ZEIT ONLINE: Herr Nickel, erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Besuch in Kathmandu? Beschreiben Sie doch bitte, was diesen Ort so besonders macht?
Eckhart Nickel: Das war eine Art Fluchtreise aus Bangkok, dieser stickigen, tropischen Feuchtigkeitshölle. Ein kurzer Flug für drei Tage Ablenkung, als wir an dem Dummy von Der Freund geschrieben haben. Christian (Kracht – Anm. d. R.), der damals in Thailand lebte, musste immer mal wieder das Land verlassen, um sein Visum zu erneuern. Wir hatten drei Optionen: Myanmar, Vietnam oder Nepal. Und da Nepal am weitesten weg war und ich es noch nicht kannte, hat mich das am meisten gereizt. Dieses Versprechen in einem Wort: Kath-man-du. Wir sind dann tatsächlich im Hotel Sugat untergekommen, wo sich später die Redaktion befand.
ZEIT ONLINE: Wann war das?
Nickel: Das war im März 2004, und ich weiß noch – es war ein wunderbar warmer Frühlingstag, es lag diese staubige Trockenheit über der Ebene. Man fliegt ja relativ kompliziert in das Tal ein und sieht als erstes diese unzähligen roten Ziegelfabriken. Wer aus dem Flugzeug wie früher über die Treppe aussteigt und in die staubige Stadt einfährt, durchlebt man eine Schnellreise durch mehrere Jahrhunderte und landet irgendwo im Mittelalter. Das ist schwer zu beschreiben, man taucht in eine derart andere Welt ein, dass es einem den Atem raubt. Ich habe schnell gemerkt, dass das eigentlich die idealen Arbeitsbedingungen schlechthin sind und es keinen anderen Ort gibt, an dem man dieses Magazin machen sollte als Kathmandu.
ZEIT ONLINE: Das liegt elf Jahre zurück – wann waren Sie das letzte Mal dort?
Nickel: Vor ziemlich genau einem Monat, und wie vor elf Jahren wieder für drei Tage. Dieses Mal, um die Kathmandu Library, die wir damals angelegt haben, für die Ausstellung Das bewegte Buch zu organisieren, die ab dem 6. November im Deutschen Literaturarchiv Marbach gezeigt wird. Also wiederum drei Tage, und wiederum im gleichen Zimmer, Nummer 205.
ZEIT ONLINE: Was hat sich in dieser Zeit getan in der Stadt, wie hat sich der Ort verändert?
Nickel: Das erste, was mir auffiel, waren beim Landeanflug die vielen Hochhäuser. Die Stadt hat sich ausgebreitet. Wo früher Fabriken waren, sind heute suburbane Wohngebiete. Die Ring Road, früher eine Art Schmodderstraße, ist heute fast autobahnartig modernisiert. Und anders als damals läuft jetzt leider fast jeder mit einem Mobiltelefon herum. Es hat sich also viel getan. Wo alles nach wie vor genau so war wie vor elf Jahren: in den alten, historischen Vierteln. Ich bin abends mit der Rikscha von Thamel aus zurück zum Hotel Sugat am Durbar Square gefahren, und habe gemerkt, dass die Straßen noch viel schlechter waren als beim ersten Besuch. Die Schlaglöcher waren kaum zu bewältigen mit dem Rad. Es hat also eine Modernisierung stattgefunden, aber gepaart mit schleichendem, innerem Verfall.
Kommentare
Nepal ist ein armes Land,
das sieht man nun in den kaum vorhandenen Prozessen zur Rettung und zum Wiederaufbau. Vielleicht sollte noch eines zum Bild hinzugefügt werden. Es wird immer berichtet, dass das Schlachtfest so eine blutige Angelegenheit ist. Aber dabei darf man nicht vergessen, dass eine durchschnittliche Familie in Nepal sich einmal im Jahr eine Ziege leisten kann, die dann geschlachtet wird und den Rest des Jahres gibt es kein Fleisch. Und es wird nichts verschwendet.
Aber Nepal ist reich im Geiste, und viele Nestler zieht es dahin aufgrund der tausende Jahre alten Traditionen. Gerade viele aus Tibet geflohene Buddhisten haben der Stadt viel gegeben.
Ich habe Kathmandu eher als eine Art Albtraum erlebt
Es ist allerdings mindestens 20 Jahre her, als ich da war. Es war der einzige Urlaub, den ich vorher abgebrochen habe in meinem Leben. Ich erinnere mich an ein Hotel, in dem ich unten ein Zimmer hatte. In der ganzen Nacht hörte man Leute husten und würgen, ich selbst hatte ebenfalls einen Salat bestellt und schon beim Verzehr begann die Rache. Ich flüchtete in das Hotel und war krank wie nie in meinem Leben. Ich dämmerte tagelang nur vor sich hin. Es gab einen Markt nicht weit entfernt, man konnte da kaum durchgehen vor lauter Gestank. Über einem kleinen Rinnsaal sitzen Frauen oder Männer und lassen es platschen und plätschern. Zu den interessanteren Dingen gehörten die Fledermausschwärme, die fast stundenlang über die Dächer zogen und den Himmel verfinsterten. Mir war das alles so schrecklich fremd. Natürlich gibt es da diese heiligen Stätten, aber was wir davon sehen, sind Postkartenansichten, aus ganz bestimmten Sichten aufgenommen. Im Stadtbild wirkt das gar nicht so herausgehoben. Zudem erinnere ich mich, vor Tigern gewarnt worden zu sein, die vor der Stadt in der Landschaft herum streichen sollen. Diese Fremdheit hatte ich in dieser Art ebenfalls in Laos empfunden. In Thailand z.B. nie. Keine Ahnung, was die genaue Ursache ist oder war. Es ist eine komplett andere Welt.
sorry
aber Salat bestellen in Kathmandu geht natürlich gar nicht, auch heute ist das noch so. Das hätte man auch vor 20 Jahren wissen können :-), nicht einmal zum Zähneputzen verwende ich in Nepal unentkeimtes Wasser, zumindest nicht als Tourist.Nach ein paar Monaten vielleicht, wenn man sich daran gewöhnt hat. Die Stadt mag ich auch nicht, aber ein Albtraum ist es für mich nicht, sondern zumindest für ein bis zwei Tage hochinteressant. Dann muß man allerdings raus in die Natur.
Zivilisiert?
http://www.vice.com/de/read/…
http://www.bmt-tierschutz.de…
Und wenns um Menschen geht, fahren auf einmal alle hin? Das Einteilen von Leben in "wertvoll" und "unwichtig" ist einfach nicht mehr zu ertragen.
Hochzivilisierte Gesellschaft?
Wie kann man auf den Gedanken verfallen, eine Gesellschaft, die unter einem Kastensystem leidet, hochzivilisiert zu nennen? Zu den Merkmalen der Zivilisation gehört die Erkenntnis, dass jeder Mensch dieselbe Würde hat. Es gibt nicht mehr die mehr und die weniger Wertvollen.
Jawoll
Und wenn man Text und Kommentar #2 richtig deutet, dann kann man erkennen, dass selbst der Verzehr eines Salatblatts in Nepal keinesfalls vegan zu nennen ist. Yuck!