Vor einigen Tagen bekam ich eine Mail von einer Kollegin, ich solle das RBB-Inforadio einschalten, da laufe gerade etwas ganz Furchtbares, man könne es kaum hören. Nicht gerade eine einladende Werbung für das Programm, aber ich schaltete brav ein.
Was beim öffentlich-rechtlichen RBB lief, war tatsächlich gruselig: Ein Professor der Biologie namens Ulrich Kutschera zog mit altväterlich anmutendem Ton vom Leder gegen den "unwissenschaftlichen Unsinn" der "Gender-Ideologie". Und zwar im Gespräch mit einem Moderator, der es während des gesamten Gesprächs nicht schaffte, eine einzige sachliche oder kritische Frage zu stellen. Im Gegenteil: Er war offensichtlich genauso brennend wie sein Gast davon überzeugt, dass die akademischen Gender Studies eine fundamentalistische feministische Ideologie seien, die von einer kompletten sozialen Konstruiertheit des biologischen Geschlechts ausgingen. Herr Kutschera nannte sie "eine quasi-religiöse Strömung", die mit dem christlichen Kreationismus vergleichbar sei und wesentlich in einer kompletten Ablehnung der Evolutionstheorie bestünde. Er sprach auch von einem "Krebsgeschwür".
Nun, antifeministische Rhetorik, den sogenannten Backlash, gibt es, seit es den Feminismus gibt, also schon recht lange. Vor allem das Internet scheint heutzutage der ideale Ort für maskulinistische Verschwörungstheorien von der feministischen Weltherrschaft.
Der neuste und mittlerweile beunruhigendste Trend ist aber die aggressive Polemik, die sich unter den Stichworten "Genderwahn", "Gender-Ideologie" oder "Genderismus" sammelt und gegen alles Mögliche richtet: Gegen die mittlerweile selbst in den in weiten Teilen bibeltreuen USA durchgesetzte Homo-Ehe, gegen progressiven Sexualkundeunterricht, gegen feministische Anliegen aller Art und gegen die zarten Ansätze von akademischer Etablierung der sozial- und geisteswissenschaftlichen Gender Studies. Letztlich also gegen jede Vermutung, nicht alle gesellschaftlich etablierten Rollenzuschreibungen und Normen seien naturgegeben, gottgewollt oder evolutionsbiologisch begründet.
Diese Polemik findet man nicht mehr nur auf obskuren Websites, sondern immer häufiger auch in etablierten Medien. Und in der bürgerlichen Öffentlichkeit überhaupt. In Baden-Württemberg heizt sich der Streit um progressive Sexualkunde gerade immer mehr zum kritischen Wahlkampfthema auf, in Stuttgart wird mittlerweile mit einer Leidenschaft gegen "Gender-Ideologie" auf die Straße gegangen, die vormals großen Bahnhöfen vorbehalten war.
Dass Gender ein ideologischer Kampfbegriff sei, der jegliche Unterschiede zwischen Menschen einzuebnen suche, sozusagen die kommunistische Gefahr der Jetztzeit, scheint eine so verbreitete Auffassung zu sein, dass selbst ein des Anti-Feminismus ziemlich unverdächtiger Autor wie der Bestseller-Lebenskunstphilosoph Wilhelm Schmid sich in seinem neuesten Buch (es heißt Sexout, aber das ist wieder ein anderes Thema) gehalten sieht, den offensichtlich in Misskredit geratenen Begriff durch eine Differenzierung zu retten: Man müsse zwischen einem "harten" und einem "weichen" Begriff von Gender unterscheiden, schreibt er. Ersterer sei zwar tatsächlich die "Speerspitze gegen die Anerkennung von Unterschieden jedweder Art" und sehe in den Geschlechtern ausschließlich eine "soziale Konstruktion ohne Daseinsberechtigung", aber es gebe eben auch eine "weiche" Form des Gender-Begriffs, die genau umgekehrt für die "Bereitschaft, Unterschiede anzuerkennen" stehe. Was Schmid hier in "hart" und "weich" trennt, sind aber nicht zwei unterschiedliche wissenschaftliche oder politische Auffassungen von Gender, sondern vielmehr nur genau die Linie zwischen dem ("weichen") feministischen Begriff und dessen ("harter") polemischer Verfälschung durch die Gegner von Frauen, Gleichberechtigung oder wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem einen oder dem anderen.
