Quasi jedes Spiel – vom Blockbuster zum Indie-Spiel – ist das Ergebnis enormen Drucks, Spätschichten und Wochenendarbeit. In der Games-Branche wird diese Spielentwicklungszeit als Crunch bezeichnet. Crunch beschreibt Phasen, in denen Entwickler wochenlang bis zu 80 Stunden arbeiten, um Deadlines zu erfüllen oder das Spiel rechtzeitig fertigzubekommen. Das ist gelebte Praxis, obwohl die Arbeitszeiten in Deutschland eigentlich streng geregelt sind.
Entwickler erzählen davon, wie sie beinahe in der Firma gewohnt haben, trotz Kleinkind und hochschwangerer Frau, die zu Hause waren. Sie erzählen von 200 Überstunden, die in nur einem Projekt angefallen sind oder von einem sechswöchigen Zeitraum, in dem sie täglich zwölf Stunden gearbeitet haben. "Das hält niemand lange aus", sagt Julia Schäfer*. "Nach zwölf Stunden Arbeit ist dein Körper am Ende. Du gehst früh zur Arbeit, trinkst viel Kaffee um dich wach zu halten. Irgendwann gehst du nach Hause, schläfst direkt ein und in fünf Stunden geht schon wieder der Wecker. Und das geht so wochenlang."
Julia Schäfer ist Mitte zwanzig und bekam direkt nach ihrem Studium eine Stelle als Level-Designerin in einem großen deutschen Entwicklerstudio. Sie möchte die Spiele so gut wie möglich gestalten und ist dafür auch bereit, mehr zu tun als eigentlich geplant ist. Dass die Überstunden vom Unternehmen als selbstverständlich angesehen werden, stört sie jedoch. "Ende des letzten Jahres hatten wir als geschlossene Abteilung eine große Crunchtime. Die Überstunden wurden uns vom Unternehmen auferlegt, ohne uns vorher zu fragen. Es hatte einfach okay zu sein."
Viele Entwickler haben aufgrund ihrer Leidenschaft für die Spiele eine sehr hohe Aufopferungsbereitschaft. Vor allem junge Menschen setzten sich dem Druck ihrer Arbeitgeber freiwillig aus, weil sie sich beweisen wollen. Wenn das Büro am Wochenende geöffnet ist, fühlen sie sich auch ohne direkte Aufforderung des Managements verpflichtet, zu kommen. In Gehaltsfragen werde die Begeisterung der Spieler ebenso ausgenutzt, sagt Fabian Gose*, der mittlerweile als selbstständiger Programmierer für deutsche Autohersteller arbeitet.
In der Wirtschaft könnten Entwickler doppelt so viel verdienen als es ihnen in der Games-Branche derzeit möglich ist. Da liegt das Einstiegsgehalt je nach Größe des Studios und Position zwischen 1.500 und 2.500 Euro. Sätze wie "Beschwer dich nicht, dafür kannst du deinen Traum leben und Spiele machen" seien laut Level-Designerin Schäfer keine Mythen. Sie seien aber immerhin deutlich seltener geworden.
Unter dem Dauerdruck leidet auch das Ergebnis
Dauerhaftes Crunchen, darin sind sich die Entwickler einig, verbessert das Spiel nicht. "Irgendwann konnte ich nicht mehr. Mein Kopf war nicht mehr frei und ich war nicht mehr produktiv", erinnert sich Senior-Programmierer Gero Gerber an seine erste Crunch-Erfahrung. Durch wochenlange Phasen mit Überstunden entsteht zwar Masse, aber die Kreativität bleibt aus – stattdessen herrscht Müdigkeit und es entstehen Fehler. Elias Hagemann*, Visual Effects Artist, machte diese Erfahrung kurz vor Abgabe eines Spiels: "Am Abend hatten wir plötzlich einen Fehler entdeckt, der das Spiel unspielbar machte. Wir haben bis vier Uhr in der früh gearbeitet, um ihn zu beheben. In dieser Situation konnten wir uns nicht aussuchen, ob wir länger bleiben oder nicht."
Wie positiv genügend Zeit in der Entwicklung ist, hat Fabian Gose während seiner Arbeit als Level-Designer an einem erfolgreichen Strategiespiel erfahren. "Wir haben am Ende drei Monate mehr Zeit bekommen, weil es in den Marketingplan des Publishers gepasst hat", erzählt er. "In der Zeit konnten wir das Spiel um einiges verbessern." Er sagt aber auch: "Mit dem Projekt hatte ich richtig Glück gehabt."
Kommentare
Einfach verweigern.
In einem mir bekannten großen Konzern wurde kürzlich SAP eingeführt, Überstunden über Überstunden und dies wochenlang und ohne Aussicht auf ein Ende.
Die Aussage eines Mitarbeiters, welcher sich diesem Wahnsinn verweigerte: "Nein, ich gehe jetzt nach Hause. Ich kann nichts dafür wenn es die Geschäftsführung versäumt, die benötigten Ressourcen zu Verfügung zu stellen".
Hut ab, vollkommen richtig gehandelt.
Auf die entsprechende Person hat dies übrigens, auch dank des Betriebsrates, keinerlei negative Auswirkungen gehabt.
In einer kleinen Klitsche mag dies anders sein. Wenn es jedoch in einer größeren Firma nur darum geht, trotz Unterbesetzung vollkommen unrealitische Zeitpläne einzuhalten, ist die einzige Möglichkeit hier "Nein" zu sagen.
Mag sein, dass dies für den Mitarbeiter keine negativen Auswirkungen hatte. Befördert wird er in dieser Firma aber nie mehr.
In einer kleinen Klitsche wird das Problem anders gelöst:
Chef beim Einstellungsgespräch: "Bei uns sind unbezahlte Überstunden der Standard. Haben Sie ein Problem damit?"
"...Zeitraum, in dem sie täglich zwölf Stunden gearbeitet haben. "Das hält niemand lange aus", sagt Julia Schäfer*."
Ich lach mich tot.....
Ein Arzt
Der Arzt verdient mehr als 1.500-2.500 Euro, oder nicht?
Firmenanteile.
Crunchende Mitarbeiter machen das aus Existenzangst, denn die Bude geht den Bach runter, sobald die Milestones gerissen werden. Mit Firmenanteilen wird es ihre eigene Bude. Dann machen sie es für sich selbst.
Ansonsten wird den Mitarbeitern eingeredet, sie machten es für sich selbst in Form ihres weiterexistierenden Arbeitsplatzes, denn die Pleite ist immer transparent in der Branche.
Lösung: Anteile oder gehen.
Sehr interessantes Konzept!
Deswegen sind zumindest gefühlt auch einige Indie-Projekte so erfolgreich, oder meinen Sie nicht ? (Der Aspekt der Unabhängigkeit, und das Gefühl etwas komplett eigenes auf die Beine zu stellen!)
Um mal Beispiele zu nennen, bei denen ich den Eindruck habe, dass sehr motivierte Teams mit einer breiten Community-Unterstützung dahinter stehen:
Kingdom Come: Deliverance
Squad
Jemand sagte: Games gehören inzwischen zum Kulturgut.
Dann sollten die Spiele doch von Mitarbeitern des Goethe-Instituts entwickelt werden.?!
DANN gibt's auch geregelte Arbeitszeiten ;)))
Passt doch super. Kultur und Kunst werden gerade in Deutschland allermeistens unterbezahlt. Dass es nun auch die Informatiker trifft, ist traurig- erdulden müssen dies "Kreative" und Kulturwissenschaftler trotz Studium schon länger...