut hat der Arbeitgeber entsprechend § 1 Absatz 3 KSchG die sozialen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Er hat also nicht die freie Wahl, wen er entlässt. Die Sozialauswahl soll sicherstellen, dass nur die Mitarbeiter entlassen werden, die nach sozialen Kriterien den geringsten Schutz brauchen.
Alle Mitarbeiter, die vergleichbar sind, müssen in die Sozialauswahl einbezogen werden. Entscheidend für die Vergleichbarkeit ist, ob der Arbeitgeber kraft seines Weisungsrechts berechtigt ist, den Arbeitnehmer auch mit den Aufgaben des anderen Arbeitnehmers zu betrauen. Dabei können die Beschreibung der Stelle im Arbeitsvertrag, die tarifliche Eingruppierung sowie die Tätigkeits- und Aufgabenbereiche Anhaltspunkte geben. Innerhalb dieser Gruppe muss der Arbeitgeber dann die Auswahl vornehmen. Dazu stehen ihm folgende Grundkriterien zur Verfügung ( § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ): Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung und Unterhaltspflichten.
Keinem der im Gesetz genannten vier Kriterien kommt vom Grundsatz her die größte Bedeutung zu. Theoretisch gibt es für die Gewichtung dieser Punkte keinen verbindlichen Bewertungsmaßstab. Das Landesarbeitsgericht Köln hat allerdings aktuell in einem Urteil ( Az.: 4 Sa 1122/10 ) entschieden, dass ein höheres Lebensalter entscheidender sein kann als eine Unterhaltspflicht.
Ein Unternehmen legte zwei Abteilungen zusammen, sodass eine Führungsposition überflüssig wurde. Beide Mitarbeiter waren zwar gleich lang in dem Betrieb beschäftigt, der eine allerdings 35 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Kinder. Der andere 53 Jahre alt, ebenfalls verheiratet, aber kinderlos. Der Arbeitgeber entschied sich für den älteren Mitarbeiter. Dieser nahm die Kündigung jedoch nicht hin und klagte erfolgreich vor Gericht.
Die Richter des Landesarbeitsgerichts Köln bewerten zwar die vier Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung und Unterhaltspflichten grundsätzlich gleichrangig und räumen Arbeitgebern auch den Wertungsspielraum ein. Dennoch ist für sie nicht jede Auswahlentscheidung des Arbeitgebers hinzunehmen.
So schätzten sie für den 53 Jahre alten Mitarbeiter die Chancen auf dem Arbeitsmarkt wesentlich schlechter ein als für den deutlich jüngeren Arbeitnehmer. Und da die 35 Jahre alte Führungskraft zudem über eine gute Qualifikation und entsprechender Berufserfahrung verfügt, kann angenommen werden, dass er innerhalb der Kündigungsfrist eine neue Anstellung finden wird. Die Gefahr, dass er seinen Unterhaltspflichten nicht nachkommen kann, ist also geringer als die Arbeitslosigkeit des älteren Kollegen.
Was lernen wir daraus? Das Arbeitsrecht kennt viele Einzelfallentscheidungen!
Ihr Ulf Weigelt
Kommentare
Wer wird zuerst entlassen???
Der Ältere - erfahrene Mitarbeiter, weil etwas Teurer, wird gegen den Leih- Zeitarbeiter getauscht. Trotz der Lüge vom "Fachkräftemangel" spart der Arbeitgeber ein par Euro an seinem höchsten Gut.
Der Überqualifizierte - Dito
Der Universitäts Absolvent - wenn er sich nicht auf Bedingungen einlässt mit denen er seinen Lebensunterhalt nicht begleichen kann.
Der Auszubildende - wird nicht übernommen weit seine Arbeitskraft nach bestandener Prüfung zu Teuer ist.
Das ist die gewollte Politik der Bundesregierung unter Merkel und Von der Leien. Keine Mindestlöhne wie im Rest Europas sondern Billig Jobs. Facharbeiter aus dem Ausland sollen es nach "Rösler und Konsorten" jetzt richten, zu Tarifen die weit unterhalb der Gürtellinie liegen.
Diese Politik, wenn wir davon ausgehen das wir selbst genug Potential gut ausgebildeter "Alte und Hochschul Absolventen, nicht zuletzt Facharbeiter" haben kann man nur als "Idiotie" bezeichnen.
Verkehrte Welt....
Ein Unternehmen, das Mitarbeiter entlässt tut dies, weil es das muss!
Die Gründe mögen vielfältig und manchenfalls auch selbstsüchtig sein, aber kein Unternehmen wird einen Betriebszweig zumachen, der funktioniert, also profitabel ist - vulgo Geld einbringt!