Kommentare
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf überzogene Polemik. Danke, die Redaktion/ncg
Es ist nun einmal
unwissenschaftlich zunächst zu postulieren, und dann selektiv nach Beweisen für das Postulat zu suchen.
Falsch
Genau so funktioniert Wissenschaft im ersten Schritt. Im zweiten Schritt kommen dann die Kollegen/Peers und versuchen, wenn sie anderer Meinung sind, die eigene These zu widerlegen.
Der kleine Unterschied sollte wissenschaftlich untersucht werden
Das heißt von Wissenschaftlern: Biologen, Soziologen und vielleicht auch Psychologen. Nicht von "GenderologInnen. Zum Beispiel um die Frage zu klären, ob bei uns immer noch Frauen schlechter bezahlt werden, oder ob sie sich nur in den schlechter bezahlten Sparten tummeln. Oder warum Jungs in unserem Schulsystem so viel schlechter abschneiden. Wenn es da Ergebnisse gibt, ist Politik gefragt. Nicht umgekehrt.
Der bereits untersuchte "Unterschied"
Es gibt verschiedene Studien über die von Ihnen gestellte Fragen. Da deren Ergebnisse jedoch nicht immer mit den Postulaten und Annahmen den "GenderologInnen" übereinstimmt, werden diese meinst sofort von ebendiesen attackiert.
Dabei wird meistens versucht nicht auf die Methodik der Studien einzugehen, die in den meisten Fällen den wissenschaftlichen Standards in solchen Fällen entspricht, sondern vielmehr an die Herausgeber.
Diese sind meist männliche Weiße und damit genau die Sorte von Person, gegen den sich GenderologInnen am meisten stellen (zumindest erscheint es mir so), da deren Annahmen meistens darauf beruhen, dass ebendiese Personengruppe anderen gegenüber bervorzugt behandelt wird.
Sollte ein GenderologInnen diese Studien durchführen und auf das selbe Ergebniss kommen, so wird man, wie schon öfters gesehen, von seinen Mitarbeitern diskreditiert.
Den sollte man zu einer Übereinstimmung mit den anderen Ergebnissen kommen, so würde es bedeuten das doch so einiges das von GenderologInnen verbreitet wurde, und wird, einfach falsch ist.
Realität
Ja, und in der Realität sieht das so aus: es gibt Soziologen, Psychologen, Mediziner, Politologen, Historiker etc etc, die sich mit Gender-Fragen beschäftigen. "Genderologen" gibt es nicht, außer in der Fantasie von Maskulinisten.
Gender in der Geschichte.
Ich bin selbst Historiker, niemand in der geschichtswissenschaft beschäftigt sich mit gender fragen.
Man schaut sich Statistiken zur arbeitstätigkeit an, zb. Das ist aber noch lange keine dekonstruktion von gender noch das postulat oder der beweis dafür. Im Gegenteil, man fokussiert sich klar auf biologische frauen und Männer. Das hat man schon immer getan. Wir kennen Zeugnisse aus dem 19. Jahrhundert, die sich zb. mit unterschiedlichen Konsumverhalten Beschäftigten.
Die Betrachtung von frauen und Männern ist nichts neues in der geschichtswissenschaft. Und ich denke für die anderen Disziplinen die sie anführen gilt das auch.
Nochmal: Zentral an gender ist die These, das biologisches und soziales Geschichte getrennt voneinander determiniert sind und zweiteres beliebig konstruiert und demonstriert ist.
ZEIGEN Sie mir einen geschichtswissenschaftlichen Aufsatz, der sich diese These zum ausgang seiner Argumentation macht. Ich bin sehr gespannt. Als Startpunkt empfehle ich: kaeble, wehler, winkler. Das sind so die bedeutensten Gesellschaftshistoriker in deutschland, falls Sie die nicht kennen. Ich freue mich auf Ihren Input von gender in der geschichtswissenschaft!
Nachtrag
Und das ist eben für den Historiker entscheidend, warum passierte etwas. Gender beobachtet nur, kann nichts beweisen hat aber die steile these man könne beliebig konstruieren.
