Der Junge mit den rosa Haaren hat sich aus dem Schutt der Arena gerappelt. Seine Spiegeleieraugen fangen an zu blitzen, aus seinen Fingerspitzen schlagen Flammen. Alles ist knallbunt, es brizzelt und brazzelt, es kracht und zischt. "Wie jetzt?", frage ich. "Ich dachte, die hätten den erledigt." – "Sting und Rogue haben 'Dragon Force' benutzt, einen enorm starken Angriff", informiert mich mein Sohn. "Aber Natsus Magie hat ein neues Level erreicht, und … " – "Ich blick nicht durch, hört das gar nicht mehr auf?" Nein, tut es nicht. Es ist der Endkampf zwischen zwei Zauberergilden in der japanischen Trickfilmserie Fairy Tail, und so was erstreckt sich schon mal über zehn Episoden.
Mein erster Versuch, mich mit dem Genre Anime auseinanderzusetzen, ist gescheitert. Comicfiguren, die sich mit Energiebällchen bewerfen und Beschwörungsformeln kreischen, in einem seltsamen Mix aus Englisch – "Holy Nova!" – und Japanisch, mit fragwürdigen deutschen Untertiteln? Kopfschmerz. Für mich sind diese Shows auch nicht gemacht – ich sollte House of Cards und Downton Abbey gucken. Aber man will sich ja hin und wieder mit seinem Kind unterhalten. Und das hat sich in ein Universum entfernt, das nichts mit dem zu tun hat, was westliche Kulturkritiker als neue Fernsehkunst besingen.
Game of Thrones, hieß es neulich, sei die erfolgreichste TV-Serie der Welt. Mit mehr als acht Millionen Zuschauern hatte das Finale der fünften Staffel im vergangenen Jahr in den USA ein neues Hoch erreicht. Mein Sohn hat das auch gesehen, aber es hat ihn nicht wirklich gepackt. Wenn er mit seiner Peergroup chattet, dann geht es eher um Naruto, Bleach oder One Piece, populäre Animes. Die haben in Japan eine lange Tradition; das Spektrum reicht von Heidi bis zum Porno, von artifiziellen Spielfilmen wie Akira oder Prinzessin Mononoke bis zum transgressiven Boys'-Love-Genre, das von Mädchen bevorzugt wird. Was mein Sohn und seine Freunde hauptsächlich konsumieren, sind Shonen – actionorientierte Shows für Jungs zwischen 8 und 18.
Die Reichweite dieser Serien, die sich seit den Neunzigern als endloser Strom aus Japan in alle Welt ergießen, lässt sich nur schwer bestimmen. Die Erstausstrahlung einer 20-minütigen Anime-Folge im japanischen Fernsehen ist dabei gar nicht das eigentliche Event, denn zu dem Zeitpunkt haben die Macher schon Comicbücher – Mangas – in Millionenauflagen verkauft. Animes werden ohnehin nicht im laufenden Programm geschaut, sondern auf DVD oder als Stream. Dabei beharren die Japaner nicht so stark auf ihrem Copyright wie die Medienunternehmer im Westen. Sie wissen, dass der Fan, wenn sie ihn einmal am Haken haben, viel Zeit und Geld in seine Leidenschaft investieren wird. Um die Mangas und Animes ist eine wilde Kultur von Videomixen, Fanfiction und Cosplay-Aktivitäten entstanden; Perücken und Make-up, Zeichensets, Videogames, Soundtracks und Actionfiguren gehen weg wie warme Semmeln. Filme gibt es natürlich auch. Die Untertitel, erklärt mir mein Sohn, sind übrigens deshalb so dubios, weil sie oft von den Zuschauern selbst mit heißer Nadel gestrickt werden, fansubbing heißt das: Junge Laien übersetzen japanische Serien, damit ihre Gemeinde auf dem Laufenden bleibt.
Kommentare
Ein sehr schöner Artikel. Ich bin froh darüber, wenn jemand über dieses Thema schreibt, der da in irgendeiner Weise Bezug zu hat (in Ihrem Fall Ihren Sohn) und auch weiß, wovon er schreibt.
Animes und Mangas sind schon lange keine Unterhaltungsmedien für Randgruppen mehr und es geht auch nicht nur um Pornografie und leicht bekleidete Mädchen wobei das natürlich auch seinen Reiz hat ;)), sondern eben auch um sehr komplexe Themen. Es scheint, als würde es keinerlei Prüderie geben, was die Themenwahl betrifft, wo es doch selbst Jungen-Jungen Beziehungen und dergleichen mehr gibt. Man sollte eigentlich meinen, dass in Japan eine ähnliche Mentalität herrscht, wie in den "Nachbarländern" Russland und China. Stattdessen wird quasi alles behandelt.
