Mühsam versuchen die Berufsverbände, den Weiterbildungswahn einzudämmen. Branchenvertreter halten die Anforderungsprofile vieler Stellenausschreibungen für überzogen. Es sei "schon sehr absurd", was selbst Anbieter von Teilzeit- und Minijobs verlangen, sagt Andrea Heinks vom ZVK. Sie rät Berufsanfängern, zunächst einmal in einer Praxis "Fuß zu fassen". Bevor sie Kurse für mehrere Tausend Euro buchen, sollten die Therapeuten "gut überlegen, ob sich das rentiert".
Parallel arbeiten die Verbände an einer Reform der Ausbildung, die wirklich fit macht für den Arbeitsmarkt. "Die Akademisierung ist unser Ziel, weil die Therapie Kompetenzen fordert, die die berufsfachschulische Ausbildung nicht vermittelt", sagt Heinks. Bisher ist der Anteil der Physiotherapeuten mit Studienabschluss mit etwa 200 pro Jahr verschwindend gering. Zudem versuchen die Physiotherapeuten, ihren Berufsstand gegenüber den Ärzten aufzuwerten. Statt nur Verordnungen auszuführen, wollen sie auch selbst Diagnosen stellen. Denn dafür könnte es bald mehr Geld geben.
Kampf um mehr Rechte gegenüber Ärzten
In Schottland oder den Niederlanden diagnostizieren Therapeuten seit Langem, in Deutschland ist dies ein Monopol der Mediziner. Sobald ein Patient auf der Behandlungspritsche über neue Schmerzen klagt, muss der Therapeut abbrechen und ihn zum Arzt schicken. "Wir kämpfen seit Jahren um den Direktzugang zum Patienten", sagt Heinks. "Nicht um dem Arzt die Verantwortung zu nehmen, sondern um Patienten schneller und direkter behandeln zu können." Doch bisher ohne Erfolg. Wer es sich leisten kann, macht deshalb den Heilpraktikerschein – eine teure und harte Ausbildung. Nach bestandener Prüfung darf man selbst diagnostizieren, allerdings nur Privatpatienten.
Hinzu kommt: Die Einnahmen der Physio-Branche steigen maximal zwei Prozent im Jahr – für Ärzte gilt die Grenze dagegen nicht. "Unter Physiotherapeuten wird verteilt, was die Ärzte übrig lassen", klagt ein Verbandsfunktionär. Die Therapeuten kämpften bisher vergeblich: Angestrebte Schiedsverfahren mit Kassen und dem Gesundheitsministerium scheiterten bisher an der Zersplitterung der Branche. Eine Unterschriften-Aktion blieb ohne Folgen. Die Politik verweist darauf, dass die Einnahmen der Heilberufsbranche bereits dadurch steigen, weil Ärzte demografisch bedingt immer mehr physische Leiden diagnostizieren. Und hält die Kasse zu.
Den Hauptgrund für die ministerielle Blockade hat die Branche bereits erkannt: "Es gibt einfach zu viele Physiotherapeuten", sagt Hans Orthmann vom VPT Bayern. "Der Run ist ungebrochen." Viele der fast 7.000 jährlichen Absolventen schlagen sich als Freiberufler oder in Teilzeit durch. Ärzte gibt es dagegen zu wenige, vor allem auf dem Land. Ihnen gilt die Aufmerksamkeit der Gesundheitspolitik.
Anna Wachler zieht ihre Konsequenzen
Und so müssen die Therapeuten zusehen, wie die Kassen ihre jüngst aufgelaufenen Milliardenüberschüsse an die Versicherten rückerstatten – veranlasst durch Druck der Politik. Die Therapeuten gingen leer aus. "Statt endlich die Heilberufe zu stärken, macht sich die Gesundheitspolitik zum Anwalt der Kassen", klagt Verbandsfunktionär Dudda.
Aus dieser unkomfortablen Lage hat Anna Wachler ihre Konsequenz gezogen. Seit die 20-Jährige ihre Ausbildung an einer privaten Dresdner Schule abschloss, studiert sie drei Tage pro Woche in Fulda Gesundheitsmanagement, um einen akademischen Abschluss zu erhalten. Sie überlegt, nebenher zu arbeiten oder sich auch noch zum Rückenschullehrer ausbilden zu lassen. "Sofern ich einen Bildungsgutschein von der Arbeitsagentur bekomme", sagt sie. Denn die jüngere Generation der Absolventen sieht die Gepflogenheiten der Branche durchaus kritisch: "Wie soll ich denn das Geld für eine Weiterbildung zusammenbekommen, wenn ich in meinem erworbenen Beruf keinen Job finde?"