Das für uns heute frauen in mint so normal geworden sind, ist wahrscheinlich eher eine Entwicklung der Gleichberechtigung, die in den 1970er das mint studium für frauen öffnete.
Es ist ALSO nicht die dekonstruktion von stereotypen, also GERADE NICHT gender das hier wirkt, sondern gesellschaftlicher wandel entsteht durch eine Veränderung der Realität. Ganz von allein. Gender kann hier nur beobachten, deskriptiv sein. Das ist keine wissenschaft, das ist ein netter Zeitvertreib für vor allem ältere wohlstandsfrauen die in unis sitzen und forscher spielen dürfen.
Und daher finde ich es so lustig, dass Sie auf die Historiker zu sprechen kommen. Da geht es immer um biologische Männer und Frauen, wenn das thematisiert wird. Als Historie gibt es für Sie das Vetorecht der Quelle. Man kann gar nicht gender Geschichte machen, wie soll das gehen?
ich kann keinen aufsatz schreiben über mannzufrau oder liquide gender im 19. Jahrhundert, weil es dazu keine quellen gibt. Und wenn Sie jetzt scharf nachdenken merken Sie, was hier eigentlich konstruiert ist. Es ist nämlich gender Forschung. Und das wsr schon immer der Hauptkritikpunkt an sozialkontruktivsmus. Er ist zirkulär.
klar das daran sich keine gender Forschung ranwagt. Man nimmt die these einfach axiomisch hin. Wissenschaft zum abgewöhnen....
Diskursverweigung
Ich freue mich schon auf den nächsten Artikel bei ZOn, der Kritik an gender als Backlash, hassgetrieben, angstgetrieben oder infam bezeichnet und so abqualifiziert.
Keine Rede davon wie fundiert die kritk eigentlich ist. Und immer schön den Strohmann hochziehen, wie in der Artikelüberschrift:
"Angst vor einem anderen Leben."
Der Kritiker als ängstliches arschloch. Und dann wundern wenn man ideologisch genannt wird. Diskursverweigung at its best.
Gender HIstory
Ich bin zufälligerweise auch Historiker. Ich nehme an, Ihr Studium liegt schon etwas zurück? Ich verweise einfach mal auf die Wikipedia-Seite:
https://de.wikipedia.org/wik…
Entfernt, da kein Bezug zum Artikelinhalt. Die Redaktion/lh
Entfernt. Bitte verfassen Sie sachliche Kommentare. Danke, die Redaktion/ncg
Schmerzensmänner
"Am Ende kommen doch nur ein paar verweichtlichte Männer heraus, die es verlernt haben, für sich und ihre Familien zu kämpfen"
Genau so siehts aus, bzw. für die Familie zu kämpfen erübrigt sich direkt, weil es erst zu gar keiner Fortpflanzung mehr kommt. Ich habe noch gut den Artikel auf ZON in Erinnerung, wo exakt dieser neue weichgespülte Mann, Ergebnis jahrzehntelangen feministischen, heute Gender-Dauerbeschusses, von den Damen der Schöpfung lauthals beklagt wird. Das sind dann sie Schmerzensmänner, mit denen Frauen auch ein Problem haben, weil sie nicht mehr ins Beuteschema passen...
"Heute tragen die jungen Männer Bärte und spielen Gitarre. Sie sind lieb, melancholisch und sehr mit sich selbst beschäftigt. Für die Frauen wird das zum Problem"
http://www.zeit.de/2012/02/M…
Überhaupt sind es immer die Probleme der Frauen, die thematisiert werden, selbst wenn es zur Abwechslung mal um die selbst Männer geht. Das Männer auch mit irgend etwas ein Problem haben könnten, dieser Gedanke ist sicher so absurd, dass er gar nicht erst aufkommt. Oder wenn doch, dann ist es halt sein Problem, weil er zu veränderungsresistend ist und nix rafft, was schlaue Frauen sich ausgedacht haben. Na danke!
Also liebe Autorin, aufgepasst, warum soll ich als Mann für einen Feminismus/Genderideologie aufgeschlossen sein, der sich permanent um die Bedürfnisse von Frauen dreht, Männer zu Loosern und Parias stempelt, und ansonsten nichts Konstruktives beizutragen hat??? Antwort bitte!