Alles in allem wieder ein sehr schöner Artikel, der in einer lockeren und schön zu lesenden Art geschrieben ist :)
Zum Schluss noch eine Empfehlung von mir: Angel Beats. Es geht um die Frage, ob das eigene Leben erfüllt war und ob man so, wie man gelebt hat, mit seinem Leben abschließen kann. Ein wunderschöner Anime, bei dem selbst so ein beinharter Kerl wie ich am Ende ein paar Tränen verdrückt hat. :D
MfG
KooJunkan
Das Interessante an den Serien ist gerade die unglaubliche Vielfalt. Da ist eigentlich für jeden etwas dabei. Zumal die Qualität deutlich höher ist, als das was man bei uns so landläufig als Zeichentrick oder Kinderfilm durchgehen läßt. Man muß sich allerdings auch auf die japanische Erzählweise einlassen können, das kann manchmal den europäischen Durchschnittsgucker überfordern. Oftmals werden anfangs scheinbar unkontrolliert viele Handlungsstränge eröffnet, die erst im späteren Verlauf zusammenfinden. Zudem läßt man gern Fragen unbeantwortet und stellt grundlegende Dinge in Frage und gestaltet die Charaktere ambivalent.
Meine Favoriten: Sword Art Online, Knights of Sidonia, Attack on Titan, Death Note, Pandora Hearts, Wolfs Rain (die Serie mit dem traurigsten Ende aller Zeiten)
Inhaltlich extrem schwacher Artikel, der großartige US Serien wie Breaking Bad oder House of Cards mit dem wohl inhaltlich schwächsten Subgenre, den Shounen vergleicht. Speziell die Endlosserien von Weekly Shounen Jump und ähnlichen Magazinen sind hauptsächlich darauf ausgelegt ihre Hauptzielgruppe (12-16-Jährige Jungen) mit einer nichtendenwollenden Flut an mittelmäßiger Standardkost zu versorgen - Vergleiche zur modernen Fantasy Literatur drängne sich auf, gerade auch im Hinblick auf das weibliche Pendant des Shoujo (Twilight und moderne Shoujobestseller wie Vampire Knight sind leider in vielem sehr ähnlich).
Sollten geneigte Leser Interesse an Anime oder Manga mit Niveau haben, so empfehle ich oftmals die Nischentitel oder ältere serien. So ist z.B. Legend of the Galactic Heroes eine exzellenten Hard-Scifi Space Opera die sich mit den besten Star trek Iterationen messen kann. Aber auch die Werke von regisseur Yuasa sind zu empfehlen: tatami Galaxy, Kaiba, speziell das eher neuere Ping Pong. Regielegende Satoshi Kon leistete auch massiv unterbewerte Beiträge zur entwicklung des kontemporären animationsfilmes bevor er vor ein paar jahren tragisch verschied (Paprika, Perfect Blue).
Was Manga angeht, so empfehle ich die exzellenten deutschen Übersetzungen der Autoren Taniguchi (Gipfel der Götter) und Asano (Gute Nacht, Punpun) - gute, erwachsene Romanunterhaltung in Panelform.
Der Artikel verschnekt hier leider viel Potenzial. trotzdem Danke.
Tja leider haben sie ziemlich unrecht den zb One Piece richtet sich vielleicht an Jungs wird aber von Jung bis Alt gelesen den viele sind damit aufgewachsen und es werden auch genug Erwachsene Themen wie Sklaverei und co aufgegriffen.
Nicht jeder Shounen ist wie Dragonball ;)
Vielleicht sollte man das Phänomen für den normalen Menschen etwas besser erklären.
Mir ist die fernöstliche Denkweise zu sperrig.
Und ich mag da auch keinen sittlichen Mehrwert finden.
Ist nicht für jeden was, so wie 'Friends' nicht für jeden was ist. Wenn Sie es probieren, keine Dubs, nur mit englischen Subs, wenn möglich (Fans übersetzen in der Regel durchaus passabel und vor allem einfühlsam).
Was leichtes, abgedrehtes über 13 Folgen ist vielleicht Hataraku Maou-sama (The Devil is a part-timer) :)