Kommentare
Danke!!!
Längst überfälliger Bericht zur Selbstausbeutung der Physiotherapeuten in Deutschland. Danke!!! Ergänzend sollte aber noch angemerkt werden, dass nicht nur die Fortbildungsinstitute kritisch beleuchtet werden müssen, sondern ebenso die Berufsverbände, die über die ganzen letzten Jahre keine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation bei Physiotherapeuten erreicht haben. Die Krönung ist wohl kürzlich ein Bericht von der Vorsitzenden des ZVK (Zentralverband der Krankengymnasten) auf Bild.de gewesen, wo sie sich über "die 10 größten Fehler von Physiotherapeuten" auslässt!!! Schlimmer geht's nimmer, da fällt die Berufsverbandvorsitzende dem eigenen Berufsstand noch in den Rücken.
Daneben muss auch noch auf dubiose, wissenschaftlich nicht belegte Heilsversprechen wie Osteopathie verwiesen werden, die aktuell als Modewelle angesagt sind. Hier kassieren einige Physiotherapeuten (und auch Ärzte und Heilpraktiker) richtig ab - bis zu 120,00 Euro die Stunde.
Wenn es zuviele gibt...
...dann gibt es eben zuviele, dann muss sich das Verhältnis peu a peu wieder einrenken, um einen einschlägigen Begriff zu verwenden.
Wenn die Leute nicht beliebig Geld ausgeben wollen oder können, bleibt nur die Möglichkeit, dass diese Leistungen von den Krankenkassen bezahlt werden, oder das sonst eine Förderung stattfindet.
Die Krankenkassen können aber nicht beliebig Wohlbefinden finanzieren, sonst steigen die Lohnnebenkosten zu stark, oder man muss bei notwendigen Maßnahmen für Ältere sparen.
Die sonstige Förderung ist auch schon länger Realität, gemäß § 3 Nr. 34 EStG kann doch jeder Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern solche Leistungen bis 500 Euro im Jahr zusätzlich steuerfrei spendieren, einfach mal beim Arbeitgeber nachfragen.
Wohlbefinden
"Die Krankenkassen können aber nicht beliebig Wohlbefinden finanzieren",
darum geht es aber bei ernsthafter Physiotherapie nicht, sondern um die Verhinderung von Operationen, der Nachsorge oder der effektiven Prävention.
Letztlich wesentlich günstiger als die teure Gerätemedizin, es muss also eine Neuordnung des Gesundheitswesens in Deutschland stattfinden,
siehe hierzu:
http://www.zdf.de/ZDFmedi...
Es gibt zu wenig Therapeuten!
Ein wirklich sehr lesenswerter Artikel, der bis auf einen Punkt exakt zutrifft.
Es gibt nicht zu viele Therapeuten, sondern wir bilden nach wie vor unter Bedarf aus. Jedes Jahr werden ca.7% mehr Therapieeinheiten verschrieben, die dem demographischen Wandel und der steigenden Zahl der ambulanten Operationen geschuldet sind.
In einigen Regionen gibt es keine verfügbaren Arbeitskräfte für Therapiepraxen mehr.
Der Trend in die Selbständigkeit ist ungebrochen, da etliche Therapeuten sich ein höheres Einkommen als im Angestelltenverhältnis versprechen. Das ist aber meist trügerisch, da die Vergütungen der Therapeuten an die Grundlohnsumme gekoppelt sind. Und die ist in den letzten 20 Jahren im Schnitt um 0,2% pro Jahr (sic!) gestiegen.
Gut geschildert - und jetzt? Was lernen wir daraus?
Eine recht gute Schilderung der Situation, leider jedoch ideenlos, wie die Situation angegangen werden kann. Die enthaltenen Zitate der Verbände zeugen wiederholt von Ahnungslosigkeit. Anders ist das Hauptanliegen des ZVK (Akademisierung) nicht zu erklären, denn eine Lösung für die tausenden bestehenden Therapeuten wird damit nicht erreicht.