Was das Erstaunlichste an der Situation gerade jetzt ist: Alle sprechen von Rettung. Die Frauen hätten Österreich gerettet. Österreich habe sich selbst gerettet. Aber nur gerade noch. Und die Hofer-Wähler sehen Österreich rettungslos am Abgrund. Die Chance zur Rettung Österreichs sei vertan, sagt ein FPÖ-Funktionär am Wahlabend.
Österreich als Objekt, das der Rettung bedarf. Das ist irgendwie rührend. Aber. Ich muss zugeben, auch ich habe mein Schicksal mit dem Österreichs in einer Weise verknüpft vorgefunden, die mir den Schlaf geraubt hat. Nun war der Staat ja nicht territorial bedroht. Dennoch herrschte im Wahlkampf eine Rhetorik der Kriegsvorbereitung. Denn. Mit der Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten war die Frage zu entscheiden, welche Art von Personenkonstruktion in diesem Staat leben soll. Das wiederum. Das erinnert mich an das Jahr 1989 und die Folgen.
Denn. Ging es in dem, was der Untergang des Ostblocks genannt wird, nicht genau auch um diese Frage? Nur eben aus einer anderen Situation heraus in eine Annäherung an eine EU-Staatsbürgerschaft. Mussten damals nicht alle Personen eines Staates ihr Schicksal an diese Veränderung gebunden sehen und die Folgen jeweils in ihren Leben leben?
Nun. Es geht immer darum, wie Menschen leben können. Es geht immer darum, wie Personen lieben und trauern können. Diese Frage ist dann ja auch der Grund, warum Personen die Flucht antreten. Die sogenannte Flüchtlingskrise hat diese Grundfrage in die Realität der Staaten zurückgetragen, in die die Flucht angetreten wird.
Nun war es ja sehr beschaulich bei uns. Die stets weiter verarmenden Jugendlichen und die stets weiter verarmenden Oldies konnten ihre Armut bei H&M stets gut kleiden. Nichts wurde offenkundig. Wer etwas zu jammern hatte, wurde ausgeschlossen und war nicht mehr zu hören. Schicksal. Das schien es nicht mehr zu geben. Schicksal. Das war anderswo. Schicksal im Kapitalismus. Das ist in die Produkte der Unterhaltungsindustrie versiegelt. Schicksal im Kapitalismus ist privatisiert und gehört den Medienkonzernen. Schicksal. Das hat keiner sonst. Und keine.
Und dann die Provokation. Tausende von Schicksalen wandern
ein. Tausende Schicksale wollen gehört werden. Wollen Anerkennung. Wollen
Aufenthalt. Und. In einem christlich kulturell gut gelernten Griff. Das Leid
der anderen wird enteignet. Das Leid der
anderen wird aber nicht mehr zur Nahrung im Gebet. Nein. Je nach Weltanschauung
wird dieses Leid Nahrung für die Durchsetzung der jeweiligen Personenkonstruktionen.
Das Leid der anderen wird dazu verwendet, die eigenen Vorstellungen
durchzusetzen. Und das ist es, was wir vor der sogenannten Flüchtlingskrise
nicht in der Praxis nachgewiesen erlebt haben. Es gibt keine Rettung mehr. Das
Recht einer Person auf ihr Leben und ihr Glück ist nicht mehr selbstverständlicher
universaler Anspruch. Der Krieg gegen die Flüchtenden wird in unseren Staaten
weitergeführt. Und. Diese Kriegsführung verlauft entlang der Brüche in unseren Staaten.
Demokratische gegen nationalistische Konstruktion
Was Österreich bei dieser Wahl am 4. Dezember zu entscheiden hatte, das betraf die Welt. Es ging darum, wie die Welt in unserem Staat zur Erscheinung kommt. An den Flüchtenden sollte das sichtbar gemacht werden.
Die Frage ist ganz einfach, ob eine Person nach dem vertragstheoretischen Modell der Demokratie über sich selbst bestimmen kann. Oder. Ob eine Person in einem Nationalstaat über die Geburt bestimmt wird. Es geht um die Frage, ob der Person über die demokratischen Grundrechte Würde zuerkannt wird oder ob die Person aus der nationalen Geburt Privilegien erwachsen.
Die Auswirkungen auf die Flüchtenden sind offensichtlich. Im demokratischen Modell gibt es über die Grundrechte und die Selbstbestimmung die Möglichkeit des Eintritts in den Staat. Im Nationalstaat hingegen verriegelt die Herkunft diese Möglichkeit. Aber. Die Ankunft von Personen, die nicht durch die nationale Geburt ausgezeichnet sind, erhöht den Wert dieser Auszeichnung für die, die in ihrem Besitz sind. Die Nationalisten in Europa sind Kriegsgewinner des Syrienkriegs.
