Kennen Sie ProQuote? Wenn
ja, sind Sie wahrscheinlich Journalist. Oder Sie haben davon gelesen, dass Ende Februar 2012 rund 350 Journalistinnen sich in einer Guerrilla-Aktion an die Chefredakteure und Verleger wandten. Sie forderten, mindestens 30 Prozent aller Führungspositionen bis in die Spitzen mit Frauen zu besetzen – binnen fünf Jahren. Seitdem wird über eine Quote im Journalismus gestritten.
Obwohl Anne Will, Sandra Maischberger und Sonia Mikich auch ProQuote unterstützen, kennen uns Fernsehzuschauer eher nicht. Dabei ist die Geschlechterverteilung an der Spitze der TV-Sender nur marginal besser als bei Print und Online: Gerade einmal zwei Prozent der Chefredakteurinnen deutscher Zeitungen sind Frauen. 18 Prozent sind es im Fernsehen, 22 Prozent bei den Online-Medien. Nicht mal jeder fünfte Chefredakteur ist also eine Frau: Das ist kein Zeichen aufgeklärter Meinungsmache, sondern öde Einfalt.
Tom Buhrow, der neue Mann an der Spitze des mächtigsten TV-Senders, des WDR – er hat übrigens eine der wenigen Intendantinnen abgelöst – hat jetzt einen echten Auftrag: Er muss die redaktionellen Spitzenposten – beim Fernsehen wie beim Radio – unbedingt auch an Frauen vergeben. Sonst erfüllt er nicht den öffentlich-rechtlichen Auftrag der Gleichstellung. Der ist allerdings eine biegsame Verpflichtung, keine starre Quote, wie wir sie fordern.
Keine starre Quote
In diesem Jahr hat ProQuote untersucht, wie sich die Anzahl der Frauen in den Führungspositionen bei den Leitmedien in Deutschland verändert hat. Und wir haben für Fortschritte, Rückschritte und Versprechungen Preise verliehen.
Der Negativpreis "Hasenherz" ging an SWR-Intendanten Peter Boudgoust, der nur Männer beförderte. Der Positivpreis "Hahn im Korb" ging an ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, weil er die Quote ankündigte und dann auch bis in die Chefredaktion durchsetzte.
Den "Trau-Dich-Frosch" bekommt FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, der sagte, er fände 30 Prozent Frauen in Führungspositionen "ja eher bescheiden". Im übrigen sei in seinem Haus "der Prozess wirklich im Gange", die Frauen rückten – langsam – nach.
Die FAZ hat den niedrigsten Frauenführungsanteil unter Deutschlands Leitmedien: 8,7 Prozent. Seit der ProQuote-Forderung ist sogar eine Ressortleiterin weggefallen, während das Fünf-Männer-Gremium an der Spitze der Zeitung unter sich blieb.
Es sind genug kompetente Frauen da
Der Fortschritt ist eine Schnecke. Auch in den aktualitätshungrigen Medien. Der stern etwa hatte sich auf die Forderung von ProQuote hin gleich 50 Prozent Frauen an der Spitze verordnet. Dann baute das Magazin alles um, die Chefredaktion, die Ressorts. Am Ende waren wieder nur ein Fünftel aller leitenden Redakteure Frauen. Immerhin eine durfte aber wirklich ans Ruder: stern.de hat neuerdings eine Chefin.
Andererseits machten sogar jene, die unsere Forderung laut ablehnten, es dann leise besser: Beim quotenskeptischen Spiegel lag der Frauenführungsanteil bei 15,4 Prozent, als die damalige Chefredaktion den Brief erhielt, unterschrieben von vielen eigenen Kolleginnen. Heute liegt er bei 24,1 Prozent beziehungsweise 27,6 Prozent – je nachdem, ob man leitende Redakteurinnen ohne Budget- und Personalverantwortung als Führungskräfte mitzählt.
Wir sind nicht zufrieden. Wir werden auch mit 30 Prozent vermutlich nicht zufrieden sein: An den Journalistenschulen sind über die Hälfte der Anfänger Anfängerinnen. Es sind längst genug kompetente Frauen da, um auch die Hälfte die Verantwortung zu übernehmen – für das, worüber Deutschland redet, streitet, staunt.
Dass das keine Vision ist, sondern auch bei Qualitätsmedien gut funktioniert, zeigt der öffentlich-rechtliche Hörfunk. Die Hälfte aller Chefredakteurinnen beim Radio sind Frauen. Und die senden täglich das volle Programm.
In eigener Sache: Nach Berechnung von ProQuote sind 42 Prozent der Führungspositionen bei ZEIT ONLINE mit Frauen besetzt.
Kommentare
Bitte verschont uns...
...mit dem Quotenmist. Wer qualifizierte Führungskräfte oder eben Journalisten möchte, sollte nicht auf Quoten setzen. Ansonsten bin ich das Thema so langsam leid!
ja, ist noch irgendwas ohne Quoten und Forderung?
[fehler]Um das ins Bild setzen zu können:
Mich würde interessieren, wieviele der Journalisten der genannten Medien insgesamt weiblich sind. Ich finde, die Information ist absolut nötig, denn wenn bei der FAZ auch nur 9 Prozent Frauen arbeiten würden, was ich nicht glaube, dann wär das ja schön repräsentativ.