Diesem Artikel (aber auch anderen) ist nun zu entnehmen, dass möglichst die Mitarbeiter zu entlassen sind, die wahrscheinlich schnell wieder einen Arbeitsplatz finden.
Das werden sicherlich diejenigen sein, die in der jeweiligen Branche besonders qualifiziert, engagiert und räumlich flexibel sind.
Das Unternehmen muss/soll sich also bevorzugt von seinen Leistungsträgern trennen und mit den Mitarbeitern die besonders hohe Werte in den Bereichen Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung und Unterhaltspflichten haben, versuchen aus der Talsohle zu kommen.
Gleichzeitig sind die besten Mitarbeiter zur Konkurrenz abgewandert.
Unter Strich sorgt diese Vorgehensweise dafür, dass die qualifizierten Mitarbeiter ein Gehalt bekommen und die anderen mit ihren Unternehmen untergehen!
Aber auf diese Art kann man immer moralisch und gesellschaftlich korrekt sagen
"Wir haben die Schwachen in Schutz genommen!"
Das ist so, als wenn man bei einem Schiffsunglück, die Passagiere, die nicht paddeln können in ein Rettungsboot setzt und die, die paddeln könnten, über Bord wirft, da sie es auch so zur nächsten Insel schaffen.
gruß
schulte
Interessant
Es ist interessant, wie Sie hier recht fantasievoll hinein interpretieren. Sie behaupten, dass Unternehmen sich nicht von profitablen Geschäftszweigen trennen. Das ist grundsätzlich Unsinn. Ich kann ihnen eine ganze Reihe von Unternehmen nennen, die sich entweder von profitablen Zweigen trennen, weil sie nicht mehr ins Portfolio passen oder weil man Kapital für anderes braucht oder weil es schlich Missmanagement ist, der einen Zweig hie unprofitabel macht, der drüben aber profitabel ist. Ihre Interpretation ist also sehr einseitig.
Sie sind interpretieren ebenfalls einseitig, in dem Sie einfach unterstellen, dass der Familienvater der Leistungsträger sei und unterstellen dem Älteren, dass er dies nicht sei und das vor dem Hintergrund der Entlassung des Einen sogar in einem existenzbedrohlichen Ausmaß. Das beinhaltet einerseits sehr eindrucksvoll ein Vorurteil gegenüber älteren Arbeitnehmern, andererseits ist es Ausdruck einer Masche, die viele Unternehmer an den Tag legen (zum Glück nicht alle, es gibt auch verantwortungsvolle, die weiter denken als bis zum nächsten Quartalsbericht): Nämlich keine langfristige Verantwortung zu übernehmen und ein Sicherheitsnetz immer nur für sich selbst zu fordern, nie aber für die eigenen Arbeitnehmer zu denken.
Kann für das Unternehmen nachteilig sein.
Was, wenn die Firma aufgrund des Sozialplanes den unfähigsten, schlechtesten, faulsten Arbeitnehmer behalten muss, den sie eigentlich als allerersten loswerden will? Kann doch nicht sein, dass ich als Firma in dem Fall die besseren Leute feuern muss.
Nicht nachzuvollziehen
@Berlin Wedding: Doch kann ganz genau so sein. Das Kündigungsschutzgesetz fragt nicht nach Leistung, sondern nach den genannten Kriterien.
Zum Text: Die Entscheidung des LAG Köln ist ja Haarsträubend. Da ist ein junger Familienvater von 2 Kindern (die ohne Zweifel ne Menge Geld kosten) und der muß seinen Platz räumen, für jemanden, der keine Kinder hat. Was ist denn, wenn er trotz Auffassung des LAG keinen Job findet (oder vermittelt ihm das LAG einen?) und dann seinen Nachwuchs von HARTZ IV groß ziehen muß.
Ich bin selbst kinderlos, aber so herzlos eine solches Urteil zu fällen, wäre nicht mal ich.
§ 1 Abs. 3 Satz 2 Kündigungsschutzgesetz [@ # 3 und 4]
So ganz Unrecht hat "Berlin Wedding" nicht. Das KSchG erlaubt es, die Leistungsträger aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Auch dem Gesetzgeber ist klar, dass allein mit den schützenswerten Mitarbeitern der Fortbestand des Unternehmens nicht in jedem Fall zu sicher sein wird. Vgl.: § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG:
"In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt."
Diesen Gedanken vermisse ich in den Ausführungen von Ulf Weigelt, aber vielleicht gelten für den geschilderten Fall sonst gleiche Bedingungen. Man sollte aber stets daran denken, dass ein Unternehmen der Wertschöpfung dient. Wenn die versiegt, gibt es bald kein Unternehmen mehr und damit gar auch keine Arbeitnehmereinkommen.