Die sogenannte Flüchtlingskrise ist nicht nur einfach Themenlieferant. Nein. Die sogenannte Flüchtlingskrise ist ganz christlich kulturell Nahrung für die nationalistische Personenkonstruktion.
Kommentare
"Aber vor der Entscheidung, ob in diesen Zeiten Menschlichkeit oder Nationaldenken gewinnt, stehen alle."
Das heisst, es ist neuerdings unmenschlich, die eigenen Interessen und die meiner Nachbarn zu vertreten? Z.B. einen Arbeitsplatz zu haben, von Kriminalität verschont zu sein, die eigene Kultur und Sprache bewahren zu wollen, anstatt das Land zu multikulturellen, multiethnischen Arbeitsraum machen zu lassen, der mal Österreich war?
Aber ich mir vorstellen, dass sich die Imagination, im Auftrag der Menschlichkeit unterwegs zu sein, gut anfühlt, und der Fremde ist ja ohnehin irgendwie wertvoller als der eigene Nachbar. Hier hat sich jemand, wie ich finde, lesenswerte Gedanken über den Fremden gemacht, das "Zwangsobjekt der postmodernen Gesellschaft". http://www.cicero.de/berline…
"Aber vor der Entscheidung, ob in diesen Zeiten Menschlichkeit oder Nationaldenken gewinnt, stehen alle."
Wie schafft es so eine polemische Verkürzung in den Nachrichtenteil?
Bei allem Respekt vor unserem Nachbarland und seinen Bürgern, geht es nicht in ein bisschen kleinerer Münze? "Menschlichkeit" zum Gegenteil von "Nationaldenken" zu machen ist so überzeugend wie "Liebe" zum Gegenteil von "Nachdenken" zu erklären. Es hinterlässt Bestürzung angesichts einer solch verqueren Gegenüberstellung, die nur der Diskreditierung einer Überzeugung dient. Österreich scheint sich im Krieg zu befinden. Anders sind die militaristischen Bilder vom "Krieg gegen die Flüchtenden", der "in unseren Staaten weitergeführt" wird und vom "Krieg im Inneren" nicht zu deuten. Sind mir militärische Maßnahmen gegen Syrer, Iraker, Afghanen, Albaner, Serben und Afrikaner in Österreich entgangen? Oder ruft die Autorin gegen die FPÖ zu den Waffen?
Ein sehr merkwürdiger Artikel, der versucht, mit weiter radikalisierter Sprache die zunehmende Verzweiflung des linken Juste Milieu angesichts seiner offensichtlichen Verkennung der Realität in der Flüchtlingskrise zu einer Art Bürgerkrieg Gut gegen Böse zu eskalieren. Lassen wir uns von dieser linken Variante der "hate speech" bitte nicht anstecken !
Wie bitteschön will sich jemand für Menschlichkeit rühmen, der seinen Grenzschutz einfach mal kurz an Despoten wie Erdogan übergeben hat. Der lässt auf Flüchtlinge schiessen mit scharfer Munition:
http://www.nzz.ch/internatio…
Soso, während sich Merkel im Licht der Menschlichkeit sonnt, tötet Erdogan einfach mal die Flüchtlinge die von Syrien in die Türkei wollen. Und da haben sie den Schiessbefehl, und zwar in Echt und nicht nur als Unterstellung in einer Diskussion. Typisch Merkel, einen auf Humanismus machen und die Drecksarbeit einem Diktator, der gerade die Gleichschaltung und Säuberungen erprobt.
Selbst kann man nichtmal Zäune an der Grenze befürworten, aber moralisch hat man kein Problem damit, das einer wie Erdogan einfach mal die Leute niedermäht. Völlig absurd und bizarr.
Zur Nation übrigens, die Deutschen sind echt ne Ausnahme, was die Ablehnung vom Nationalstaat angeht und übersehen, das andere wie z.B. die Franzosen sehr wohl an ihrem Staat hängen (weshalb es auch niemals eine wirkliche EU à la USA geben wird). Ich bin übrigens auch sehr National eingestellt, aber da das gegenüber der Schweiz gilt, hat keiner damit ein Problem.
Die Deutschen sind die einzigen, die sich gegenseitig verbal zerfleischen wenn es um Begriffe wie Nation, Kultur, Einwanderung/Asyl usw. geht. Alle anderen sagen klipp und klar nein zum Linkspopulismus.