Nicht ganz
Es ist interessant, wie viel Prozent der männlichen und weiblichen Bewerber auch geeignet für den Job sind.
Relevant ist am Ende jedoch nur, wer diesen Job am Besten macht.
Ob dies nun eine transsexuelle Person, ein Mann eine Frau oder ein Computer ist darf nicht relevant sein.
Eine Ergebnisquote a la "ProQuote" glaubt, dass bei jedem Führungsjob (komischer weise nicht bei Müllmännern) bei Bewerbern immer beliebig viele Frauen und Männer zur Verfügung stehen. Gleichwertigkeit von Frauen und Männern bedeutet jedoch nicht, dass das Interesse und die Qualifikation zwischen Männern und Frauen gleich sein muss.
*Sarkasmus on* Ich warte noch darauf, das im Schach eine Quote für Weltmeisterinnen eingeführt wird. *Sarkasmus off*
War ja eh klar...
... dass der erste Kommentar gleich negativ ist. Nehme an, der Kommentator ist ein Mann? Wenn es ohne Quote nicht geht (und ganz so sieht es aus in den meisten Redaktionen), dann muss sie eben her.
Bekenne mich schuldig im sinne der Anklage...
...ein mann zu sein.
Ob das Geschlechterverhältnis ausgeglichen ist muss sich, wie mein Folgeposter richtig schreibt, daran bemessen "wieviele der Journalisten der genannten Medien insgesamt weiblich sind". Das gilt auch für Konzerne, Parteien und alle anderen Einrichtungen, wo man sich über dieses Thema Gedanken macht. Wenn man das tut, ergibt sich z.B., dass in allen Parteien (außer der FDP) Frauen in der Führungsriege sogar überproportional vertreten sind (z:. CDU: 24,8 % Mitglieder insgesamt, 39,0 % im Vorstand).
http://wikimannia.org/Fra...
Leider wird das in solchen Diskussionen aber quasi nie berücksichtigt. Darüberhinaus muss man sich fragen ob selbst dann, wenn tatsächlich ein Ungleichgewicht bestehen sollte, eine Quote die richtige Lösung ist. Schließlich sollte die Qualifikation entscheiden, nicht das Geschlecht. Es fordert ja auch niemand Männerquoten im pädagogischen Bereich oder Männerstudiengänge bei den Geisteswissenschaften, weil das ja alles so frauenlastig ist. Wie immer also sehr einseitig das Ganze.
"Die Hälfte aller Chefredakteurinnen beim Radio sind Frauen. Und die senden täglich das volle Programm"
Soll ich mich jetzt darüber wundern? Wer will denn behaupten Frauen könnten journalistische Arbeit nicht leisten, wenn sie dafür ausgebildet wurden? Frauen können das prinzipiell, Männer aber auch. Trotzdem bleibt es ungerecht, die Hälfte aller Posten nach Geschlecht zu besetzen.
Bitte vergleichbare Zahlen angeben
Ich verstehe die Zahlen nicht:
In der Abbildung steht, dass der Anteil der weiblichen Führungskräfte in Chefredaktionen 2% beträgt.
Der Frauenleitungsanteil (was auch immer das sein soll) beträgt zwischen 8,7% bis 36,4% (wie deckt sich das mit den 2%?).
Unten steht noch, dass der 42% der Führungspositionen bei ZeitOnline mit Frauen belegt sind.
Warum wird keine einheitlichen Begriff gewählt, sodass wirklich klar ist, dass die Zahlen miteinander vergleichbar sind?
Zahlen, bittesehr
Hallo,
der Verein hat ausschließlich journalistische, schreibende Positionen erfasst. (Nicht Technik oder Layout.) Einerseits haben sie die Spitzenführungspositionen aufgelistet - die Chefredakteursstellen, andererseits die Ressortleiter. Und zwar nur solche, die auch Personal- und Budgetverantwortung haben. Wenn man sich nur auf die Spitzenpositionen bezieht, ist der Frauenanteil generell extrem niedrig. Zwar gibt es auch einige Frauen in der Chefredaktion, häufig sind es aber Stellvertreterinnen ohne Prokura. Die Ressortleiter sind in vielen Häusern ohnehin nicht mit Prokura ausgestattet, typisches mittleres Management eben. Was den Frauenanteil im Journalismus insgesamt angeht, so ist dieser in den letzten 20, 30 Jahren stark angestiegen. Die letzte Studie unter Siegfried Weischenberg ist aus dem Jahr 2006 und nicht mehr aktuell. Sie konstatierte einen FRauenanteil von 37 Prozent und prognostizierte für die heutige Zeit einen Anteil von mindestens 50 Prozent. Frauen stellen schon seit über 25 Jahren in der Ausbildung mehr als die Hälfte. Problematisch ist es überhaupt, die Journalisten zu erfassen, weil sich das Berufsbild stark verändert hat. Nur wenige Journalisten sind noch festangestellt. Die meisten arbeiten als Freiberufler und nicht nur als Journalisten, sondern sind auch in der PR, als Texter, als Moderatoren tätig.